Felicitas Andresen - Sex mit Hermann Hesse

Ein provokanter Titel - schließlich handelt es sich bei Hermann Hesse um einen Heiligen!

"angefixte besucher stehen am tisch. sie starren auf die bücher. ich betrachte ihr betrachten. das ist kein normales suchen und wählen. sie stehen vor dem numinosen. sie warten darauf, dass sie erleuchtet werden. sie wollen wissen, welches buch sie kaufen müssen, welches das für sie angemessene heilmittel ist. welches die richtige potenz, die korrekte verdünnung. Hermann Hesse ist der brennende dornbusch, Hermann Hesse konnte auf dem wasser gehen."

 

Der Roman stammt aus der Feder einer "aufsichtsbeauf-tragten"  des Hermann-Hesse-Höri-Museums in Gaienhofen am Bodensee. Einer Dame also, die für frische Blumen sorgt, Flyer ordnet, Vitrinen reinigt, Besucher beobachtet, Fragen beantwortet - und viel Zeit mit Hermann Hesse verbringt.

Die großen Fotografien betrachtet, seine Schriften um sich und den sagenhaften Schreibtisch vor Augen hat.

Die eintaucht in das Leben und Werk des Nobelpreisträgers von 1946.

 

Von 1904-12 lebte der Dichter in dem kleinen Ort, in zwei verschiedenen Häusern. 

Auch die Schriftstellerin Felicitas Andresen wurde in Gaienhofen geboren, lebt nun seit zwanzig Jahren wieder dort, verdient sich ein Zubrot im Museum.

 

Ihr Blick auf den Dichter und den Betrieb um ihn herum ist im besten Sinne frisch und frech. Sie wahrt eine gepflegte ironische Distanz, die sich in vielen kleinen, witzigen Episoden ausbuchstabiert. 

 

Teilweise sind diese Momentaufnahmen von der Umgebung inspiriert, wie zum Beispiel die Begegnungen mit Kolleginnen, das versehentliche Einschließen einer alten Dame am Abend - und die daraus entstehenden Konflikte, die Vorbereitung einer literarischen Wanderung durch den Ort und viele andere mehr.

 

Oder aber sie denkt schreibend nach über Hesses Werk,

das zum Leidwesen namhafter Kenner von der Literatur-wissenschaft (anscheinend) zu wenig beachtet wird. 

 

Felicitas Andresen hat jedenfalls eine ganz eigene Meinung zu den Texten Hesses. 

Über den "Steppenwolf" schreibt sie - wie immer alles in kleinen Buchstaben, mit Ausnahme der Namen - eine Idee von Demokratisierung auch in der Orthografie??:

 

"es ist das buch über einen jammernden neurotischen verklemmten spießer auf abwegen.

sag jetzt nicht, das soll es ja auch sein. 

du hast nicht das thema verfehlt. im gegenteil, du hast es übererfüllt. du hast einen jammernden neurotischen verklemmten spießer mit einer jammernden neurotischen verklemmten sprache geschildert."

 

Häufig spricht sie den Dichter direkt an, begibt sich in einen Dialog mit ihm - weder das, noch die Aussagen selbst, dürften allen Liebhabern des Meisters gefallen.

 

Und dann ist da ja noch die Sache mit dem Sex.

Dramaturgisch gut vorbereitet durch einen Exkurs über Bienen und Schwertlilien widmet sich Felicitas Andresen der leiblichen Seite ihres Arbeitgebers:

 

"hinterm museum befindet sich, wie schon erwähnt, das Scharzenegger-, das men´s-health-des-dreißigjährigen-photo mit nacktem oberkörper und sichtbarem bizeps und der Chiantiflasche daneben. mit bart und zähnen wie implantate. er sieht zum anbeißen aus..."

 

Ich finde, es ist eine charmante Art, darauf hinzuweisen, dass auch Dichter nicht nur aus Gehirn bestehen - und eine Möglichkeit, sie aus der Vitrine zu holen, auch wenn die Reinigung derselben ein hingebungsvoller Akt ist.

Und Hermann Hesse, der dreimal verheiratet war und Kinder hatte, der den Wein, die Zigarren und Gartenarbeit liebte, der unbekleidet Frischluftbäder nahm, der nackt kletterte und sich dabei fotografieren ließ - kann man diese sinnliche Seite denn ausklammern?

 

Die Autorin wagt eine ehrliche Auseinandersetzung mit dem Werk Hesses, mit den kulturbeflissenen Besuchern, mit den professionellen Literaturbetrachtern. Dabei spart sie nicht mit Selbstironie, auch diese häufig gebrochen im hesseschen Spiegel.

 

Außerdem muss unbedingt noch eine ganz bestimmte Qualität des Romans erwähnt werden, die an Thomas Bernhard und seine berühmten Schmähreden erinnert.

 

Ein Beispiel: es geht um "gasthörer", häufig Senioren (Felicitas Andresen ist selbst eine solche Gasthörerin in Konstanz):

 

"gasthörer sind sowieso völlig schamlos, kommen immer zu früh und besetzen die besten plätze, breiten sich aus mit schirmen und klamotten für jede denkbare wetterlage und wasserflaschen und tupperdosen und aus Ilias abgedruckten handouts, auf die sie schrecklich stolz sind, ha, ich kann internet, und rufen sich ihre krankheiten zu und die passenden homöopathischen mittel und bringen sie sich sogar gegenseitig mit und das schlimmste ist: SIE WERDEN NUR DURCH DEN TOD EXMATRIKULIERT! sie sind, wie gesagt, völlig schamlos oder sie haben die scham knallhart verdrängt. denn man muss sich schämen, wenn man so alt und hässlich und eklig ist und immer noch die luft einatmet und ausatmet und den armen kindern in Indien den reis und den mexikanischen kindern den mais wegisst und sich nicht einfach auf eine eisscholle begibt und ins Nirwana driftet. ich meine auch die frau da im spiegel ... aber ich kann dem glück des dazulernens nicht widerstehen. "

 

Bloß nicht auf die Eisscholle, lieber ins Museum, kann man da nur sagen!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Felicitas Andresen: Sex mit Hermann Hesse

Klöpfer & Meyer, 2015, 202 Seiten