Selma Lagerlöf / Roberta Bergmann (Illustrationen) - Herrn Arnes Schatz

Ein jeder kennt die "Wundersame Reise des kleinen Nils Holgersson" der schwedischen Schriftstellerin Selma Lagerlöf (1858-1940). Doch das Werk der ersten Nobelpreisträgerin (1909) umfasst wesentlich mehr. 

Der Nobelpreis wurde ihr "auf Grund des edlen Idealismus, des Phantasie-reichtums und der seelenvollen Darstellung, die ihre Dichtung prägen",                                                 verliehen.

 

Alle dieses Merkmale treffen auf  "Herrn Arnes Schatz" zu.

Die Erzählung geht zurück auf eine wahre Begebenheit aus dem 16. Jahrhundert, Selma Lagerlöf hat daraus eine Schauergeschichte mit einer eindeutigen moralischen Bot-schaft entwickelt, die in der Tat sehr phantasievoll ist und mit den (Ur)Ängsten des Menschen spielt.

 

Die Person, an der entlang Lagerlöf erzählt, ist Torarim.

Dieser ist Fischverkäufer, er zieht mit einem Pferdewagen durch die Gegend, begleitet von seinem Hund Grim.

 

Eines Tages kehrt er auf dem Pfarrhof von Solberga ein.

Dort leben außer dem fast neunzigjährigen Pfarrer Herrn Arne und dessen Ehefrau acht weitere Personen.

Die jüngsten sind eine Enkelin und eine Pflegetochter.

 

Dieser Hof wird, kurz nachdem Torarim sich verabschiedet hat, überfallen. Die brutalen Räuber, die es auf die mit Silber-münzen gefüllte Truhe Herrn Arnes abgesehen hatten, ermordeten neun der zehn Bewohner. Lediglich die Pflege-tochter konnte sich verstecken und entging so dem Tod.

 

Die Mörder - es können nur die drei Landsknechte gewesen sein, die auf der Flucht vor dem schwedischen König waren und auf dem Nachbarhof logiert hatten. Angeblich waren sie Gerber, doch sie hatte ihre Messer nicht dafür geschliffen.

 

Torarim nimmt die völlig verängstigte Elsalill zu sich in die Stadt. Zusammen mit seiner Mutter bewohnt er ein bescheidenes Häuschen. Dort findet sie Schutz, muss aber zum Lebensunterhalt beitragen. Mit der Mutter geht sie unter die Brücke, um dort Fische zu säubern.

 

Man glaubt, die Mörder seien im Eis versunken, darauf deuten die Spuren hin. Elsalill hofft, dass sie leben.

Wie sonst könnten sie für ihre Taten bestraft werden?

 

Ein schottischer Edelmann, Sir Archie, der mit zwei Freunden in der Stadt festsitzt, da das Eis ein Auslaufen der Schiffe verhindert, spricht Elsalill an. Er erschleicht sich ihr Vertrauen. Das einsame Mädchen ist für seine Versprechen empfänglich, sie verliebt sich in ihn.

 

Als sie begreift, wer dieser Mann ist, stürzt sie erneut in tiefste Seelenqualen. 

Sie wollte Rache nehmen für die Morde, sie fühlt sich vor allem ihrer Schwester verpflichtet - wie soll eine Tote Ruhe finden, wenn ihr Mörder frei ist?

 

Andererseits begann Sir Archie unter dem Einfluss Elsalills und eines mysteriösen Schattens, Reue zu zeigen. Was er der einen angetan hatte, wollte er an der anderen wieder gut machen. Doch wie ernst kann man die milden Worte eines Mörders nehmen?

 

Aber hat sie nicht trotz allem - oder wegen allem - ein Recht auf Glück? Muss sie ihren Geliebten verraten?

 

Elsalill hat schwierigste Entscheidungen zu treffen.

 

Sie ist eine reine Seele, die zwischen Pflicht und Verantwor-tung auf der einen, sowie Hoffnung auf Liebe und Glück auf der anderen Seite, hin- und her geworfen wird.

 

Der tote Herr Arne erschien Torarim, die tote Schwester erscheint Elsalill, ein Mädchen (oder ein Engel) überbrachte Torarims Mutter eine Botschaft. Der Hund Grim hatte schon vor dem Verbrechen eine Ahnung, ebenso die Frau von Herrn Arne.

Das Meer hält die Schiffe fest, es hält ganz zum Schluss jenes Schiff fest, das nach Schottland auslaufen will, als alle anderen Schiffe bereits wieder hinausfahren konnten. 

Gott hält die Meerespforten verschlossen, so der Schiffer, weil Mörder an Bord sind.

 

Selma Lagerlöf spielt gekonnt mit diesen übersinnlichen Erscheinungen, die in jeder Schauergeschichte das Geschehen begleiten, die Menschen beeinflussen - und die Spannung steigern. 

In "Herrn Arnes Schatz" betonen sie außerdem, dass begangenes Unrecht bestraft und gesühnt werden muss - Gott steht den Menschen bei, ihm stehen viele Mittel zur Verfügung, der Mensch versteht sie nicht unbedingt.

 

 

Bereits 1904 erschien die Geschichte erstmals auf Deutsch, nun wurde sie von Maike Dörries neu übersetzt.

Und Roberta Bergmann hat sie mit kräftigen und ausdrucks-starken Illustrationen bereichert, die den Geist der Geschichte sehr schön einfangen, das Unheimliche und Dunkle, die tiefen Gefühle und die Vielgestalt der Wirklichkeit betonen. 

Auf einem Bild sieht das Land aus wie ein aufgerissenes Wolfsmaul, das ins Meer beißen will, auf einem anderen wirkt ein nachtdunkles Haus wie ein Fels, an dem die Wellen nagen. Im Licht des Mondes verschwimmen die Konturen zwischen Himmel, Meer und Land, wie die zwischen Lebenden und Toten. 

Starke Bilder für eine starke Geschichte.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Selma Lagerlöf: Herrn Arnes Schatz

Illustriert von Roberta Bergmann

Übersetzt von Maike Dörries

Kunstanstifter Verlag, 2019, 132 Seiten

(Originalausgabe 1904)