Margarete Beutler -

Ich träumte, ich hätte einen Wetterhahn geheiratet

Das Zustandekommen dieses Buches

ist einem märchenhaften Zufall zu verdanken. Der Enkel Margarete Beutlers räumte in den 1980er Jahren sein Elternhaus leer, dabei fand er auf dem Dachboden zwei Kartons, die das unveröffentlichte literarische Werk seiner Großmutter enthielten: Mehr als 200 Gedichte, über 50 Erzählungen, Theaterstücke, ein Libretto, Briefe und      Rezensionen, sowie Fotos.

 

Nun wurde ein Teil der Erzählungen publiziert, angereichert mit einem Text Erich Mühsams, mit dem Margarete Beutler gut befreundet war. Eine Einführung zu der heute fast  vergessenen Autorin gibt Winfried Siebert in seinem Vorwort. Er zeichnet darin das Bild einer modernen Frau,

die um Eigenständigkeit bemüht war und dafür auch manche Unbequemlichkeit auf sich nahm. 

 

Sie kommt 1876 in Pommern zu Welt, wächst bei den Groß-eltern auf. Erst mit 14 Jahren lernt sie ihre Eltern kennen,

als diese sie nach dem Tod der Großmutter zu sich holen.

 

Diesen Jahren sind die ersten 13 Erzählungen gewidmet.

Margarete Beutler reflektiert in diesen Texten sich selbst als kleines, wildes Mädchen, das noch keinen Begriff von seinem eigenen Ich hat. Sprachlich sehr gut gefasst in eine tastende Annäherung an die Wahrnehmung und Ausdrucksfähigkeit des Kindes, begibt sie sich auf Spurensuche.

 

Der erste Text beginnt folgendermaßen:

"Sand bröckelt. Stein rieselt und fällt. Fuß gleitet. Maruschka (das Kindermädchen) aber hält fest. Hand greift nach Gräsern, die kitzeln, Blumen, die lachen. Hektor wedelt. Wasser begleitet und flüstert ins Ohr."

 

Sie spricht von sich als "man". Nachdem sie wegen Gottlosig-keit - sie nahm ein Kruzifix von der Wand, hielt es für einen Hampelmann, mit dem sie spielen wollte - in die dunkle Besenkammer im Flur gesperrt wird, "vollzieht sich ein großes und unfassbares Wunder. Hier streckt die Knospe "ICH" zum ersten Mal tastende Blütenblätter aus dem schützenden Deckblatt der Unbewusstheit hervor. ... Man merkt, dass man ein nicht zu verwechselnder, auch für alle anderen Menschen deutlich erkennbarer Jemand ist, der will, wenn er will, und nicht will, wenn er nicht will. Man ist jemand, der Gretchen heißt..." 

 

Viereinhalb ist sie da, und wird nun erst richtig abenteuer-lustig. Szenen in der Kirche, Zusammentreffen mit dem Kaminfeger, die Entdeckung, dass es Jungs und Mädchen gibt, die Qualen, Stricken zu lernen, ein Besuch im Zuchthaus werden sehr humorvoll und konsequent aus dem Blickwinkel des Kindes beschrieben, aber auch eine gewisse Ratlosigkeit nicht verschwiegen. 

"Wie ist das nur? Und warum ist das so?" fragt sie sich, wenn sie an ihre Eltern denkt. Sie kennt Mutter und Vater nur als Bilder an der Wand, sie weiß nicht, wie ihre Schwestern sprechen, was ihre Brüder tun. Sie alle sind wie "Schatten-puppen", "man kann sie sich nur denken".

 

In die Beschreibungen der Spiele, das Ausmalen der über-bordenden Fantasie des Mädchen, webt Margarete Beutler die übergeordneten Fragen des Lebens, die sich die erwachsene Autorin, selbst Mutter zweier Söhne, stellt.

 

So verfährt sie auch in ihren anderen Erzählungen, deren erste sich dem Lehrerinnenseminar widmet, das die Autorin selbst besuchte und mit ca. 20 Jahren abschloss.

