Bjarte Breiteig - Die kennen keine Trauer; Erzählungen

Sieben Erzählungen umfasst der vorliegende Band, sieben Mal steht

ein Mann oder ein Junge im Zentrum der Momentaufnahme. Nur eine der Erzählungen, die letzte, die auch inhaltlich etwas aus dem Rahmen fällt, erstreckt sich über eine kurze Zeit-spanne (um Weihnachten herum), die anderen konzentrieren sich auf einen Tag (und eine Nacht). 

Bjarte Breiteig versteht sich auf die Kunst der Verdichtung, in einem bestimmten Ereignis konzentriert er eine Lebensgeschichte.

 

Die Situationen, die beschrieben werden, sind keine schönen.

 

Zwei Jugendliche, die im Werkraum einer Schule alles kaputt machen, was in Handarbeit von Schülern gefertigt wurde.

Die buchstäblich blinde Zerstörungswut bricht sich hier Bahn, sie ist das Gegenbild zur Freude des Schaffens - zumal einer der Jungen selbst die schönsten Arbeiten hervorbringt.

"Karsten lacht und ruft jetzt nicht mehr, sein Gesicht ist steif wie eine Maske ... Bei ihm ist es noch nicht vorbei. Karsten wird nie davon loskommen. Er hackt blind drauflos ..."

 

Ein Arbeiter, der an seinem letzten Arbeitstag unter der Dusche zusammenbricht und sich die Frage stellt:

War es das wert? Und: Was kommt jetzt noch?

"Und zu Hause wartete nur mehr der Stuhl. Dasitzen und das Messer spüren. Das war das Einzige, was blieb."

Das Messer, das sind die fürchterlichen Rückenschmerzen, Sinnbild jahrzehntelanger harter Arbeit.

 

Ein Paar kehrt zurück in das Elternhaus des Mannes, sein Vater ist vor einigen Monaten verstorben.

In dieser Umgebung tritt die Fremdheit, die zwischen ihnen besteht krass zutage, die Schwangerschaft der Frau stiftet keine innere Verbindung. Das gemeinsame Leben scheint unter einer dicken Staubschicht zu liegen. Beide rufen in einem entscheidenden Moment Gott an - er greift nicht ein.

 

Ein Junge, der fürchtet, seine Stiefschwester sei bei einem Brand ums Leben gekommen. Seine Mutter sucht nach ihr, ihr leiblicher Vater behält die Nerven - oder ist er einfach zu erschöpft, um zu reagieren?

 

Ein junger Mann, der wenige Wochen nach einem Selbst-mordversuch wieder bei der Arbeit erscheint, dies wird mit einem Alkoholexzess gefeiert. Warum hat es ihn so mitgenommen, von diesem "Weibsbild" sitzen gelassen zu werden? - Er hatte ihr sein Liebstes geopfert.

 

Ein Mann und sein Sohn kehren zurück ins Elternhaus des Mannes. Ohne Frau bzw Mutter. In diesem Haus lebt die Erinnerung an den früh verstorbenen Bruder des Mannes, dieser - oder ist es der Vater selbst?- schleicht sich in die Träume des Jungen. Ein traumatisches Erlebnis.

 

Die letzte Geschichte erzählt von einem jungen Mann, der sich in eine Welt aus Lügen verirrt.

"`Willst du nicht auf einen Sprung nach Hause kommen?´, fragt Mutter. Ich halte den Atem an und nicke."

 

 

Entweder wird nicht von einer Familie berichtet, oder der Protagonist lebt offensichtlich alleine. Dort, wo Paare bestehen oder bestanden, ist die Situation schwierig, bzw

der Mann ist nun der Verlassene, der Zurückgebliebene

und Leidende.

Nur die Mutter der letzten Erzählung ist eine Frau, die mit einer einfachen Geste dem Ich-Erzähler eine Lösung anbietet. 

 

 

Die Männer sind allesamt gebrochene Helden, und die Jungs auf dem Weg dorthin.

Doch zwischen die Zeilen hat Breiteig die unausgesprochene Sehnsucht und die stumme Hoffnung gewebt.

Er zählt auf die Phantasie des Lesers, die Lücken, die er gelassen hat, zu füllen.

Auch wenn die Erzählungen in sich abgeschlossene Geschichten sind, haben sie ein offenes Ende.

Der Gedanke, dass sich etwas zum Guten wenden könnte, kommt aus der Intensität, mit der die Figuren die beschriebenen Ereignisse erleben - wären sie dazu nicht mehr fähig, wäre jede Hoffnung vergebens.

 

Breiteigs Erzählungen hallen nach, jede für sich.

Sucht man nach den inneren Verbindungslinien zwischen den einzelnen Geschichten, fächert sich ein weites Spektrum an Einblicken auf. 

Bei der ersten Lektüre wirken die Texte kühl, fast einfach, doch bei genauerer Betrachtung entdeckt man wie fein sie ausgestaltet sind.

 

Große Empfehlung!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Bjarte Breiteig: Die kennen keine Trauer

Übersetzt von  Bernhard Strobel

Luftschacht Verlag, 2019, 88 Seiten

(Norwegische Originalausgabe 2000)