T.C. Boyle - Hart auf Hart

Boyle zitiert auf der ersten Seite seines neuen Romans D.H. Lawrence

(1885-1930):
"Die amerikanische Seele ist ihrem Wesen nach hart, einzelgängerisch, stoisch und ein Mörder. Sie ist noch nicht geschmolzen." 

Boyle scheint davon überzeugt zu sein, dass sich diese Seele noch nicht wesentlich verändert hat.

 

Der Roman ist in 13 Kapitel unterteilt, die alle den Namen eines Ortes tragen. Einen besseren Überblick kann ich jedoch geben, wenn ich mich an die Personen halte.

 

Protagonist ist der fünfundzwanzigjährige Adam Stenson.

Er wohnt im Haus der verstorbenen Großmutter, geht keiner Arbeit nach, lehnt das kapitalistische Unterdrückersystem total ab, träumt von einem Leben als Waldläufer und ist ein grenzenloser Bewunderer von John Colter.

Dieser war ein Trapper und Fallensteller, vermutlicher Entdecker der heißen Quellen des Yellowstone-Parks und Begründer eines Mythos, der gerne erzählt und diverse Male literarisch verarbeitet wurde: Colter schlug sich ganz alleine in der Wildnis gegen alle Gefahren, die diese zu bieten hat und - das ist der Höhepunkt seines Lebens -  gewann ein Rennen gegen die Blackfoot-Indianer. Dies war kein sportlicher Wettkampf, sondern ein Rennen um Leben und Tod. Colter ging aufgrund seiner Stärke, seiner Schläue und seines Mutes als Sieger daraus hervor, d.h. er überlebte nach unglaublicher Leistung.

 

Dieser Mann aus der frühen Geschichte Amerikas - Colter lebte von 1774-1813 - ist Adams Vorbild. Adam möchte genau so unabhängig von den Menschen und der Zivilisation leben wie der Waldläufer.

Sein Plan: mit dem Erlös seiner Schlafmohnplantage im Wald so viel Geld machen, dass er für immer verschwinden kann. Im Wald leben und nur für ganz wenige Dinge ein bisschen Geld ausgeben,  ansonsten frei sein, nichts als frei.

 

Adams Eltern sind Sten und Carolee. Sten ist pensionierter Schulleiter und Vietnamveteran, Carolee reist gerne und kümmert sich um Tiere, die auf einer Farm von Freunden leben.

Der Kontakt zu Adam ist so gut wie abgerissen. Nachdem viele Versuche gescheitert sind, Adam in ein normales Leben einzugliedern, haben die Eltern ihn abgeschrieben.

D.h. Sten hat dies getan, Carolee hofft nach wie vor auf eine Wendung zum Guten.

Carolee ist eine Figur, die etwas blass bleibt. Sie ist die liebende Mutter, die den Vater dafür verantwortlich macht, dass mit dem Sohn rundherum alles schief gelaufen ist.

 

Wesentlich deutlichere Konturen gewinnt Sten, mit ihm beginnt der Roman. Er und Carolee sind auf Kreuzfahrt.

In Costa Rica machen sie einen Landausflug in den Dschungel. Dort wird die Rentnergruppe von drei jungen Männern bedroht, bzw angegriffen. Sten will sich nicht ausrauben lassen, er  handelt: 

"Bei dem, was Sten als Neunzehnjähriger, als Rekrut, als Greenhorn, gelernt hatte, war es nicht um Selbstverteidigung gegangen, sondern ums Töten, und wer konnte so was je vergessen?...Das erste, was sie einem beibrachten: Drück ihm die Luft ab und lass nicht los, ganz gleich, was er macht. ... Es war jenseits jeder Vernunft, es lief automatisch ab, es wurde einfach abgerufen, einmal Marine, immer Marine."

Sten erdrosselt den jungen Mann. Aus Notwehr.

So sieht es auch die örtliche Polizei, die ebenso wenig einen Skandal will wie das Reiseunternehmen.

 

Sten kehrt als Held zurück. Fremde Leute spendieren ihm Getränke, seine Gewissensbisse verdrängt er.

Er hat doch richtig gehandelt, oder? Sich und die anderen verteidigt,  die Welt von einem kleinen Gauner befreit.

 

Diese Tat steht jenen gegenüber, die später Adam begehen wird. Adam erschießt zwei Männer. Er ist ein von mit allen technischen Hilfsmitteln ausgestatteten Spezialeinheiten gesuchter Mörder, der es schafft, die Polizei mehrere Wochen zu täuschen und an der Nase herumzuführen, bis er einen Moment nicht aufpasst. Er hat Schwäche gezeigt und seine Freundin Sara besucht. 

Für sein Lebensende hat Adam Colter immer gehasst: 

er verließ den Wald, heiratete, gründete eine Farm und starb im Bett. 

 

Sara: auch sie ist eine radikale Anhängerin des persönlichen Freiheitsgedankens. Sie empfindet es als Bevormundung, dass sie sich anschnallen soll. Sie dreht vollkommen durch, als sie bei einer Verkehrskontrolle ihre Papiere zeigen soll.

"Ich habe keinen Vertrag mit euch" ist ihr Kampfruf.

Sie erkennt die Autorität des "Konzernstaats" nicht an, zahlt keine Steuern, pocht auf einen Zusatzartikel der Verfassung, in dem sie ihre Rechte garantiert sieht, die der Staat beschränkt. Sie gerät immer wieder in Konflikt mit dem Gesetz, mehr als einmal muss ihre Freundin Christabel sie mit Kaution aus dem Gefängnis holen.

Aber Sara hat eine "beste Freundin", sie ist sozial noch ein wenig eingebunden, verdient ihr Geld mit Arbeit - diesen Zustand hat Adam schon lange hinter sich.

 

Zuerst versteckt Sara sich bei Adam, später wohnen sie bei ihr - das sind nur Durchgangsstationen. Adams eigentliches Ziel ist ein Bunker im Wald, wo er unangreifbar sein wird, wenn es hart auf hart kommt.

 

Der Staat setzt nach den Morden seine ganze Macht und Brutalität ein, um Adam auszuschalten - es war nie daran gedacht worden, Adam festzunehmen. Von vorn herein war klar, dass er getötet werden soll.

 

Es gibt Morde, die den Mörder zum Helden machen.

Es gibt Mythen in einer Gesellschaft, die Tugenden feiern, die in der modernen Welt keinen Platz mehr haben sollten.

Es gibt eine Sehnsucht nach Freiheit, die sich mit Paranoia und Verfolgungswahn paart und zerstörerisch wird.

Es gilt die sehr schlichte Wahrheit: nur wer ein Gewehr hat, kann damit schießen.

 

Durch den Rückgriff auf den Colter-Mythos, mit dem Adam sich selbst eine Art Legitimation für seine Morde gibt (und der im Gegensatz zu Colter das Rennen nicht gewinnt),

und die Tötung des jungen Costa Ricaners durch den Vietnamveteranen Sten verbindet Boyle mehrere Ebenen von Gewaltausübung im Namen der Freiheit. 

Die jungen Außenseiter sind jedenfalls nicht vom Himmel gefallene Irre - Boyle geht hart ins Gericht mit dem Land,

in dem er lebt. Und das in einem spannenden Roman.

 

 

 

 

 

 

 

 

T.C. Boyle: Hart auf Hart

Übersetzt von Dirk van Gunsteren

Hanser Verlag, 2015, 395 Seiten

dtv Taschenbuch, 2016, 400 Seiten

(Originalausgabe 2015)