Banine - Kaukasische Tage

Welch eine offen und ehrliche,  bildhafte und anschauliche Lebens-beschreibung der 1905 in Baku geborenen Schriftstellerin. Ihre ersten achtzehn Jahre verbringt sie in der Hauptstadt Aserbaidschans, als Tochter eines der reichsten Männer der Stadt. In dieser ausufernden Familie, in diesen Umbruchzeiten, muss sie sich zurechtfinden.

 

Der Reichtum ihrer Familie stammt aus dem Öl. Ihr Urgroß-vater "wurde als Hirte geboren und starb als Millionär."

Ihr Vater ist nun Chef der Firma, dass er sein Erbe nicht gerecht mit seinen Schwestern geteilt hat, ist immer wieder Grund für Streitereien bis hin zu wüsten Beschimpfungen mit Schwagern, Neffen, Cousins...

 

Die Meisterin der Flüche ist Banines Großmutter.

Sie ist einerseits die uneingeschränkte Herrscherin über die ganze Familie, eine traditionell ausgerichtete Muslima. Andererseits kann sie die Folgen des gesellschaftlichen Wandels nicht nachvollziehen, das raubt ihr im Lauf der Zeit die Kraft.  Der Wandel der Verhältnisse macht sich in Aserbaidschan schon vor der Russischen Revolution 1917 bemerkbar. Das Öl lockt Abenteurer und Goldgräber aus aller Welt an, sie bringen neue Ideen ins Land. Von diesen werden vor allem die Frauen angesteckt, die die bisher unbekannten Freiheiten zu schätzen wissen.

 

Auch durch Banines Familie zieht sich ein Riss zwischen Traditionalisten und Fortschrittlichen. Ihr Vater ist offen für die europäische Lebensweise. Sie hat ein deutsches Kinder-mädchen, lernt auf dem Klavier Bach und Mozart zu spielen. Sie spricht und schreibt Russisch und sehnt sich nach Paris.

 

Neuen Schwung bekommt ihre Bewunderung für Europa, als ihr Vater in zweiter Ehe (Banines Mutter ist kurz nach ihrer Geburt verstorben) Amina heiratet. Sie ist zwar muslimisch, wurde aber in Moskau und Paris erzogen. Banine liebt Amina schon bevor sie sie gesehen hat. Leider wird sie nie deren Herz erobern, sie ist der Stiefmutter schlicht gleichgültig.

 

Mit Amina, deren Credo "Fortschritt für alle" ist, enden nicht nur die mehrmonatigen Sommeraufenthalte auf dem Landsitz der Familie, "Aminas Ankunft stellte unser ganzes Leben auf den Kopf, sowohl in geistiger wie in materieller Hinsicht."

Dass wenig später die Revolution auch die Sowjetrepublik Aserbaidschan kräftig durchschüttelt, addiert sich zu den Veränderungen, die mit Amina kamen.

 

Der gesamte Besitz der Familie wird enteignet, einschließlich der Häuser. Für einige Monate fliehen sie nach Persien, um den Unruhen zu entgehen.

Nach der Rückkehr zeigt sich Banine aber unerwartet offen für die revolutionären Ideen, was aber hauptsächlich daran liegt, dass sie sich ausgerechnet in einen Revolutionär verliebt hat.

 

Dieser macht Ferien in ihrem ehemaligen Landsitz, der nun zur Hälfte ein Erholungsheim für verdiente Parteimitglieder ist. Andrei heißt er, in Banines Augen ist er der wieder-auferstandene Fürst Bolkonski aus Tolstois "Krieg und Frieden". Da Banine sich in langen Nächten, die sie bei ihrer Tante verbracht hat, durch die klassische Literatur gelesen hat, verbindet sie ihr Leben gern mit dem von Roman-figuren. Mit Andrei erlebt sie einen eigenen Roman, er wird ewig ihre große Liebe bleiben.

 

Heiraten wird sie mit fünfzehn Jamil, er ist fünfunddreißig, sie findet ihn rundum eklig. Es geschieht auf Wunsch ihres Vaters. Sie hätte ablehnen können, wie er sagt, aber sie weiß, dass sie nicht hätte ablehnen können.  Bei aller Fortschritt-lichkeit, der Vater braucht Jamil, zuerst, um aus dem Gefängnis zu kommen, in das ihn die neuen Machthaber nach Ende der kurzen Unabhängigkeit Aserbaidschans gebracht haben, dann, um ihm einen Ausreisepass zu verschaffen. Der Vater möchte nach Paris, wo sich Amina und Banines ältere Schwestern bereits aufhalten.

