Andrea Camilleri - Die Revolution des Mondes

Der Leser nimmt Platz im Theater, richtet den Blick nach vorn, der Vorhang geht auf und auf der Bühne erscheinen der Vizekönig von Sizilien und sein Rat im Jahr 1677.

Es findet die morgendliche Audienz statt, zugegen sind sechs Ratsherren, jeder auf einem Stuhl, der zuvor millimetergenau an seinen Platz gerückt wurde.

 

Camilleri eröffnet seinen Roman wie ein Bühnenstück. Gegeben wird das absurde Theater einer Beratung, die keine ist. Die Ratsherren sind da, um ihre Forderungen und Vorhaben vom Vizekönig durchwinken zu lassen.

 

Sizilien, das zu dieser Zeit unter spanischer Herrschaft steht, hat einen Vizekönig, der an Elephantiasis leidet: er ist in kürzester Zeit auf ein Gewicht von fast 200 Kilo angeschwollen, kann sich kaum noch bewegen, die Regierungsgeschäfte fallen ihm schwer. Sehr zur Freude der Aristokratie, die die Schwäche der Regierung schamlos ausnutzt.

 

Als der Vizekönig während einer Sitzung verstirbt, werden schnell noch einige Punkte zugunsten der anwesenden Herren verabschiedet und der Stadthauptmann setzt sich schon mal auf den Thron - er ist jetzt der Stellvertreter.

Doch seine Freude währt nur kurz, denn der Vizekönig hat testamentarisch verfügt, dass seine Frau, die Spanierin Donna Eleonora de Mora, ihm auf dem Thron nachfolgt.

 

Keiner hat diese Frau bisher gesehen, sie hatte ihre Gemächer nie verlassen (- anscheinend, denn tatsächlich kennt sie Palermo und seine Probleme sehr gut). Nun betritt sie mit einem schwebend leichten Schritt und vollendeter Anmut den Saal und überstrahlt mit ihrer Schönheit sämtliches Gold, das irgendwo glänzt. 

Die Herren sind perplex. Und als Eleonora mit größter Selbstverständlichkeit die Regierungsgeschäfte übernimmt und auch gleich klar macht, wer nun der Chef ist, sind sie völlig verstört.

 

Mit dem Leibarzt ihres Mannes, Don Serafino, an ihrer Seite - er liefert ihr wichtige Informationen - macht sie sich daran, Licht in ein Dickicht aus Korruption, Lügen und Begünstigungen zu bringen, was ihr erstaunlich gut gelingt.

 

Camilleri stellt den klassischen Konflikt zwischen weltlicher und kirchlicher Macht dar (der Bischof von Palermo wird Eleonoras erbittertster Feind), verschärft diesen aber noch deutlich, indem die Krone von einer Frau vertreten wird.

 

Es hat diese Königin wirklich gegeben, den Geschichtsschreibern war sie kaum mehr als eine Fußnote wert. Es ist historisch gesichert, dass sie einen Monat lang regierte. In dieser Zeit eröffnete sie Asylheime für gefallene Mädchen, halbierte den Brotpreis durch Senkung der Getreidesteuern und führte eine Gewerbeverwaltung ein,

in der alle zweiundsiebzig Zünfte Palermos repräsentiert waren. In einem Monat wohlgemerkt. So kurz war die Zeit, die sie auf dem Thron verbrachte, denn der Bischof fand einen Weg, sie via Papst von dort zu vertreiben. Immerhin wurden die Maßnahmen, die sie durchgesetzt hatte nicht für nichtig erklärt, hier siegte der Willen des Spanischen Königs.

 

Die Eleonora Camilleris ist eine Frau, die mit großer Klugheit vorgeht, reinen Herzens ist und nichts für sich persönlich in Anspruch nimmt.

Der Roman liest sich wie eine in der Vergangenheit angesiedelte Utopie: eine umsichtige Regentin, die sich mit einem Rat von bescheidenen Männern umgibt (der ursprüngliche Rat, der die Szene eröffnete, hat schnell alle Ämter und allen Reichtum eingebüßt), die vom Volk geliebt wird, weil sie in dessen Sinne und zu dessen Gunsten handelt und die bei alledem keine Heilige ist, sondern ein Mensch.

