Maria Attanasio - Stark wie nur eine Frau

Die beiden Erzählungen aus dem Sizilien des 17. bzw. 18. Jahrhunderts stellen mutige und rebellische Frauen in den Mittelpunkt. Beide, die Bäuerin Francisca und die Adlige Ignazia, beugen sich nicht den Vorstellungen ihrer Zeit. Sie beharren auf ihrer eigenen Art zu leben, gemäß ihren Wünschen und Fähigkeiten. Eine solche Idee kommt einem Affront gleich.

 

 

Denn in einem Land, in dem seit Jahrhunderten nicht nur

die Barone und Grafen, sondern vor allem die Inquisition regiert, ist es nur eine Frage der Zeit, bis diese auf eine nicht regelkonform lebende Person aufmerksam wird.

 

Die Erzählungen Maria Attanasios, 1943 in Caltagirone auf Sizilien geboren und noch immer dort lebend, beruhen auf Geschichten aus alten Chroniken. Indem sie den realen, historischen Kern fiktionalisiert, arbeitet sie einen Gedanken ganz klar heraus: immer wieder wurde mit der Aussage,

die Welt, wie sie ist, mit all ihren Konventionen, sei natur-gegeben auch gesagt, sie sei unveränderbar.

Ein Argument, das heute noch zu hören ist!

 

Die erste Erzählung, "Wir schrieben das Jahr 1698 und in der Stadt trug sich Denkwürdiges zu", handelt von Francisca.

Sie ist völlig alleine, hat in einer Zeit, die unter Dürre und Hungersnot, Epidemien und Erdbeben litt, ihre ganze Familie und auch ihren Mann verloren. 

 

Nach alter Sitte hätte sie nun nur noch eine Möglichkeit gehabt, ihren Lebensunterhalt zu verdienen: als Prostitu-ierte. Doch Francisca wählt einen anderen Weg. Sie macht das, was sie auch schon in ihrer Ehe getan hat: das Land bestellen. Sie gesellt sich zu den Tagelöhnern, wofür sie nichts als Hohn und Spott erntet. Doch als sie beweisen kann, wie geschickt sie ist, "wetteiferten nun alle darum, sie zu beschäftigen." 

Weil sie als Frau nicht hätte arbeiten dürfen, trägt sie  Männerkleidung, zur Tarnung, und schließlich macht sie auch Männerarbeit.

 

Sie beginnt ein Leben als Messer Francisco, als "Mann-Weib".

"Franciscas neue Identität erregte, wie nicht anders zu erwarten, Anstoß und Misstrauen, und ihr einzelgänger-isches, abweisendes Verhalten bot dem noch zusätzlich Nahrung."

 

Die Inquisition wird hellhörig. Francisca wird gejagt, verhaftet, erniedrigt, befragt. Die Uneindeutigkeit ihres Geschlechts stört die Ordnung, ihre Aussage "Innen Frau, und außen Mann", beruhigt die Gemüter nicht.

 

In dieser Geschichte erzählt Maria Attanasio weit mehr als das Schicksal der Francisca. Sie stellt die Fragen: was definiert das Geschlecht einer Person, die Biologie oder die Umgebung und ihre Erwartungen? Warum ist der Wunsch, es zu definieren, so groß? Muss es denn unbedingt bestimmt werden? Warum gleicht es einem Kapitalverbrechen, außer-halb der Ordnung zu stehen?

 

Die zweite Erzählung, "Der Glanz des Nichts" widmet sich Ignazia. Sie ist ein dickköpfiges Kind und verfällt schon früh auf sonderbare Ideen. Sie möchte auf einer Bühne stehen und singen. Weil man es ihr verbietet, fragt sie: "Nur weil ich ein Mädchen bin, darf ich nicht?"

 

"Donna Innocenza war fassungslos ob des Ansinnens ihrer über alles geliebten Tochter, die offenbar die natürliche Ordnung der Dinge nicht anerkennen wollte: nämlich dass die Männer, die Kastraten, singen, niemals aber die Frauen; dass die Welt seit Anbeginn nun einmal so war und so bleiben würde, auf immer."

 

Für immer verweigert Ignazia von nun an weibliches Verhalten. Sie entwickelt sich vom aufmüpfigen Mädchen zur exzentrischen Frau. Die Adelige lebt ohne Luxus im Dienstbotentrakt, liest, schreibt, betet, fastet, folgt "einzig den verschlungenen Wegen ihres Geistes". 

Ganz Intellekt, ganz "radikale Bejahung des Nichts",  verweigert sie sich allen Wünschen und Ansprüchen der Gesellschaft. Mutig hatte sie "das enge Korsett des Wohlstan-des, der aristokratischen Herkunft, der Gefühlsbindungen abgestreift..."

 

 

Beiden Erzählungen gemein sind die allgemeinen Betrachtungen, mit denen Maria Attanasio ihre Geschichten aus der Übergangszeit zur Aufklärung unterlegt.

Diese gelten nicht nur der Rolle der Frau, sondern auch der  Identitätssuche, Bildung und intellektueller Kraft, Macht-gefüge und Hierarchien.

Sie entwirft Figuren, die niemandem nacheifern, keine Frauen, die sich an Männern orientieren, sondern solche,

die stark genug sind, sich nicht zu verleugnen.

 

Beide Erzählungen sind raffiniert aufgebaut und in einer Sprache verfasst, die dem historischen Stoff gerecht wird, keineswegs jedoch versucht zu historisieren.

Manche Passagen lesen sich wie Berichte, andere wie Kommentare, die Dialoge sind im damaligen Sprach-gebrauch verfasst. Poetisch sind die Beschreibungen der Landschaft, der Vegetation, aufwühlend und ohne falsche Scham dargestellt die sexuelle Gier mancher Inquisitoren, d.h. der Mächtigen. 

 

Maria Attanasio verankert die beiden Protagonistinnen in ihrer Zeit. Zugleich macht sie klar, dass sie nicht über vergangene Zeiten und Probleme schreibt. Mit ihrem Stil überbrückt sie die Jahrhunderte.

 

 

Übersetzt in ein schwebendes Deutsch wurden die Texte von Judith Krieg und Monika Lustig. Letztere hat auch das sehr lesenswerte Nachwort verfasst, in dem sie die Figuren nicht nur geistesgeschichtlich einordnet, sondern auch betont, wie modern sie sind. Noch immer ist Selbstbestimmung eine Kampfansage.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Maria Attanasio: Stark wie nur eine Frau, Erzählungen

Übersetzt von Judith Krieg und Monika Lustig

Edition Converso, 2021, 160 Seiten

(Originalausgaben: "Wir schrieben das Jahr 1698..." 1994,

"Der Glanz des Nichts" 2020)