 

Banine folgt der Vernunft, nicht dem Herzen.

Sie ist nicht wie ihre Cousine Gülnar, eine wichtige Figur in diesem Buch. Gülnar ist eine extrem praktische Frau.

Für sie gibt es nichts wichtigeres als die Liebe, vor allem in sexueller Hinsicht. Ihre Ansichten sind sehr modern, auch wenn sie sich immer wieder scheinbar den traditionellen Gesetzen unterordnet. 

 

Gülnar ist nur eine der schillernden Figuren neben der Großmutter, den diversen Onkeln und Cousins, den ewig Poker spielenden Männern und Frauen, das ganze Buch ist gespickt mit Szenen einer islamischen Gr0ßfamilie mit undurchschaubaren Doppelrollen.

 

Banine, geboren unter dem bürgerlichen Namen Umm-El-Banine-Assadoulaeff, erzählt all diese Begegnungen, Ereignisse, Verwicklungen, Beschimpfungen und Versöhn-ungen, versetzt mit ihren Gedanken, Tagträumereien, Hoffnungen, Ängsten, Sehnsüchten, Enttäuschungen, ihrem Fallen und wieder Aufstehen, so lebendig und anschaulich, als Lesende meint man, mit am Tisch zu sitzen.

 

Die Autorin erzählt konsequent aus dem Blickwinkel des Kindes, der jungen Frau. Ihr Erleben der Widersprüchlich-keiten, ihr Ringen um Emanzipation, bis hin zu ihrer Ausreise aus Baku 1923 mit dem Orientexpress, der sie nach Paris bringt - alleine, ohne ihren Ehemann - diese aufregende, spannende, die Zeitläufe spiegelnde Geschichte, ist eine sehr spannende Lektüre. Und an vielen Stellen auch eine erheiternde, denn Banine verfügt über einen wunderbaren Humor.

 

Beispielsweise, wenn sie über ihre jungmädchenhafte Verliebtheit schreibt. Sie und ihre beiden Schwestern Süreya und Suleyka lieben nämlich immer im Kollektiv:

 

"Süreya war zurückhaltend, still und artig erzogen, Suleyka dagegen feurig, redegewandt, hitzig und denkbar ungezogen. Sie wusste immer alles besser, hielt sich für die intelligentes-te Person der bekannten Welt, schrieb sich jedes Talent zu. Süreya war nun zwar die Ältere, blieb jedoch bescheiden im Hintergrund und nahm Suleykas Einfluss ohne allzu großen Widerstand hin. Mir dagegen fehlte die Neigung zum Gehorsam, ich rebellierte gegen ihre kategorischen Befehle und unumstößlichen Meinungen und regte mich furchtbar auf. Darum stand ich nicht allzu sehr unter ihrem Einfluss, außer in puncto Liebe: Sie gab immer das Startsignal für unsere kollektive Verliebtheit. Sobald Suleyka jemandem schöne Augen machte und anfing, affektiert von ihm zu sprechen, war klar: Wir würden ihn zusammen lieben, und ich bereitete mich auf dieses wichtige Ereignis vor."

 

Dieses Zitat zeigt Banines Humor, die Leichtigkeit ihres Erzählens, zeigt, wie sie sich in ihrem Umfeld verortet, ihr Handeln und ihre Gefühle reflektiert, ihren genauen Blick auf andere und sich selbst.

 

Man lernt in diesem Buch einen sympathischen Menschen, eine turbulente Großfamilie und einen Teil der Geschichte eines Landes in besonderen Zeiten kennen.

 

In das die Autorin bis zu ihrem Tod 1992 niemals zurück-kehrte. "Es wäre eine Lüge zu sagen, dass ich es nicht bereue", schreibt sie in ihrem "Kurzen Abriss zur Geschichte Aserbaidschans zu Beginn des 20. Jahrhunderts", der dieser Ausgabe beigefügt ist.

 

 

Große Empfehlung!

 

 

 

 

 

 

 

 

Banine: Kaukasische Tage

Aus dem Französischen von Bettina Bach

Mit einem Nachwort von Olga Grjasnowa

dtv Hardcover, 2021, 320 Seiten

(Originalausgabe 1945)