Manuel Chaves Nogales -

Deutschland im Zeichen des Hakenkreuzes

Am 30. Januar 1933 wurde Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt. In April und Mai desselben Jahres bereiste der spanische Journalist und Schriftsteller Manuel Chaves Nogales (1897-1944) Deutschland und schrieb darüber eine große Reportage, die zwischen dem

11. und 28. Mai in der Zeitung AHORA, deren Chefredakteur Chaves Nogales war, erschien.

 

Keine drei Monate waren also vergangen, und der Journalist fand ein Land vor, das voller Inbrunst an den neuen Führer glaubte. Das bereit war, jede seiner Ideen in die Tat umzu-setzen, das sogar bereit war, noch darüber hinaus zu gehen.

Die Braunhemden waren allgegenwärtig, die Fahnen und Aufmärsche, die Reden. Chaves Nogales sieht einen Krieg heraufziehen, in spätestens drei Jahren meint er, wäre Deutschland bereit, einen solchen zu starten.

 

Hier hat er sich geirrt, es sollte sechs Jahre dauern. Das ist fast der einzige Punkt, in dem der Journalist nicht recht behalten wird. Seine hellsichtige Analyse der Zustände ist an manchen Stellen geradezu hellseherisch.

 

Chaves Nogales sieht die Aufgabe eines Journalisten darin, unparteiisch zu informieren, nicht darin, eine Meinung zu verbreiten oder zu generieren. So sammelt er Fakten, zeichnet Beobachtungen und Gespräche auf und entwirft damit ein genaues Bild des Landes, das er bereist. Wenige Wochen nach der Ernennung Hitlers zum Kanzler, das möchte ich noch einmal deutlich betonen.

 

Sein Ziel ist es, seine spanische Leserschaft zu informieren. 

 

Aus diesem Grund stellt er immer wieder Analogien zwischen Deutschland und Spanien her, um den Menschen  der von zwei Seiten bedrohten jungen spanischen Republik zu verstehen zu geben, wie das Leben in einer Diktatur aussieht. Er hatte bereits aus dem bolschewistischen Russland berichtet, nun folgte die Reportage aus Deutschland.

 

In drei Abteilungen untersucht Chaves Nogales die Gesichts-punkte: "Wie lebt man in den Ländern mit faschistischen Regimen?", "Deutschland unter Hitler" und "Kaiser Adolf I".

 

Er beginnt mit seiner Einreise über das Saarland. Er spürt den tiefen Graben zwischen Frankreich und Deutschland, um nicht zu sagen, die Schützengräben, in denen die Menschen fünfzehn Jahre nach Ende des Krieges im Geiste immer noch sitzen.

Damit verweist er sogleich auf die historische Perspektive, die er einnimmt. Er versucht zu verstehen, wie der vergange-ne Krieg, die Verträge von Versailles und die Krisen der 1920er Jahre zu jenem "wütenden deutschen Nationalismus" geführt haben.

 

"Wenn Hitler heute in Deutschland regiert, so weil er seit zwölf Jahren den Krieg predigt. Seinen Triumph verdankt er mehr als allem anderen seiner offenen Haltung gegen die Pazifisten: "Rotten wir die Pazifisten aus!" Dies ist sein Schlachtruf. Wenn die Nazis sich heute dem Sport widmen, Juden und Sozialisten wie die Ratten zu jagen, dann haupt-sächlich, weil für die Nazis `die Juden´ und `die Sozialisten´ Pazifisten sind. "Pazifist" ist das schlimmste Schimpfwort, das man heute einem Deutschen an den Kopf werfen kann. Wer daran Zweifel hat, der wage es einmal auf einer Straße in Berlin. Um die Situation in Deutschland begreifen zu können, muss man ein paar Gemeinplätze über Bord werfen und diskutieren, was nicht einmal die Deutschen offen zu sagen wagen: Deutschland will den Krieg; es wird ihn beginnen, sobald es dazu in der Lage ist. Es wird bald dazu in der Lage sein."

 

Dieses Zitat ist auch eine Stilprobe. Der Journalist denkt die Geschichte mit, er spricht die LeserInnen an, er fordert unvoreingenommenes Denken und er schreibt einen brillanten Stil.

 

Seine Methode ist zum einen die Befragung der Menschen. So ergründet er ihr Denken über Krieg und Kultur, über das Schicksal des Volkes, über die Gewissheit, dass das Land nun endlich wieder für seine Ideale kämpft und nicht nur um Brot. Er vernimmt Aussagen wie, der "Germane (ist) ein unabhängiger Militarist. Und das ist er, ob er in den Krieg zieht oder nicht."

 

Er macht seine LeserInnen mit dem Aufbau des Staats-apparats vertraut, mit der tatsächlichen Anzahl an Soldaten und weiteren Formalien.

Er berichtet von einem "Besuch in einem Lager für `Arbeitsfreiwillige´", in diesem Zusammenhang auch von der Bedeutung der Arbeit als solcher für die Deutschen. 

Er spricht von Berufsverboten, den Reaktionen der in- und ausländischen Juden auf die Repressalien, außerdem über die Schwierigkeiten, Deutschland zu verlassen. 

