Rainer Merkel - Bo

 

 

Dieser Roman spielt in Liberia.

Der 12jährige Benjamin reist von Berlin aus alleine nach Monrovia. Die Mutter hat ihn zum Flughafen gebracht, Benjamins Vater soll ihn am Zielflugplatz abholen, so war es verabredet.

 

Doch als Benjamin dort ankommt, ist nichts so, wie es sein sollte. Er hat im Flugzeug seine Plastiktüte, die seinen Pass und sein Geld enthielt, verloren. Beziehungsweise seine Sitznachbarin hat sie mitgenommen. Dafür hat er ihren grauen Mantel, der ihr von den Knien rutschte und der nach modrigem Keller riecht. Und er hat die Bekanntschaft von Brilliant gemacht, einem in den USA lebenden Mädchen, das ihren Onkel, einen der wichtigsten Männer Liberias, besucht.

 

Brilliant ist superarrogant, sie weiß, wie wichtig ihr Onkel ist, wie wichtig ihre Großeltern in Kaliforien sind, (von den Eltern ist erst spät im Buch ganz kurz die Rede) und leitet sich daraus ab, dass sie sich ganz wie eine Prinzessin benehmen kann.

 

Jedenfalls treten die ersten Schwierigkeiten sofort nach der Landung auf. Dass Tüte und Mantel nicht getauscht werden können, außerdem Benjamins Koffer in Brilliants Obhut landet, sein Vater nicht da ist und das Fahrzeug, das die ganze Grupe um Brillant, ihren Onkel und Benjamin in die Stadt bringen soll, eine Reifenpanne hat, bleiben nicht ohne Folgen.

Da Benjamins Vater bei der "Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit" (GTZ) arbeitet, macht Benjamin sich erstmal keine Sorgen, denn er denkt, der Vater sei einfach zu beschäftigt, um ihn abzuholen. Dieses Phänomen kennt er.

 

Dass er dann aber nur durch Zufall einer Entführung (man weiß es nicht genau) entkommt, und Dank einer glücklichen Fügung von Max, einem Taxifahrer, zu Bo gebracht wird, wo er erstmal in Sicherheit ist, sind Entwicklungen, die auch Benjamin überraschen.

 

Durch einen neuen Zufall findet sich sogar der in der Nacht verlorene Mantel, in dessen Innentasche viel Geld ist, wieder.

Benjamin kommt unversehens mit Angestellten von "Ärzte ohne Grenzen" in Kontakt, die ihn zu sich mitnehmen, ihn bei sich wohnen lassen, ihm das einzige psychiatrische Krankenhaus Liberias zeigen. Dass er dort wiederum ganz unerwartet Ungereimtheiten erfährt, das ist schon abenteuerlich.

 

Viele Einzelheiten in diesem Buch sind für sich genommen unschlüssig, zu sehr dem Zufall geschuldet, manchmal nicht nachvollziehbar.

Zum Beispiel die Mutter: Benjamin telefoniert erstmals nach 2 Tagen mit ihr, vereinbart war ein Telefonat nach der Ankunft, sie fragt nicht nach den Gründen oder wie es ihm geht, sie will wissen, ob die Stimme im Hintergrund die der Freundin seines Vaters sei. 

Oder manche Begegnungen, beispielsweise: ein Angestellter des Gesundheitsministeriums, der befragt wird, weil Benjamin, Bo und Brilliant nach einer Frau namens "Flower" suchen, kennt die Großmutter Brilliants, er kann ihnen zwar nicht weiterhelfen, aber seine Sekretärin. 

 

So könnte man noch einige weitere Begebenheiten aufzählen (stellenweise hat man beim Lesen das Gefühl, Monrovia sei ein Dorf), und doch: gerade dies Abenteuerliche macht den Reiz des Buches aus.

 

Denn im Lauf der Handlung fügen sich die Einzelteile doch gut ineinander, die Figuren erhalten Gestalt, auch die Nebenfiguren sind anschaulich gezeichnet und insgesamt ergibt sich ein sehr lebendiges Bild des Schauplatzes und der Handelnden.

 

Und die sind wahrlich eigentümlich: der blinde Bo, der alles sieht, die ungeheuerliche Brilliant, die doch ein Herz hat, die Angestellten der internationalen Hilfsorganisationen, die sich wacker schlagen, all die Taxifahrer, Imbissbudenbesitzer, Wasserverkäufer sind so echt dargestellt, man meint, sie persönlich zu kennen.

Sie begleiten den Leser und führen ihn durch die abenteuerliche Geschichte, die neben Benjamins Reifung ein fernes, fremdes Land, in dem wohl alles anders ist als hier, beleuchtet.

 

Rainer Merkel lebte selbst in Liberia, wo er für die Cap Anamur tätig war. Im letzten Jahr erschien die Reportage "Das Unglück der anderen", die eine kritische Auseinandersetzung mit all den Hilfsorganisationen ist,

die in Afrika und anderswo im Einsatz sind.

Er kennt das Land und die Situation dort also sehr genau und er stellt die Frage nach der Anziehungskraft, die Menschen aus wohlhabenden, friedlichen Ländern in gefährliche Regionen treibt. Ist dies nur der Wille zu helfen?

 

Benjamins Vater und im Grunde fast alle anderen Erwachsenen spielen in diesem Roman eher untergeordnete Rollen, Hauptakteure sind die Jugendlichen, die sehr mutig und durchsetzungsfähig sind.

Und die erstaunlich früh begriffen haben, wie die Welt der Erwachsenen funktioniert. 

 

 

 

 

 

Rainer Merkel: Bo

Fischer Verlag, 2013, 688 Seiten

Fischer-Taschenbuch, 2014, 688 Seiten