Taiye Selasi

Diese Dinge geschehen nicht einfach so

 

 

Taiye Selasi ist eine junge afroamerikanische Autorin, der vorliegende Roman ist ihr Debüt.

Und das kann sich sehen lassen.

 

Erzählt wird die Geschichte der Familie Sai, in Boston ansässig seit den 1960er Jahren.

Der Vater Kwaku Sai kommt ursprünglich aus Ghana, die Mutter Folasadé aus Nigeria. Sie lernen sich an der Universität kennen, an die beide durch Stipendien gekommen sind. Ziemlich schnell wird Fola schwanger, gibt ihr Jurastudium auf, um sich um den Sohn Olu zu kümmern.

Vier Jahre später bekommt sie Zwillinge, Taiwo und Kehinde, zehn Jahre nach diesen die kleine Sadé, genannt Sadie.

Kwaku wird Arzt und sein Erfolg rechtfertigt die Tatsache, dass Fola ihren Berufswunsch aufgeben musste. 

 

Soweit die Personen, die das Buch bevölkern und zu welchen sich nur noch ganz wenige andere gesellen.

Gegliedert ist es in drei Teile: Abschied, Aufruhr und Aufbruch.

 

Von der ganzen Konstruktion her erinnert mich der Roman stark an Menschenkind von Toni Morrison.

Was kein Wunder ist, denn Selasi ist eine Schülerin von Morrison und sie hat wirklich viel bei ihr gelernt.

 

Selasis Roman beginnt mit dem Tod Kwakus. Er stirbt an einem Herzinfarkt in seinem Haus in Accra (Ghana). Dorthin ist er gezogen, nachdem ihm im Krankenhaus zu unrecht gekündigt wurde. Kwaku musste eine alte Frau operieren, bei der vernünftig betrachtet keine Chancen mehr auf Heilung bestanden und die dann bei der Operation verstarb. Da sie der Familie angehörte, die das Krankenhaus in Boston massiv finanziell unterstützte, konnte dieser Tod nicht einfach hingenommen werden: Kwaku musste die Verantwortung übernehmen. Sprich: seinen Kopf hinhalten und gehen.

 

Ein Jahr kann er die Kündigung vor seiner Familie verbergen, dann sieht der 14jährige Kehinde zufällig,

wie er nach einem Streit aus dem Büro der Krankenhausmanagerin geworfen wird.

Noch am selben Tag, gleich nachdem er Kehinde zuhause abgesetzt hat, verlässt Kwaku seine Familie.

 

Die Schande der Kündigung, des Rauswurfs, kann er nicht ertragen und Fola nicht mehr unter die Augen treten.

Beider Leben war darauf aufgebaut, dass er ein erfolgreicher Arzt war. Ein Schwarzer, der es geschafft hat, der weit nach oben gekommen ist.

Einige Monate bleibt er noch in den USA, macht auch noch einen Versuch zurückzukehren, doch da hat Fola das Haus schon verkauft (sie hatte plötzlich nicht nur kein Einkommen mehr, sondern auch noch Schulden) und Kwaku kann die Familie nicht mehr finden.

 

Daraufhin geht er zurück nach Ghana und versucht sich dort ein neues Leben aufzubauen.

Zuerst wohnt er äußerst bescheiden, dann lässt er sich von einem Zimmermann ein Haus nach seinen Plänen bauen.

Es ist ein landesuntypisches, sehr klar strukturiertes Gebäude und er will keinen Garten. Das ist ihm ganz wichtig. Kein Wildwuchs, kein üppiges Grün, nichts Undurchschaubares. Daran hält sich der Zimmermann nicht ganz, einen kleinen Garten legt er an. In diesem stirbt Kwaku sechzehn Jahre nach seinem Verschwinden aus Boston.

Im Augenblick des Todes sieht er Folas Gesicht vor sich, die Beziehung zu seiner zweiten Frau Ama war keine so tiefgreifende gewesen.

 

Das erste Kapitel legt den Fokus auf Kwaku.

Im zweiten werden die anderen Familienmitglieder beschrieben.

Zuerst Fola, deren Vater ermordet wurde als sie 13 Jahre alt war (ihre Mutter verstarb gleich nach der Geburt). Um sie in Sicherheit zu bringen, musste sie Nigeria sofort verlassen. Sie lebte dann in einem Waisenhaus in Ghana, bis sie nach Amerika gehen konnte.

Mit dem Tod des Vaters wird Fola plötzlich Teil der Geschichte, wie sie es empfindet. Sie hat nun kein persönliches Schicksal mehr, sondern sie ist ein Kriegsopfer. Ein Stichwort genügt und jeder meint, sie und ihr Leben zu kennen.

 

Alle vier Kinder sind einschneidende Erlebnisse für ihr Leben.

Olu, der Erstgeborene, weil sie wegen ihm ihr Studium aufgab. 

Die Zwillinge, die für sie etwas ganz Mysthisches sind und die Namen nach der alten Yoruba-Tradition bekommen haben. Dort sind Zwillinge Schwellenwesen, halb menschlich, halb göttlich, werden verehrt, fast angebetet. Und ihre beiden Kinder sind auch noch unwahrscheinlich schön, mit ganz besonderen Augen.