Er spricht auch davon, dass Hitler die "Versprechungen von der Ausrottung der Juden" nun wahrmachen  wird: Chaves Nogales muss "Mein Kampf" gelesen oder sich anderweitig gut informiert haben, denn im Gegensatz zu vielen anderen Beobachtern erlebt er keine Überraschungen.

Er geht darauf ein, was es bedeutet, als Kind unterm Haken-kreuz geboren zu werden und in diesem Geist aufzuwachsen. Er beleuchtet die Rolle der Frau, die Begeisterung vieler Frauen, nach den anstrengenden Nachkriegsjahren endlich wieder an den Herd zurückkehren zu können.

Fragt sich, an welchen Herd? Noch immer herrschen Wohnungsnot, bittere Armut, welcher Mann kann sich eine Familie leisten? Womit auch das Thema der Rassentheorie und deren Konsequenzen für die gesamte Gesellschaft angesprochen wird.

 

Chaves Nogales bleibt also nicht bei den Formalien, wobei er nicht den Pfad der unparteiischen Information verlässt.

Er sieht es ja vor Augen:

"Die Kaufhäuser sind voll von nationalsozialistischem Spielzeug; alle angesagten Spielzeuge haben einen Nazi-Bezug. Dasselbe trifft auf den Sport zu. Die Trachtenjacken, die Abzeichen, die Uniformen, die Fahnen, die Waffen, die Sammelbilder, alles lenkt das Kind in Richtung des Nationalsozialismus."

Und er sieht noch ganz andere Dinge.

 

Der Journalist macht klar, dass dieses Regime nichts dem Zufall überlässt. Das beweist nicht zuletzt ein Interview, das er mit Joseph Goebbels führte. Drei Fragen durfte er stellen.

Der Abdruck dieses Interviews aus der AHORA vom 21. Mai 1933 ist in das Buch eingefügt.

 

Dies ist nur eine der vielen Abbildungen, die das Buch durch-ziehen. Nebst den Zeitungsabdrucken sind Fotos zu sehen, von Aufmärschen, Versammlungen, Bücherverbrennungen, Autos und Mannschaftswagen, den Garanten schneller Kommunikation. Sie alle erschienen in der Zeitung AHORA, um das Bild für damalige LeserInnen zu vervollständigen.

 

Diese Aufgabe erfüllen sie auch heute noch.

 

Für das Verständnis des Werkes sind die Einführungen des 

Übersetzers, Herausgebers, Verlegers und Chaves Nogales-Experten Frank Henseleit nicht hoch genug zu schätzen.

Er gibt in jedem der auf vierzehn Bände angelegten Edition eine Einführung in das Werk des großen Journalisten, der völlig in Vergessenheit geraten war und erst in den 1990er-Jahren wiederentdeckt wurde.

Ihm ist es zu verdanken, dass die Werke von Manuel Chaves Nogales nun erstmals auf Deutsch gelesen werden können.

Sie sind nicht nur eine wertvolle Ergänzung zur bereits vorliegenden Literatur zum Nationalsozialismus, sie sind einzigartige Zeugnisse eines Zeitgenossen mit internatio-nalem Blick. Sie vereinen Journalismus mit der sprachlichen Qualität und Intensität von Literatur, sie sind eine großartige Lektüre.

 

"Ganz offensichtlich ist es für uns nicht leicht, sich vorzustellen, welches Gesicht die politische Verfolgung im Deutschland dieser Tage in Wahrheit besitzt. Es agieren hier keine hinterhältigen und unbezahlten Schergen, die Urteile im Geheimen vollstrecken; es handelt sich um ein ganzes Volk, dessen Hass durch die Predigten nationalistischer Führer geschürt wird, bis hin zu schweren Verbrechen, zu denen sie die Massen ermutigen; der Kommunist oder Jude braucht sich weniger vor knüppelnden Polizisten zu fürchten, vielmehr von den eigenen Nachbarn, Kollegen, Passanten, der ganzen Volksmasse, die plötzlich in den Marxisten und Juden den Grund für ihr Elend ausgemacht hat und sich nun auf sie stürzt, um sie in Stücke zu reißen. ... Es ist gegen eine gesellschaftlich derart breit aufgestellte Nötigung, gegen den Hass einer solchen Mehrheit, die bereit ist, eine erniedrigte Minderheit in Fetzten zu reißen, kein Kampf möglich. Die Gegner des Nationalsozialismus sind besiegt."

Erschienen in der AHORA vom 27. Mai 1933.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Manuel Chaves Nogales:

Deutschland im Zeichen des Hakenkreuzes

Reprotagen & Journale 1, Band 5

Aus dem Spanischen und eingeführt von Frank Henseleit

Kupido Verlag, 2022,  160 Seiten

(Originalausgabe AHORA, Mai 1933)

 

 

 

 

 

Weitere Informationen zu Leben und Werk des Autors finden Sie hier:

 

Manuel Chaves Nogales:

Ifni; Spaniens letztes koloniale Abenteuer

 

und natürlich auch auf der Website des Verlags