Egon Bondy - Die ersten zehn Jahre

"... alle staunten immer über eins - und zwar nicht nur Hrabal, der darüber auch schrieb, sondern alle -, nämlich wie ich all das bewältigen konnte: das tägliche Saufen, Klauen und Betteln, Streiten mit Honza, Lesen, Philoso-phieren und last but not least auch noch Schreiben. Dabei fand man mich täglich an zehn Orten gleichzeitig!"

In der Tat, man kann nur staunen.

 

Egon Bondy (1930-2007), der dieses Pseudonym aus Protest gegen den sowjetischen Antisemitismus annahm, ist einer der bedeutendsten Schriftsteller und Intellektuellen, einer der führenden Köpfe der tschechischen Avantgarde.

1981 blickt er zurück auf die Nachkriegszeit und notiert seine Erinnerungen an die Jahre 1947-1957.

 

Die haben es in sich. Bondy beginnt mit einer Begegnung,

die entscheidend für ihn war: er traf im Café zwei junge Studenten, die ihn fragten, was er sei. Ein Komponist oder ein Dichter?

"Stotternd bekam ich heraus: ein Dichter ... Rumms - das

war´s also, ich saß fest - und zwar lebenslänglich."

 

Zu diesem Zeitpunkt war Bondy siebzehn Jahre alt. Er verliebte sich in die Studentin Libuse, zog Hals über Kopf zu ihr in eine kleine Dachgeschoss-Wohngemeinschaft, in der ein herrlicher "Kommunegeist" herrschte, er schmiss die Schule und führte fortan ein unruhiges Leben als "arbeitsscheues Individuum, kriminelles Element und Saufbold".

Immer wieder kehrte er zu seinem Vater zurück, der dem Treiben des Sohnes geduldig zusah. Immer wieder saß er im Gefängnis, des Öfteren in der "Klapse". In diese ging er mitunter freiwillig, nicht zuletzt, um sich der Arbeit bzw. dem Militärdienst zu entziehen. Da Bondy nichts über die Art der Behandlungen schreibt, dafür aber sehr lebhaft über Leute, die er dort kennenlernte und die Ideen, mit denen er in Berührung kam, bekommt man den Eindruck, es handele sich um Institute für Weiterbildung.

 

Dies liegt nicht zuletzt an dem im gesamten Buch vorherr-schenden Ton. Dieser ist schonungslos ehrlich, deftig, kantig, von einem ganz besonderen zugleich selbstironischen und distanzierten Humor, der jedoch eine seiner Wurzeln in einer tief empfundenen Tragik hat.

 

Eine Quelle höchster Lust und höchster Tragik war seine Beziehung zu Honza, bürgerlich Jana Krejcarová, Tochter Milena Jesenskás. Sie war eine Frau, die über unglaubliche Anziehungskräfte verfügte und nach Belieben über die Männer regierte, keiner schien sich ihr entziehen zu können. Viele Jahre lang auch Egon Bondy nicht.

 

"Mich ihr zu widersetzten schaffte ich nie. Leierkastenmäßig sagte ich mir auf, dass ich sie nicht mehr liebte, aber trotz-dem trotte ich ihr hinterher wie ein Schaf zur Schlachtbank."

Ihr gemeinsames Leben war "die Hölle. Gleichzeitig wurden um uns herum alle verfolgt, die dem Regime unbequem waren. ... Allmählich ging die Macht in die Hände der Polizei über, ... der Kampf gegen arbeitsscheue Elemente war im vollen Gang, die Konzentrationslager füllten sich, erste Hinrichtungen wurden vorbereitet, jeder fürchtete sich vor seinem Nächsten - die Denunziation erlebte ihre Blütezeit, ... und gleichzeitig wurde überall begeistert der Aufbau des Sozialismus bejubelt..."

 

Die persönlichen Erinnerungen wären ohne eine Einbettung in diese bewegte, angespannte und in vielfacher Hinsicht gefährliche Zeit nicht vorstellbar. 

Denn auch wenn die jungen Leute - Bondy hatte ständig viele, häufig neue Freunde - sich in erster Linie als Künstler empfanden und die tschechische Literatur in die Nachkriegs-zeit führten, so waren sie doch jeden Tag mit den Verwerfungen der politischen Entwicklung konfrontiert.

 

Die einzige Konstante im Leben Bondys ist das Schreiben.

