Ingvar Ambjornsen - Echo eines Freundes

Manche Leser treffen hier einen alten Bekannten wieder - in den 1990er Jahren erschienen bereits drei Elling- Romane, der vierte kam 2001 heraus.

Die Geschichten aus dem Leben des  sympathischen Antihelden waren so beliebt, dass Auszüge daraus 2002 verfilmt wurden. Es entstand die erfolgreichste norwegische Roman-verfilmung seit 2000.

 

Der neue Roman nimmt die Fäden der vorausgegangenen auf, es ist jedoch zum Verständnis des Textes nicht nötig,

die Vorgänger zu kennen. 

 

Im "Echo eines Freundes" geht Elling auf die Sechzig zu.

Er tritt in eine aufregende neue Phase seines Lebens ein:

er bezieht eine eigene Wohnung, Sockeletage.

Das ist ein schöneres Wort für Kellerwohnung, aber er hat einen direkten Zugang zum Garten. Der ist klein, feucht und dunkel, so ist auch die Wohnung, der Schimmel gedeiht prächtig, vor allem in der Dusche.

Aber das ist alles nicht so wichtig. Wichtig ist, dass er sein eigener Herr ist, jedenfalls ziemlich, denn da ist seine Vermieterin Annelore Frimann-Clausen. 

 

Eine rüstige Dame jenseits der Achtzig, die ihn jeden letzten Sonntag im Monat zum Mittagessen einbestellt.

Um sich so richtig mit ihm auszusprechen.

 

Sie bittet ihn auch sogleich, die sogenannte Sigurdsbude auszumisten, ein Gartenhäuschen, erbaut von ihrem lange verstorbenen Ehemann.

Elling erledigt diese Aufgabe zu ihrer Zufriedenheit und wählt diese Bude als Ruhe- und Rückzugsort.

 

Glücklich macht ihn, dass Annelore so großes Vertrauen in ihn setzt.

Als sie überraschend zu einer Freundin fährt und ihm ihre Wohnungsschlüssel überlässt, ist er gerührt, geehrt und auch besorgt. 

Wird er dieser Aufgabe gerecht werden können?

Oder ist sie womöglich eine Falle?

Freude und Sorge gehören fest zueinander in Ellings Leben.

 

Annelore ist nicht die einzige Frau, die in sein Leben getreten ist. Da sind auch die beiden attraktiven Kassiererinnen bei Spar, eine anziehender als die andere.

Oder die Assistentin seines Arztes Dr. Borg, mit der versteht er sich bald wortlos. 

Er rechnet sich durchaus Chancen aus bei einer oder eigentlich allen. Jedenfalls beflügeln sie seine Phantasie mächtig.

 

Bald wird er Stammgast im "Buchcafé Schwan", betrieben von jungen Leuten mit literarischen Ambitionen.

Als er zu erkennen gibt, dass er der letzte Freund des vergessenen Dichters Alfons Jorgensen ist und einen Artikel der Literaturzeitschrift "Schwan" in einem kleinen, aber wichtigen Detail korrigieren kann, führt dies zu einem Interview mit der wichtigsten Kulturzeitschrift Oslos,

also Norwegens, geführt mit Bente, der Kulturpäpstin.

Dieses Gespräch gestaltet er mit dramaturgischem Anspruch, sein Stolz kennt keine Grenzen, als er seinen Namen gedruckt im Magazin des Dagbladets sieht.

 

"Im Inhaltsverzeichnis: Mein eigener Name mit Verweis auf die Seiten 32-34, ja, es sind mein Vor- und mein Nachname, die mich an diesem Tag aus Dagbladets Hochglanzmagazin anstrahlen. Und in mir steigt ein innerer Jubel auf, braust im Hinterkopf, ich denke an meine tote Mutter, und wie sehr sie sich gefreut hätte, wie dieses Ereignis - ihr eigener Sohn, der ruhig und gelassen die Fragen einer Journalistin von einer von Norwegens meistgelesenen Wochenendbeilagen beantwortet - vieles von dem Schlimmen ausgeglichen hätte, das sie durchmachen musste, als noch niemand begriffen hatte, dass ich etwas ganz Besonderes in mir trug, ja etwas Einzigartiges, das eines Tages durch meine Rüstung aus Zweifel und Selbstverachtung brechen würde."

(Die Mutter ist auch immer präsent in seinem Kopf.)

Leider fällt der Artikel nicht so aus, wie er es sich erhofft und erträumt hat. Elling kommt darüber hinweg, mit Phantasie, wie immer.

 

Es ist mächtig was los in Ellings Leben.

Und dann kommt zum echten Lebeen noch eine zweite Existenz: er meldet sich bei Facebook an. Doch er ist schlau genug, sich dafür einen anderen Namen zuzulegen.

Zur Tarnung? Als Echo seiner selbst?

 

Zunächst tritt er einer Gruppe bei, der er erstmal neuen Schwung einhauchen muss. Er freut sich über Likes, über Freundschaftsanfragen, über Kommentare - doch insgesamt ist die Sache eher unbefriedigend. Also eröffnet er eine neue Gruppe: "Gastrobaron".  Hier ist er der Chef  und jetzt geht es so richtig los. Erstmal. Dann schreibt er einen Text, der wohl zu lang ist. So was wollen die Leute nicht lesen. Vernichtende vier Likes bekommt er dafür.

 

Und dann ist da auch noch Bjarte, der Kater, er ihm zuläuft. Bzw. den er mit köstlichen Wurstbroten anlockt.

Der ihn wieder in die richtige Bahn bringt, wenn andere ihn aus selbiger geworfen haben.

 

Von den Schwierigkeiten der Begegnung, im Leben und im Netz - unter diese Überschrift könnte man diesen köstlichen Roman stellen.

 

Elling ist eine so wunderbare Figur, skurril und tragisch,

und vor allem unglaublich phantasievoll. Es ist eine Freude, seinen Gedanken zu folgen, denn ihm genügt die kleinste Kleinigkeit, und sein Geist entzündet sich. 

Er schauspielert gerne, weiß auch genau warum, meist, um sich ein bisschen wichtiger zu machen, als er sich fühlt.

Er legt großzügig gute Eigenschaften in Menschen hinein,

die er gar nicht kennt, er ist sehr bemüht, es Annelore in jeder Hinsicht recht zu machen, schließlich ist sie die Herrscherin seines Reiches. Er ist stets bereit, an das Gute zu glauben und fest entschlossen, aus seiner letzten Lebens-phase das Beste zu machen.

 

 

 

Zwar bewegt er sich meist lediglich zwischen Sockeletage, Sigurdsbude, Spar, Dr. Borg und Café Schwan, doch seine Gedanken und Überlegungen sind so weiträumig, dass der Roman keinen Eindruck von Enge aufkommen lässt.

Elling muss nicht in die weite Welt fahren, um Abenteuer zu erleben. Die finden sich für ihn an jeder Ecke.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ingvar Ambjornsen: Echo eines Freundes. Ein Elling-Roman

Übersetzt von Gabriele Haefs

Edition Nautilus, 2019, 320 Seiten

(Originalausgabe 2019)