Andreas Steinhöfel - Anders

Dieses Jugendbuch für Leser ab zwölf Jahren ist der neue Roman des

" Rico und Oscar-Erfinders", einer Trilogie, die bei jungen Lesern unglaublich gut ankommt. 

Nun hat er eine Geschichte geschrieben, die mit einem tragischen Unfall beginnt und sehr dramatisch endet.

 

Der Held ist Felix Winter, der an seinem elften Geburtstag etwas früher aus der Schule nach Hause gehen darf, weil er sich nicht gut fühlt. Trotzdem nimmt er nicht den direkten Weg, er geht über eine Brücke und trödelt nachdenklich von der Gartenseite her zum Haus. Dort will sein Vater gerade eine "11" an der Dachrinne befestigen, eine Eins fällt herunter, trifft Felix am Kopf, dieser torkelt rüber zur Garage, da kommt unglücklicherweise die Mutter schwungvoll mit dem Auto in die Einfahrt - und fährt Felix quasi gegen das Garagentor.

 

Felix kommt sofort ins Krankenhaus, wo er 263 Tage lang im Koma liegt. Genau so lang, wie die Schwangerschaft gedauert hat. Als er völlig unerwartet und ohne Vorzeichen wieder erwacht, ist Felix ein anderer Mensch.

Sein Gedächtnis funktioniert, er kann denken, sprechen, gehen etc., alles wie vor dem Unfall auch, aber er hat überhaupt keine Erinnerungen an die Zeit davor.

 

In der Schule und der kleinen Stadt ist er eine Sensation,

bald wird er aber den Leuten, die ihm begegnen, unheimlich.

Er sieht Farben über oder um einen Menschen, riecht an ihnen und erschnuppert Krankheiten, die er ihnen auf den Kopf zusagt. Er spürt Gedanken und Gefühle anderer, so weiß er z.B., dass sein Pfleger Gerry und die Ärztin Laura ineinander verliebt sind, bevor die beiden es selbst merken.

 

Felix ist nicht mehr der nette kleine Junge, er hat Fähigkeiten erworben, die nicht im normalen Bereich liegen.

Er macht Akrobatik auf dem Brückengeländer, er zitiert Shakespeare und er fühlt sich doch wie Andersens Meerjungfrau, die nicht sagen kann, was in ihr vorgeht, weil sie keine Zunge hat.

 

Um ihn herum sind die Mutter, eine sehr bestimmte Frau,

die genau weiß, was richtig und wichtig ist im Leben.

Sein Vater, der merkt, dass er seinen Sohn Felix nicht wirklich kannte und nach dem Unfall versucht, ihre Beziehung auf neue Füße zu stellen.

Außerdem gibt es die Klassenlehrerin Rücker-Neufeld,

den Mathenachhilfelehrer Stack und Felix´Freunde Nisse und Ben.

 

Alle müssen akzeptieren, dass sich Felix nach dem Unfall "Anders" nennt, er will seinen alten Namen nicht mehr tragen.

Während der ganzen Zeit, in der Anders versucht, wieder ins Leben zu finden - was keineswegs heißt, in sein altes Leben zurückzufinden - schwingt im Roman ein Fragezeichen mit: Was ist vor dem Unfall passiert? Will Anders sich nicht erinnern? Will jemand das sogar verhindern?

Dafür gibt es Anzeichen und auch einige Bemerkungen seiner Freunde geben Anlass zu dieser Vermutung. Es muss etwas sehr Schlimmes gewesen sein, denn Nisse sagt sogar einmal, es wäre ja ganz gut, wenn Anders sich nicht daran erinnert oder sogar stirbt, dann erfährt niemals jemand,

was war.

 

Das sogenannte "Erler Loch", ein tiefes Loch mit gefährlichen Strudeln im Fluss, übt eine große Anziehungskraft auf Anders aus. Er will ganz tief hinabtauchen - quasi in sich selbst hinein, um die Erinnerung wiederzufinden - auch wenn ihn das in Lebensgefahr bringt.

Beinahe wäre es tragisch ausgegangen, hätte nicht Ben von einem hohen Baum aus beobachtet, was sich am Fluss abspielt. In letzter Sekunde kann er Anders retten.

 

Und Anders sagt, in seinem Kopf hätte es "klick" gemacht,

er weiß nun tatsächlich wieder, weshalb es ihm an seinem Geburtstag so schlecht gegangen war und warum er nicht den direkten Weg nach Hause genommen hat. Er wollte bei Herrn Stack vorbei und diesem beichten.

 

Das holt er nun nach und erzählt seinem Lehrer, der mittlerweile sein Freund geworden ist, von dem "Streich", den Nisse, Ben und er selbst ihm spielten.

Anders versucht keineswegs sich selbst in ein günstiges Licht zu rücken, er lässt kein Detail weg und übernimmt volle Verantwortung für das, was er getan hat.

Spätestens an diesem Tag ist seine Kindheit definitiv zu Ende. Und er ist wieder Felix.

 

Parallel zu den Ereignissen am Fluss findet Felix´ Vater heraus, was für eine grausame Sache die Jungs begangen haben. Er begibt sich ebenfalls zu Stack, zusammen mit Ben, der ihn unterrichtet hat, dass Anders dorthin gegangen ist.

In einem sehr dramatischen Showdown werden zwei Menschenleben gerettet, denn einer hat immer noch mehr Angst davor, dass die Wahrheit ans Licht kommt, als davor, andere unwiderruflich zum Schweigen zu bringen.

 

Steinhöfels Roman beschreibt ein Leben, das während der Zeit des Erwachsen-Werdens völlig aus den Fugen gerät.

Tat, Unfall, Koma und Amnesie werfen Felix so aus der Bahn, dass er das mit seinem geänderten Namen symbolisiert.

Erinnerung und Verantwortung bringen ihn wieder zu sich selbst zurück, er ist wieder die Person, die er war, aber nicht mehr das Kind. 

 

 

 

 

 

 

 

Andreas Steinhöfel: Anders

Carlsen Verlag - Königskinder, 2014, 200 Seiten

Carlsen Taschenbuch, 2017, 240 Seiten