John Banville - Unendlichkeiten

 

 

Hermes ist nicht nur ein Bote, nicht nur ein Gauner und der Patron der Spieler und Reisenden, er ist auch ein wundervoller, herrlich leichtfüßiger und luftiger Erzähler.

Aus den Unendlichkeiten des Universums lässt er sich dann und wann herab, um in die Geschicke der Sterblichen einzugreifen, wobei er manchmal auf seinen Vater Zeus, den er liebevoll "Paps" nennt, trifft, oder auf Pan, den unendlichen Genießer alles Schönen.

 

John Banville hat Hermes dazu auserwählt, diesen Roman zu erzählen. Das bedeutet, der Erzähler nimmt am Geschehen teil und betrachtet es gleichzeitig von außen.

Für den Leser hat das die Wirkung eines Kaleidoskops: eine bestimmte Anzahl von Mosaiksteinchen kann unendlich viele Varianten von Mustern hervorbringen, ständig ändert sich das Bild.

 

Dreh-und Angelpunkt der Geschichte ist Adam, ein berühmter Mathematiker, der ein Konzept der Unendlichkeit erarbeitete. Er liegt im Sterben.

Zu Hause, im sogenannten Himmelszimmer, in das seine wesentlich jüngere Frau Ursula ihn bringen ließ.

 

Ursula ist die Einzige, die unerschütterlich davon überzeugt ist, dass Adam nicht in einem tiefen Koma liegt, auch wenn es so aussieht. Sie, die über die Jahre mit ihm hinweg zur Trinkerin wurde, klammert sich an ihm fest. Immer hatte sie das Gefühl, nicht die einzige Frau in seinem Leben zu sein, nun ist er ans Ehebett gefesselt.

 

Außer ihr ist die Tochter Petra, neunzehn Jahre alt, anwesend. Diese ist eine sehr unglückliche Figur: klein und dürr, hässlich und schüchtern und immer mit obskuren Projekten beschäftigt. Im Moment verfasst sie einen Almanach mit allen bekannten Krankheiten, alphabetisch geordnet. Sie ist jetzt fast mit dem "A" fertig.

 

Adam, der Sohn, ist zusammen mit seiner Frau Helen angereist, um den Vater ein letztes Mal zu sehen. Er schafft es kaum, ans Sterbebett zu treten. Nie konnte er sich aus dem Schatten des Vaters befreien, nie konnte er ihm verzeihen, einfach beiseite gelegt worden zu sein, als die kleine Schwester zur Welt kam.

 

Zu jedem angelsächsischen Roman, der in einem Landhaus spielt, gehört ein Dienstbotenpaar: hier sind es Ivy, Haushälterin und Köchin, sowie Duffy, der Hirte und Knecht - sie finden sich am Ende.

Außerdem gibt es zwei Gäste: Roddy Wagstaff, ein junger Mann, der Adams Biographie schreiben möchte (und auf den sich Petra Hoffnungen gemacht hatte), und Benny Grace, ein Kollege Adams und von eher merkwürdigem Benehmen.

 

Diese kleine Charakterisierung des Personals ließe eher auf einen schweren, tränenreichen und traurigen Roman schließen.

Zwar sind alle Familienmitglieder wirklich unglücklich, der Roman ist nun aber weder schwer noch traurig.

 

Dies liegt an der flirrenden Erzählweise von Hermes und am Benehmen der Götter. 

Die unsterblichen Götter der Antike finden heute noch genauso viel Gefallen daran, sich den Sterblichen zu nähern wie zu der Zeit, als die Menschen an sie glaubten.

Papa Zeus erliegt noch immer dem Zauber einer so schönen Frau wie Helen, die glaubt, ihren Gatten in den Armen zu halten (ein uralter Trick von Zeus), und er reagiert nach wie vor mit einem Donnerschlag, wenn ein anderer in seinem Revier wildert. 

Pan geht da subtiler vor, auch wenn er sich in der massigen Gestalt von Benny Grace - was für ein Name! - ins Haus schleicht. Er hat eine ganz besondere Beziehung zu Adam, dem Vater des Geschlechts der Godleys, der weite Teile seines Lebens mit Hilfe, in Begleitung, wenn nicht geradezu auf dem Rücken des Bocksfüßigen verbrachte. 

 

Der erste Teil des Buches ist hauptsächlich den Menschen gewidmet, im zweiten taucht Benny Grace auf. Durch die Gedanken Adams - sein Verstand funktioniert noch sehr gut - taucht der Leser mit ihm in die Unendlichkeiten ein, die er wissenschfatlich erforschte und in welchen er lebt. Der dritte und letzte Teil lüftet einen Teil der Geheimnisse, d.h. vor allem die Machenschaften der Götter werden etwas deutlicher.

Sie haben vor allem ihren Spaß: man muss sich ja irgendwie die unendliche Zeit vertreiben.

  

Und so nehmen sie den Sterblichen auch ein wenig die Last von den Schultern (wozu sonst haben wir sie ersonnen?) und ein Stück weit die Verantwortung ab.

 

"Für uns, die Todlosen, gibt´s keinen Himmel und auch keine Hölle, weder oben noch unten, sondern nur das unendliche Hier, das etwas wie ein Nicht-Hier ist. Denkt da mal drüber nach."

 

In diesem Zustand des now-here, jetzt hier, und des

no-where, nirgendwo, befindet sich der sterbende Adam.

In der klassischen Einheit von Raum und Zeit, wie es die antike Tragödie fordert und an die Banville sich hält, zugleich ist er (schon) in der Unendlichkeit.

 

Der Roman ist ein großartiges Sprach-Kunstwerk, so plastisch gezeichnet, dass man beim Lesen ständig die Bühne, auf der das Stück spielt, vor sich sieht. Und immer wieder eine Passage nocheinmal liest, weil sie so schön ist.

 

 

 

 

 

 

John Banville: Unendlichkeiten

Übersetzt von Christa Schuenke

Kiepenheuer & Witsch, 2012, 318 Seiten

(Engl. Originalausgabe 2009)