Lilian Faschinger - Magdalena Sünderin

Eine Person in schwarzem Motorrad-overall und Helm stürmt während des Pfingstgottesdienstes in eine Kirche und zwingt den Priester, ihr zu folgen. Sie platziert ihn im Seitenwagen ihres Motorrades und braust davon.

Sie entführt ihn in einen tiefen Wald, fesselt ihn an einen Baum und zwingt ihn, ihre Beichte anzuhören.

Und die hat es in sich. 

 

Bei dem Entführer, der für einen Mann gehalten wird, weil man Frauen so etwas nicht zutraut, handelt es sich um die bildschöne Magdalena Leitner. Vor Jahren schon aus Österreich geflüchtet, weil sie ihre Heimat nicht mehr ertragen konnte - vor allem den Katholizismus - ist sie zurückgekehrt, um gerade einem Mann der katholischen Kirche ihre sieben Morde zu gestehen.

Sieben Liebhaber hatte in den letzten Jahren, sieben Mal hat sie gesündigt, sieben Mal musste sie sich von ihnen befreien.

 

Dass hier die sieben Todsünden Pate standen, liegt auf der Hand.

Hochmut, Geiz, Wollust, Zorn, Völlerei, Neid und Faulheit: ein jeder ihrer Liebhaber verkörpert eine dieser Sünden in besonderem Maß. Fügsam erträgt Magdalena sie eine Zeit lang, dann handelt sie und zieht weiter.

 

Nachdem sie all ihren bürgerlichen Besitz verkauft und mit einer Puch-Beiwagenmaschine losgefahren war, begegnet sie in Italien einem Friesen, der sie mit seiner Zärtlichkeit verwöhnt, bevor er in Melancholie versinkt und sie zu erdrücken droht. Da er ständig auf der Suche nach neuen Empfindungen ist und eine große Sehnsucht nach dem Tod als finaler Sensation hat, hilft sie ihm dabei, diese zu erleben. 

Daraufhin begibt sie sich nach Paris, begegnet Igor, einem Ukrainer, dessen Heißblütigkeit in Gewalt und unerträgliche Eifersucht umschlägt, auch er stirbt einen angemessenen Tod.

Pablo, ein Tanzlehrer mit unglaublichem Gefühl für Rhythmus, unabdingbar in der Liebe, enttäuscht sie mit seinem doppelten Spiel und seinem Verrat.

Eine kleine Kapsel löst das Problem.

Jonathan Alistair Abercrombie folgt sie auf die Westlichen Hebriden, um dort nach unermesslichen Wonnen herauszufinden, dass er ein Vampir ist. Mit letzter Kraft kann sie entkommen, nicht ohne die Menschheit zuvor von dieser Gefahr befreit zu haben.

Sie flüchtet zu Michael, einem Zeugen Jehovas, dessen Reinheit sie zuerst beruhigt. Als sich herausstellt, dass er keineswegs so keusch ist, wie er vorgab, gerät Magdalena in große Wut. Diesmal kommt eine Kugel zum Einsatz.

Sie zieht sich in das beschauliche Städtchen Baden-Baden zurück und lernt dort einen freundlichen älteren Herrn kennen. Baron Otto engagiert sie als Gesellschafterin.

Eine gewisse Zeit erträgt sie seine Vorlieben, die in einem Kellergewölbe vollzogen werden.

Es sieht aus wie Selbstmord.

Dann zieht es sie aus unerfindlichen Gründen doch zurück Richtung Österreich. In Garmisch-Partenkirchen nimmt sich der zuvorkommende Bademeister Karl Danzinger ihrer an. Doch auch er erwartet Unmögliches.

Auf einer Bergwanderung stolpert er.

 

 

"Es geht darum, dass Sie mir in Ruhe zuhören, dass Sie mir, der ununterbrochen ins Wort gefallen worden ist, nicht ins Wort fallen, mir, der ununterbrochen das Wort abgeschnitten worden ist, nicht das Wort abschneiden. ... Ich will eine Beichte ablegen, Hochwürden, das ist alles."

Dass sie dies auf eine so ungewöhnliche, äußerst spektakuläre Art macht, liegt an ihrer "Neigung zu aufsehenerregenden Operationen, der Liebe zum Publikum".