Manchmal leuchtet in ihren Augen eine schwarze Flamme auf, die jene, die dieses Licht sehen, ahnen lässt, dass in dieser Frau ein tiefer Grund existiert, der besser unangetastet bleibt.

 

Sie legt sich mit der Kirche an und deckt Fälle von Kindesmissbrauch auf (der Bischof liebt seine Chorknaben sehr), sie kommt schnell dahinter, dass ein Heim für gefährdete junge Frauen ein Bordell mit Zwangsprostitution ist, mit Hilfe ihres Rates wird ein Doppelmord aufgeklärt - streckenweise wird hier detektivische Ermittlungsarbeit geleistet, die sich durch Beobachtungs- und Kombinationsgabe auszeichnet (und sich liest wie ein Krimi).


Modern ausgedrückt sind Eleonoras Neuerungen:

mehr Steuergerechtigkeit, Umverteilung des Vermögens, marktregulierende Gesetze, Reformen der Verwaltung, Senkung der Preise für Grundnahrungsmittel, Kampf gegen Korruption, Sklaverei und Missbrauch, persönliche Bescheidenheit.

 

Denkt hier jemand, Camilleri hätte irgendwie auch unsere Gegenwart im Blick gehabt, als er dieses Historienstück schrieb...?

Für einen kurzen Moment schien jedenfalls das Gute die Oberhand zu gewinnen und eine Revolution von oben stattzufinden, siebenundzwanzig Tage lang.

 

Eine Besonderheit des sizilianischen Rechts führt zur Amtsenthebung: 

"Eine Abberufung ... hat ihre Ursache ... allein in dem Faktum, dass, da der Vizekönig von Sizilien dem Kirchenrecht dieser Monarchie zufolge ein geborener Legat Seiner Heiligkeit des Papstes ist, diese Dignität unmöglich von einer Frau bekleidet werden kann".

Warum also? Schlicht und ergreifend, weil sie eine Frau ist.

 

Donna Eleonora verabschiedet sich von den Ratsherren:

"Ich danke allen für ihr gegenwärtiges und ihr künftiges Vertrauen. Dennoch möchte ich betonen, dass die von mir bisher gefassten illuminierten Beschlüsse, wie Ihr sie genannt habt, lediglich el fructo, die Frucht, einer elementaren Lehre sind,die ich in den Jahren erhielt, als ich im Kloster lebte, nämlich, dass Dios den Menschen nach Seinem Bilde schuf. Seither habe ich mich bemüht, alle Menschen zu achten, naturalmente all jene, die dieses Namens würdig sind, weil sich in ihnen la imagen de Dios spiegelt. Und wenn man nach diesem Bilde nicht den Notleidenden hilft, nicht den Entrechteten, den vom Hungertod Bedrohten und den Schwächsten - und die Freuen sind immer die Schwächsten - dann begeht man nicht nur eine Unterlassungssünde, sondern die mucho más schwerere Sünde der blasfemia. Das ist gewiss wahr."

 

Eleonora spricht nicht das Sizilianisch des 17. Jahrhunderts, sie spricht die Sprache der modernen Menschenrechte, die - so wie sie es sieht - den Menschen von Natur aus zustehen, weil sie Gottes Ebenbild sind. Diesen Ansatz vermisst man gelegentlich bei Parteien, die das "C" im Namen tragen.

 

Der Roman ist nun beileibe kein trockenes Lehrstück in der Theorie des Krisenmanagements oder der Gesetzesexegese. Er ist ein spannender und hintersinniger Text, in dem die verschiedenen Interessenlagen gegeneinander gearbeitet sind wie Wellen, die aufeinanderprallen, was eine kurzweilige Lektüre garantiert.

 

 

 

 

 


Andrea Camilleri: Die Revolution des Mondes

Aus dem Sizilianischen von Karin Krieger

Nagel & Kimche, 2014, 288 Seiten

(Originalausgabe 2013)