Sadie, die jüngste, kam zu früh auf die Welt. Kwaku verbrachte eine ganze Woche bei ihr auf der Frühchenstation, bis sie endlich über den Berg war, keiner hatte zu hoffen gewagt, dass sie überlebt. Und an dieser Tochter hängt Fola ganz besonders. So sehr, dass es zu einem bösen Bruch kommt, anders konnte Sadie ihr Recht auf ein eigenständiges Leben nicht durchsetzen.

 

Die Zwillinge waren nach Kwakus Verschwinden von Fola nach Nigeria geschickt worden. Zu ihrem Halbbruder, der ein reicher Mann ist. Hier erleben die beiden ein furchtbares Jahr, völlig traumatisiert kehren sie zurück. Beide sprechen niemals über das, was dort passierte.

Sie fühlen sich nicht nur vom Vater verlassen, sondern auch von der Mutter. Deren Absichten waren die besten gewesen, sie hätte in Amerika kaum die Schulgebühren aufbringen können, aber der Onkel raubt Taiwo und Kehinde mehr als ihre Kindheit.

 

Olu wird Arzt. Er ist sehr ehrgeizig, sehr ordentlich. Ähnlich wie sein Vater keinen Garten wollte, lebt Olu mit seiner chinesischen Frau in einer ganz weißen Wohnung. Er ist stets korrekt und versteckt seinen Schmerz hinter einer kühlen Art.

 

Kwakus Tod ist der Anlass dafür, dass die Familie nach vielen Jahren erstmals wieder zusammen kommt.

Und zwar in Ghana, wo Fola zu diesem Zeitpunkt wieder lebt und wo Kwaku beerdigt werden soll.

Diesem Zusammentreffen ist der dritte Teil des Romans gewidmet.

 

Vorsichtig tasten sich die Geschwister erst einmal ab, jeder kämpft mit den schmerzlichen Erinnerungen, die sich ihren Weg an die Oberfläche bahnen. 

Und es kommt sogar einiges zur Sprache: Fola erfährt, was damals den Zwillingen in Nigeria passierte, Olu stellt sich den Erinnerungen an einen Besuch beim Vater in Accra, der keine Stunde dauerte, Sadie wird zur Tänzerin und findet erstmals einen Kontakt zu sich selbst, Taiwo und Kehinde sprechen miteinander.

 

Es ist wahrlich nicht alles gut am Ende. Es lösen sich ein paar Fäden aus einem festen Knäul, daran kann nun gezogen werden in der Hoffnung, dass sich weitere eingekapselte Gedanken befreien können.

Der mit "Aufbruch" überschriebene dritte Teil ist in erster Linie eine Rückschau.

 

Und so ist das "Erinnern" eines der großen Themen des Romans. Der Zerfall einer Familie und ihre erste Zusammenkunft nach vielen Jahren ist der Rahmen, in dem die Fragen nach kulturellem Erbe und Wissen um die Herkunft (z.B. ist Olu fasziniert von Stammbäumen) gestellt werden. Und wie Toni Morrison lotet Selasi aus, welche Erinnerungen zugelassen werden können und was passiert, wenn sie hochkommen.

 

Selasi gelingt das Kunststück, jeder Figur viel Raum zu lassen, eigene Gedanken zu denken und individuell zu reagieren ohne in ein Kleinklein zu verfallen. Der Leser hat am Ende des Buches ein paar Menschen wirklich gut kennen gelernt und bekommt eine Ahnung davon, was es heißt, immer (in Amerika wie auch in Afrika) Außenseiter zu sein.

 

Der ständige Druck, immerzu beweisen zu müssen, dass man zwar schwarz, aber trotzdem intelligent ist, ist das Motiv, das in dem ganzen Buch im Hintergrund mitschwingt.

 

Lieben lernen, auch wenn nicht auszuschließen ist, dass derjenige, den man liebt, eines Tages weggeht (oder einem weggenommen wird) ist eine der beiden Aufgaben, die Fola am Ende des Buches formuliert.

Die zweite: das "Nicht-Weggehen."

Dies ist in ihren Augen die Aufgabe der jüngeren Generation.

 

"Wir haben getan, was wir konnten. Was wir gelernt haben. Und das haben wir gelernt. Verlassen. Weggehen. ... Wir waren Immigranten. Immigranten gehen weg. ... Wir waren Feiglinge. Wir haben uns geliebt. Hätten wir es nicht lernen können? Das Nicht-Weggehen?

Man kann in einem Leben nicht alles lernen. ...

Wir haben gelernt, wie man liebt. Sie können jetzt lernen, wie man bleibt."

 

 

 

 

 

 

 

Taiye Selasi: Diese Dinge geschehen nicht einfach so

Aus dem Amerikanischen von Adelheid Zöfel

S. Fischer Verlag, 2013, 400 Seiten

Fischer-Taschenbuch, 2014, 400 Seiten