 

Mit diesen Worten beginnt Magdalena ihre Beichte, die über mehrere Tage und Nächte geht und die den Leser manchmal atemlos werden lässt, eben weil man zu atmen vergisst.

Das liegt neben dem Inhalt an der Art, wie sie erzählt.

Es gibt Passagen, da spricht sie über Akademiker oder über Psychologen, Psychoanalytiker, Psychiater und Psychotherapeuten, immer in dieser ganzen Abfolge genannt. Sie spricht über die österreichische Frau im allgemeinen und ihre beiden Schwestern im besonderen und sie tut dies in einem Singsang, der fast die Grenze des Erträglichen erreicht. Sie macht damit aber die Hartnäckigkeit deutlich, mit der diese Menschen in das Leben anderer Menschen eingreifen.

 

Sie betont, "... dass jeder Appell an meine sogenannten Pflichten als sogenanntes Mitglied der Gesellschaft unweigerlich größte Widerspenstigkeit meinerseits zur

Folge hat."

 

Wenn sie über ihre Liebhaber spricht, streicht sie stets heraus, welch guten Willens sie selbst war und wie diesem mitgespielt wurde. So wandelt sie sich im Lauf der Beichte von der Sünderin zur Erlöserin. Auch der Priester fängt an, Mitleid mit dieser Frau zu bekommen, die vom Schicksal so ungerecht behandelt wurde. Und das, obwohl sie die Güte in Person ist und ihre Schönheit so berauschend.

 

Sie hat das Geschick, die erotische Anziehung und die Macht der Sinnlichkeit, die in all ihren Beziehungen die treibenden Kräfte waren, zugleich zart und wirkmächtig darzustellen. 

Der Priester kennt diese Kräfte noch nicht, aber er vergleicht sie mit Visionen der Heiligen und rückt damit die Empfindungen des Körpers und die des Geistes sehr nahe aneinander. Als er dann Bekanntschaft mit den Händen der Beichtenden macht, weiß er, wovon sie spricht.

 

Magdalena ist eine liebende und eine widerspenstige Frau. Natürlich hat sie rötliche Locken und zarte weiße Hände.

Sie hat Mut und sie kann wunderbar erzählen, jede Episode der sieben Liebhaber ist eine Erzählung für sich.

Sie hat im religiösen Sinne schwere Sünden begangen und schwere Verbrechen im Sinn des bürgerlichen Strafbuches. Doch der Priester hat vor, sein Beichtgeheimnis zu wahren und sie nicht zu verraten.

 

"Es war der Sündenfall, der auf das Essen der Kirschen folgte, und während wir sündigten und sündigten, ging es mir undeutlich durch den Kopf, dass ich durch diese felix culpa, diese glückliche Sünde aus keinem Garten Eden vertrieben, sondern in ein Paradiesgärtlein hineingeführt wurde. Irgendwann schlief ich an Magdalenas Brust ein."

Als er am nächsten Morgen erwacht, sitzt ein "kleiner blauer Falter" auf seinem Arm. Falter und Schmetterlinge sind seit jeher eine Verbindung zum Himmel und Symbol für Wiedergeburt und Auferstehung.

 

Doch ein Happy End wäre womöglich ein zu kitschiges Finale gewesen, deshalb wird auch nichts aus dem Traum des Priesters, mit Magdalena in südliche Gefilde davonzufahren. Zwei Osttiroler Gendarmen, begleitet von seiner Schwester Maria, treten durch die Büsche und entdecken den Gesuchten und die Entführerin. Dieser gelingt es zum Glück, ihre Beiwagenmaschine zu erreichen und wieder einmal zu verschwinden. Zwar verliert er nicht wie die sieben Liebhaber sein Leben durch ihre Hand, aber er spürt sehr deutlich, wie viel er mit ihrer Flucht an Leben verliert.

 

Lilian Faschinger hat mit ihrer Version der Magdalena eine moderne Figur geschaffen, welche die Konstruktionen der Tradition hinterfragt.

Der christlichen, der bürgerlichen, der männlichen.

 

 

 

 

 

 

 

 

Lilian Faschinger: Magdalena Sünderin

Dtv, 1997, Neuausgabe 2006, 352 Seiten

(Erstausgabe 1995)