Etwa zeitgleich erscheint ihre erste literarische Arbeit in der Zeitschrift Simplicissimus, die ihr den Eintritt in die Berliner Boheme ermöglicht. 1902 zieht sie nach München, veröffent-licht mehrere Gedichtbände, ab 1913 zieht sie sich jedoch fast ganz als Autorin aus der Öffentlichkeit zurück. Sie arbeitet als Redakteurin, Lektorin, Herausgeberin, die meisten ihrer literarischen Texte hält sie unter Verschluss.

 

Dabei sind alle ihre Erzählungen Wunderwerke der Fantasie, der Scharfsicht, der ironischen Darstellung, sie sind komisch und ernst zugleich. Alleine dies macht sie sehr lesenswert. Inhaltlich kreisen alle in irgendeiner Weise um die Stellung der Frau in der Gesellschaft. Keines dieser Themen ist heute vom Tisch.

 

Es geht um Abtreibungen oder ungewollte Ehen, sie überlegt, wie man Mütter moralisch und finanziell befreien könnte,

sie schreibt über Scheidungen, fehlgeleitete Fürsorge oder die Emanzipation des Mannes. Aber auch über Wunsch- oder Albträume, sogar über eine Träumin, ganz offen schreibt sie über weibliche Lust und Sexualität.

 

Da sie sich weigert, der Reichsschrifttumskammer beizu-treten, kann sie ab 1933 nicht mehr publizieren. Sie zieht sich vollends zurück, lebt unter schwierigen Bedingungen in einem Häuschen am Starnberger See. Sie stirbt 1949.

 

Margarete Beutlers Offenheit, ihre Ironie und Fantasie, ihr Geschick, ernste und komplexe Themen in Geschichten voller Augenzwinkern darzustellen, setzten literarisches Können voraus. Es ist ein große Freude, ihre Texte heute wieder lesen zu können. Sie wurden umsichtig ediert, mit wertvollen Anmerkungen versehen, Fotos runden das Gesamtbild ab.

 

Hier noch eine Kostprobe, sie stammt aus einer Erzählung, die von einem verschwundenen Brotbelag und einem ebenso verschwundenen rotseidenen Taschentuch handelt. Diese ungeheuerliche Tat ereignete sich am "Privatlehrerinnen-seminar Berlin W.":

 

"Da öffnete sich die Tür der zweiten Seminarklasse ... mit einer ihr sonst fremden Hast und Energie. Die kleine dürre Vorsteherin des Seminars schob sich hinein. Hinter ihr trippelte der arme bestohlene Professor ... und wieder hinter dem Professor, aller galanten Höflichkeit zum Trotz, wankte das ehrwürdige, breitschenklige Fräulein v. Hemdeltoff, Generalstochter usw. Das Fräulein v. Hemdeltoff war fest entschlossen, in Ohnmacht zu sinken, falls sich das Rotseidene und der Semmelbelag bei einer der angehenden Lehrerinnen finden sollten. 

`Meine Damen´, ächzte die kleine Vorsteherin unter der Wucht ihrer Gedanken und erkletterte das Katheder - `ich bitte, keine von Ihnen verlässt das Zimmer´. Dabei tastete sie nach dem Stückchen Kreide, das da ganz harmlos auf dem Kathedertisch lag, und das da - ach!- weit höheren Zwecken hätte dienen sollen, als in ihrer Hand feucht und grau zu werden."

 

Es ist ein Lehrstück über Kleingeistigkeit, Duckmäusertum und Eitelkeit. Es ist humor- und fantasievoll, lebendig und mit einem ernsten Kern, wie alle Erzählungen Margarete Beutlers.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Margarete Beutler:

Ich träumte, ich hätte einen Wetterhahn geheiratet

Herausgegeben von Winfried Siebert und Martin Freksa

mit einem Vorwort von Winfried Siebert

AvivA Verlag, 2021, 256 Seiten