Alan Bennett geht ins Museum

Alan Bennett, 1934 in Leeds geboren, 

ist nicht nur Produzent der TV-Comedy-Revue Beyond the Fringe,

er ist einer der populärsten Dramatiker Großbritanniens und er hat einige Romane verfasst, die sowohl Kritiker als auch das Publikum nicht nur überzeugt, sondern begeistert haben.

Allen voran "Die souveräne Leserin", jene Geschichte einer charmanten Königin, die sich ihre Bücherliebe nicht verbieten oder gar austreiben lässt.

 

Diesmal geht Bennett ins Museum, wie er das seit seinem ersten Schulausflug im Jahr 1957 sehr häufig tut.

 

So sind es auch die Erfahrungen des Kindes, auf die er in den sieben Essays, die in diesem schönen Band versammelt sind,  immer wieder zu sprechen kommt.

 

"Holländische Bilder mag ich nicht", sagte er eines Tages dem Museumsleiter Neil MacGregor ins Gesicht.

Sehr merkwürdig für einen Mann, der gerade in den Stiftungsrat der National Gallery gewählt wurde.

Aber warum mag er keine Bilder von Vermeer, de Hooch oder sogar Rembrandt?

"Da ging mir auf, dass es daran lag, dass ich als Kind viel zu viele solche Bilder als Puzzles geschenkt bekommen hatte.

So viel Himmel und so viele verschiedene Brauntöne:

Sie mögen zwar Meisterwerke sein, aber als Puzzles sind sie harte Nüsse." 

Eine weitere Malschule ruiniert seine Mutter für ihn:

"Da Mam sich so nach Vornehmheit sehnte, schnitt sie die Blumendrucke (aus My Home) aus, schob sie in einen Rahmen, hängte sie über die Anrichte und setzt damit eher ein Zeichen von Hilflosigkeit als von Geschmack."

 

Immer wieder kommt er auf die Notwendigkeit zu sprechen, nach der Kunst, wie Bibliotheken und Schulbildung, kostenlos sein muss.

"Meiner Meinung nach darf keine Hürde, ob finanzieller oder anderer Art, zwischen den Menschen und ihren Bildern errichtet werden. Sie gehören ebenso sehr den Jungen oder Mädchen, die in einem Hauseingang an der Londoner Strand schlafen, wie den Mäzenen, deren Namen auf Messingtafeln an den Wänden der Gallery prangen."

 

Unnötige Bürokratie macht allen kulturellen Einrichtungen zu schaffen, sie müssen ihre Existenz verteidigen und ihre Wichtigkeit nachweisen.

"Aber man kann nicht oft genug wiederholen, dass das Herzstück des Museumserlebnisses, die Erfahrung, die ein Mensch vor einem Kunstwerk macht, nicht gemessen werden kann und oft genug sogar dem Erlebenden selbst ein Rätsel bleibt."

 

Viel Zeit verbringt Bennett schon als Kind im Museum oder der Bibliothek, "weil es schlicht keine aufregenderen Orte gab, an die man gehen konnte." So gewöhnt er sich allmählich an die "Gegenwart von Kunst, ohne Kunst - und das war wichtig - unbedingt für etwas Besonderes zu halten."

 

So ist das ganze vorliegende Buch (auch) ein "Plädoyer für

die Normalität der Kunst".

Sie ist Teil des Lebens, sie ist eine Notwendigkeit.

 

Und weil sie so normal ist, kann man gerne auch den Nimbus der Heiligkeit hinwegfegen und den Herren und Damen auf den Bildern auf Augenhöhe begegnen.

Das geschieht bei Bennett erwartungsgemäß mit Respekt und Ironie. Schließlich ist beispielsweise die Ikonografie,

also das Herausarbeiten des wer ist wer und was ist was auf einem Bild auch nur die "vornehmere Variante einer äußerst englischen Beschäftigung...: des Klatsches."

 

Auch die Heiligenlegenden sind für Bennett Quell des Tratsches, er kann herzlich über diese Darstellungen lachen, was nicht heißt, dass er ihnen keine Wertschätzung

entgegen bringt.

Wichtig ist ihm der ganz persönliche Zugang eines Museumsbesuchers zu einem Bild. Wenn dieser in einer dargestellten historischen Person einen zeitgenössischen Schauspieler erkennt ist das genauso legitim wie eine intellektuelle Herangehensweise.

Hauptsache, das Bild wirkt und hinterlässt Spuren.

 

Bennetts persönlicher Zugang zur Kunst ist so unvorein-genommen, dass er auch vor Autoritäten wie Caravaggio, Michelangelo, Bellini oder Hockney nicht halt macht.

Er stimmt zwar ungern, aber eben doch, einer seiner Figuren eines Stückes zu, die der Meinung ist, die Brüste der Frauen Michelangelos sähen aus "als hätte man sie mit dem Eisportionierer auf den Körper geschaufelt. Hat das noch nie jemand bemerkt?"

Diese Stelle ist ein wenig flapsig, aber eben auch griffig.

 

In seinen Bildbetrachtungen lässt Bennett seinen Gedanken freien Lauf, und es ist eine Freude, ihm dabei zu folgen.

Und er schildert ja nicht nur die Bilder, sondern auch die Menschen, die die Bilder betrachten. 

Und immer wieder betont er damit aufs Neue, wie vielfältig, individuell, existenziell Kunst ist.

Wie barbarisch, den Zugang zur Kunst zu beschneiden.

 

Es ist ein großes Vergnügen, mit diesem charmanten, wortgewandten und frei denkenden Bilderstürmer ins Museum zu gehen. Seine Geistesblitze erhellen die Bilder und den Betrachter/Leser, seine Diebstahlphantasien erheitern, die Einflechtung englischer Gewohnheiten erfreut sowieso immer, und sein Stil ist sehr britisch im Sinne einer komischen Ernsthaftigkeit, die sehr gekonnt auf doppeltem Boden tanzt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Alan Bennett geht ins Museum

Übersetzt von Ingo Herzke

Wagenbach SALTO, 2017, 144 Seiten mit vielen Abbildungen

(Originalausgaben der verschiedenen Essays 2005-2016)