Srdan Valjarevic - Como. 30 Tage

 

 

Ein Roman, der sich liest wie ein Tagebuch, bei dem es schwer fällt,

Ich-Erzähler, Protgonist und Autor nicht für die selbe Person zu halten, denn sie haben sehr viel gemeinsam.

 

Srdan Valjarevic wurde 1967 in Belgrad geboren. Als er zwanzig Jahre alt war, übernahm Slobodan Milosevic das Ruder in Serbien, nicht lange danach brach der Krieg in Jugoslawien aus. Dieser zog sich grausam durch die ganzen 90er Jahre, 1999 wurde Milosevic in Den Haag vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal angeklagt, drei Jahre später begann der Prozess gegen ihn.

 

In diesem Land lebt Valjarevic mehr schlecht als recht als Autor von Kurzgeschichten und journalistischen Arbeiten, aber auch von ganz anderen Tätigkeiten, die er machen muss, um die Miete bezahlen zu können.

 

Ganz überraschend findet er eines Tages das Angebot der Rockefeller-Stiftung in der Post, für 30 Tage an den Comer See zu fahren und dort in der stiftungseigenen Villa Serbelloni auszuruhen und zu arbeiten.

Er nimmt diese Chance natürlich wahr und begibt sich in das Städtchen Bellagio, am Fuße jenes Hügels gelegen, der der Stiftug gehört, somit Privateigentum und für die Dorfbewohner eine no-go-area ist. "Tragedia" ist sein Name.

 

Zuerst fühlt "er", der Erzähler, ein namenloser junger Autor aus Belgrad, sich wie im Paradies: ein gepflegter Garten, mehrere Gebäude, ein eigenes Appartement, feinstes Essen und beste Getränke (der Alkoholkonsum ruft jeden Suchtberater auf den Plan), Zeit ohne Ende.

Er hatte und hat nicht vor, diese mit Arbeiten zu verschwenden, viel lieber streift er durch den Garten, findet seinen Lieblingsplatz auf dem Hügel, wandert durch Bellagio oder fährt mit dem Boot nach Como.

 

Die anderen Stipendiaten sind Wissenschaftler und Künstler aus aller Welt, berühmte und wichtige Leute, manche völlig abgehoben und unsympathisch, andere erfrischend natürlich und umgänglich.

Man beschnuppert sich, lernt sich kennen.

 

An vielen Tagen verschwindet der Erzähler jedoch nach den Mahlzeiten sofort ins Dorf. Er hat in einer Bar eine Kellnerin kennengelernt, mit der er sich per Zeichnung "unterhält": die Italienerin spricht nicht Englisch, er nicht Italienisch. Aber es klappt auch so ganz gut. Es entwickelt sich kein erotisches Abenteuer, sondern eine Freundschaft.

Außerdem lernt er Augusto und Luigi kennen, über siebzigjährige Brüder, die eine Sportbar betreiben.

Dort ist er häufiger Gast, wird auch einmal zu einem sonntäglichen Mittagessen mit der ganzen Familie eingeladen. 

 

Da jeder Stipendiat an einem Sonntag Gäste auf den Hügel bitten darf, lädt der Erzähler seine Freunde aus dem Dorf ein: Alda, die Kellnerin, ihre Mutter, die beiden Brüder aus der Sportbar. Sie essen gemeinsam im großen Speisesaal, danach wandern die Bewohner Bellagios zum ersten Mal in ihrem Leben auf den Hügel der Rockefeller-Stiftung. Sie trinken Wein zusammen und verbringen einen fröhlichen Nachmittag.

 

Der Serbe, der als einziger nicht forscht oder arbeitet, der als einziger sehr viel Zeit im Dorf mit den "einfachen Leuten" verbringt, der sich sehr gut mit den Kellnern angefreundet hat, ist ein Wanderer zwichen den Welten.

 

Hier die normale und alltägliche Welt des Dorflebens, dort die gut situierte, sorgenfreie, manchmal snobistische, in jedem Fall aber übersättigte Sphäre des Hügels.

 

Von Serbien spricht er fast nie, nur einmal nennt er die Situation dort "beschissen", aber das kaputte Land ist im Hintergrund immer da. Er weiß, wie schnell die 30 Tage vorbei sein werden, er weiß, dass sich dort nichts verändert haben wird während seiner Abwesenheit.

 

Die schnörkellose Sprache und feine Ironie schaffen eine gewisse Distanz des Erzählers zu dem, was er beobachtet. 

Doch ein Naturerlebnis ist so grandios und beeindruckend, dass er hier ins Schwelgen kommt: er besteigt einen nahe gelegenen Berg und sieht den Goldadler kreisen.

Völlig unbeeindruckt von allem zieht er seine Bahnen, auf eine völlig andere Art abgehoben als die wichtigen Menschen auf dem Hügel Tragedia. 

 

Dieses reinigende Erlebnis, diese Erinnerung wird er mit nach Hause nehmen, zusammen mit jenen an Herrn Sommerman und die auf dem Klavier gespielte Melodie der Kirchenglocken von Korcula.

 

 

 

 

Srdan Valjarevic: Como. 30 Tage

neu übersetzt von Susanne Böhm

e-book: Schruf & Stipetic, 2013 

(Serbisches Original 2006)