Fiel das Urteil "lebenslänglich" bereits 1947, schreibt er in dem Kapitel "Im Knast und danach":

"Im Herbst 1950 ging das alles erst los. Was es mit mir machte, das kann man am deutlichsten in "Totálni realismus" (Totaler Realismus) nachlesen, meinen ersten echten Gedichten - die gleich von ausgezeichneter Qualität waren."

 

Er schrieb Gedichte, Romane, philosophische Werke, er übersetzte Christian Morgenstern. Manches ging verloren, fast alles konnte nur in winzigen Auflagen erscheinen und unter der Hand weitergegeben werden, nach der Nieder-schlagung des Prager Frühlings gab es gar keine Möglichkeit der Veröffentlichung mehr. Eine Undergroundband vertonte viele seiner Gedichte, so gelangten sie doch noch in die Welt.

 

Die Erinnerungen sind in meinst kurze Episoden gegliedert, sie gleichen kleinen, eigenständigen Geschichten, Puzzle-teilen, die das Gesamtbild zusammensetzen.

Die längste Geschichte trägt den Titel "Ein ellenlanges Bier" - nicht nur eine Anspielung auf seinen enormen Bierkonsum.

Sie bietet einen Überblick über die Entwicklungen im Land - "Die Zeit war scharf wie ein Säbel", seine eigene - "Vermutlich schafften es nur Kriminelle und Alkoholiker, entspannt auf der Oberfläche jener Zeit zu gleiten - und ich war einer davon" und die seines Freundeskreises - "Über uns schwebte das Damoklesschwert ... (doch) wir beschäftigten uns auch nach wie vor mit Geheimnissen der Philosophie und Schönheiten der Poesie, als wäre nichts geschehen. ... wir boten der Todesansage die Stirn - mit Frechheit, wenn nicht Abgestumpftheit, die nicht besserer Dinge würdig war, sondern genau jener."

 

Eine Passage kann als Resümee gelesen werden:

"Ja, mir lag nichts am Leben, allein hätte ich es nicht ausgehalten. Mein Überleben verdankte ich nur dem Wissen, dass ich ein großer Dichter war - einer der größten. Darauf habe ich mir nie etwas eingebildet - ein paar Leute werden das zu bestätigen wissen -, aber ich wusste immer, was ich tat und welchen Wert es hatte. Und ich habe immer bewusst daran gearbeitet, die Dinge noch besser zu machen. ..."

 

Zur Ergänzung seiner Erinnerungen sind dem Buch einige Tagebuchauszüge beigefügt, außerdem eine Auswahl an Gedichten. Eines davon wirft noch einmal ein neues Licht auf obige Aussage:

 

"Weil ich der größte lebende Dichter bin

ist nun mal auch Grübelnüben dran

Entscheidend für die Poesie sind die Sekunden

in denen die Dichtermacht schlappe macht"

 

Sie dürften nicht einfach zu übersetzen gewesen sein, die Gedichte. Jan Faktor und Annette Simon ist es jedoch trefflich gelungen. Bereichernd für das Buch ist auch das sehr informative Nachwort Jan Faktors, der Egon Bondy darin in den europäischen und literarischen Kontext einordnet.

Ausführliche Anmerkungen der Übersetzerin Eva Profousová, die das Verständnis des Textes wesentlich erleichtern, ergänzen den Band, einige Fotografien runden ihn ab. Die Ecken und Kanten der Erinnerungen aus der Feder eines Schriftstellers, der mit den bürgerlichen Konventionen Schluss machen wollte, hat sie zum Glück nicht abgerundet.

 

"... ohne Philosophie konnte ich nie leben  ... Ich verstand nicht, wie man leben konnte, ohne von morgens bis abends über die grundlegenden Fragen nachzudenken ..."

Dieses Nachdenken unterliegt den Schriften Egon Bondys, die bei aller Lustigkeit und Lust am Fabulieren den Dingen auf den Grund gehen. Seine Erinnerungen erlauben einen Blick in eine Welt, die den Wenigsten bekannt sein dürfte - noch einmal: man kann nur staunen!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Egon Bondy: Die ersten zehn Jahre

Aus dem Tschechischen von Eva Profousová

Mit einer Gedichtauswahl und einem Nachwort von Jan Faktor, Übersetzung der Gedichte gemeinsam mit Annette Simon

Guggolz Verlag, 2023, 236 Seiten

(Originalausgabe des 1981 entstandenen Textes 2002)