Paul Celan - Gisela Dischner

Wie aus weiter Ferne zu Dir. Briefwechsel

 

 

 

Wahrscheinlich kennt jeder den Namen Paul Celan, er ist fester Bestandteil des deutschen Literaturkanons, lange Zeit war die „Todesfuge“ Schullektüre.

 

Der 1920 in Czernowitz geborene und 1970 in Paris verstorbene Lyriker und Übersetzer  litt sein Leben lang unter dem, was er während des Nationalsozialismus erlebt hatte, nicht zuletzt unter dem Glauben, die Eltern nicht richtig beschützt zu haben.

Mutter und Vater waren im Konzentrationslager zu Tode gekommen, Celan selbst überlebte diverse Arbeitslager. Nach dem Krieg ging er über Bukarest zunächst nach Wien, 1948 ließ er sich in Paris nieder.

 

Von 1948 an erschien alle zwei bis vier Jahre ein Gedichtband von ihm.

Wegen des singenden Tones, mit dem er 1952 seine Gedichte bei einer Tagung der Gruppe 47 vortrug, war er verlacht worden – die Neorealisten konnten mit dieser Art von Lyrik offensichtlich nichts anfangen. Bis heute werden seine Texte als dunkel, kryptisch, schwer bezeichnet, für mich stehen sie in einer Linie mit den Gedichten Hölderlins, der ja auch gerne mit diesen Worten bedacht wird.

 

Bekannt und schon lange ediert sind Celans Briefwechsel mit Ingeborg Bachmann, Nelly Sachs, Peter Szondi und anderen – doch wer ist Gisela Dischner?

 

Sie studierte von 1961-65 Germanistik in München, dann bis 67 in Frankfurt. Danach lebte sie einige Jahre in England. Der Briefwechsel begann 1964 und wurde bis zu Celans Tod im Jahr 1970 fortgesetzt. Er umfasst also die Jahre der Studentenrevolte, die auch immer wieder Thema der Briefe ist.  

Von 1973-2004 war sie Professorin für Deutsche Literatur an der Universität Hannover, dort habe ich bei ihr studiert und viele Seminare und Vorlesungen besucht. Sie hat auf dem Gebiet der Romantik geforscht, es gibt sehr schöne, hinterfragende Bücher über Bettina von Arnim, Caroline Schlegel-Schelling und Friedrich Schlegel von ihr.

Ein lebenslanges Thema, zu dem sie immer wieder publizierte ist der „Müßiggang“ und auch die Poesie selbst, die Magie der Sprache.

 

Ich war also naturgemäß sehr neugierig auf diesen Briefwechsel, denn dass die beiden sich gut gekannt haben und es viele Briefe gibt, wusste ich schon lange.

 

Soviel noch vorneweg: herausgegeben wurde das Buch von Barbara Wiedemann zusammen mit Gisela Dischner, die noch ein Kapitel „Erinnerungen an Paul Celan“ angefügt hat. Wiedemann hat einen sehr ausführlichen Kommentarteil mit vielen Anmerkungen erarbeitet, der wirklich keine Frage unbeantwortet lässt. Sehr sorgfältig sind  Erklärungen, Verweise und Bezüge dargestellt, man lernt quasi nebenbei viel über die Zeit zwischen 1964 und 1970. Politisch, literarisch, menschlich und auch über den Umgang der Kunst-und Kulturschaffenden untereinander. Eine echte Fundgrube.

 

Nun aber zu den Briefen selbst: sie sind geprägt von sehr viel gegenseitigem Respekt.

Neben der Schilderung der momentanen Lebensumstände (wo man ist, woran am arbeitet, eine Lesung oder Radioaufnahme hat etc) findet ein ständiger Austausch über Literatur und Kunst statt. Sie empfehlen sich Bücher, schreiben über Literaten, diskutieren Fragen der Poesie, besprechen manchmal die Tagespolitik, lassen den anderen am eigenen Denken  teilhaben.

 

Gisela Dischner ist Jahrgang 1939, sie hat den Nationalsozialismus nicht mehr bewusst miterlebt. Sie ist mit Abstand die jüngste seiner Briefpartnerinnen, steht politisch links und gehört zu jener Generation, die man heute vereinfachend unter „68er“ fasst.

Viele Dinge in der Nachkriegszeit sieht sie anders als Celan. Die Sympathie für einander ist jedoch so groß, dass Differenzen in den Ansichten nicht zu einem Auseinanderdriften führen, sondern eher zu einem nochmaligen Nachdenken und Weiterdenken.  Also befruchtend in jeder Hinsicht.

 

Dischner schreibt in ihren Erinnerungen, dass sie während der Zeit des Briefwechsels auch ihren Lebensstil änderte: auf die Aufforderung „verabenteuere Dich nicht“ hin, zog sie sich etwas zurück und entdeckte die Freuden der Einsamkeit.

In ihrem Leben war das eine Hinwendung von der Politik zur Kunst, vom Verändern zum Bedenken. Was nicht einem Umzug ins Wolkenkuckucksheim gleichkam, sie blieb stets eine genaue Betrachterin der Welt um sie herum.

 

In den Gedichten Celans finden sich viele Erinnerungen an gemeinsame Erlebnisse. Diese Spuren vermag nur Gisela Dischner selbst zu entziffern, dieser ganz private Bereich bleibt den Menschen vorbehalten, die in ihm lebten.

 

Für den Leser des Briefwechsels erschließen sich trotzdem einige Gedichte auf neue Weise.

Und auch wenn man diese Texte nicht nocheinmal lesen mag, sind die Briefe eine sehr schöne Lektüre, beeindruckend ist die Art des Umgangs miteinander.

 

 

 

 

 

 

Paul Celan - Gisela Dischner:

Wie aus weiter Ferne zu Dir. Briefwechsel                      

Suhrkamp Verlag, 2012, 280 Seiten