Oliver Diggelmann - Maiwald

Der Debütroman des 1967 in Bern geborenen und heute in Zürich Völkerrecht lehrenden Diggelmann rankt sich um den Journalisten Andras Winteler. Dieser ist knappe vierzig, muss gerade die Trennung von seiner Freundin Veronique verkraften und wird unversehens mit seiner Vergangenheit konfrontiert.

Als Reporter für Rechtsangelegenheiten erhält er die Nachricht vom Freitod des Leiters der Universitätsklinik für Psychiatrie, Klaus Maiwald.

Diesen kennt Winteler seit seinem vierzehnten Lebensjahr.

 

Maiwald war ein sehr erfolgreicher Mensch: gut aussehend, charmant und schlagfertig, druckreife Sätze produzierend,

im Fernsehen auftretend und Bestseller schreibend.

In den Augen manches Kollegen war er eher ein "Wissenschafts-Darsteller als ein ernsthafter Forscher."

 

Mit dieser Kritik konnte Maiwald offensichtlich gut leben.

Nach kurzer Recherche für einen Nachruf weiß Winteler auch, dass Maiwald sehr erfolgreich bei Frauen war, diverse Mitarbeiterinnen hegen ihm gegenüber sehr gemischte Gefühle, die auch von Verletzungen herrühren könnten.

 

Für Winteler ist die Sache deshalb eine besondere, weil er Klaus Maiwald seit seiner Jugend kennt.

Damals war er in die Tochter der Maiwalds, Simone, verliebt. Simone war ein gutes Jahr älter als Andras, politisch sehr aktiv und ganz dem Thema Gerechtigkeit verschrieben.

In den 1980er Jahren mischte sie kräftig in der Hausbesetzer-Szene der "Stadt am Fluss", die wohl Zürich sein dürfte, mit.

Simone nahm auch Andras mit in die alte Spinnerei und die beiden führten einige subversive Aktionen durch.

Simone war die Anführerin, Andras folgte teils aus Liebe teils aus Überzeugung. Als sie eines Tages das Auto des Schulleiters mit Farbbeuteln bewarfen und anschließend die Tiere des Terrariums befreiten, flogen sie auf.

Simone wurde von der Schule verwiesen und kam auf ein Internat nach Frankreich. Andras musste eine Strafe verbüßen, durfte aber an der Schule bleiben.

Bei der Unterredung im Büro des Direktors treffen die Eltern der beiden aufeinander und es kommt heraus, dass sie sich kennen. Doch sie halten große Distanz, was Simone und Andras merkwürdig vorkommt, doch sie vergessen dies

auch wieder.

 

Jahre nach dem Ende der Schulzeit treffen sich Simone und Andras wieder. Schnell werden sie ein Paar. Sie zieht bei ihm ein, Ruhe findet sie keine. Ohne Erklärung zieht sie eines Tages aus. Nur einen Tag zuvor war sie bei der Geburtstags-feier ihres Vaters merkwürdig abweisend zu ihm gewesen, Andras hatte auch mitbekommen, dass sich Simone und ihre Mutter stritten.

Kurz darauf geht Simone nach Peru. Von dort wird sie nie wieder zurückkehren, denn sie wird entführt und ermordet.

Sechzehn Jahre ist es nun her, dass Simone verschwand, nie hat Andras erfahren oder verstanden, warum.

 

 

Nun, bei den Recherchen für den Nachruf, trifft Andras auch Simones Mutter Elena. Sie ist unerwartet freundlich, aber auch sehr sparsam mit Informationen.

Andras wendet sich an Jürg, einen Antiquar, bei dem Simone früher als Schülerin arbeitete und der sowohl Elena und Klaus, als auch Paul, Andras Vater, und seine Mutter Agnes aus alten Zeiten kennt. Andras Mutter hat ebenfalls den Freitod gewählt, als er noch sehr klein war, er hat keine Erinnerungen an die Mutter mehr. Und sein Vater Paul hat so gut wie nichts von ihr erzählt.

 

Winteler fällt auf, wie beharrlich alle Beteiligten an dem Wort "Freitod" festhalten, sowohl was Maiwald, als auch was Agnes betrifft. Bei keinem der beiden gibt es eine Erklärung für diese Tat, denn beide schienen sehr dem Leben zugewandt gewesen zu sein. Dunkle Stellen gibt es freilich immer, Maiwald hat dies eleganter formuliert.

 

In Diggelmanns Roman wechseln sich Kapitel, die in der Gegenwart spielen und seine Bemühungen um den Nachruf, die Auseinandersetzungen mit Veronique, sowie sein Leben als Journalist zum Thema haben, mit Kapiteln ab, die in der Vergangenheit spielen.

Und gerade diese, die sich um Simone und Andras Leben als Jugendliche in der 80er Jahren drehen, sind im Präsens geschrieben.

Die Gegenwart hingegen wird im Präteritum erzählt.

 

Das gibt der Vergangenheit eine starke Präsenz.

Ein Gewicht, das sich sehr auf die Jetzt-Zeit legt, und betont, wie sehr die Gegenwart von ihr bestimmt wird.

 

Je tiefer Andras Winteler eintaucht in die Geschichte von Maiwald, Elena, Paul, Agnes, Jürg, der Kommune im Ankerweg, Simone und ihrem Tod 1990 in Peru, desto mehr muss er alles, was er bisher für wahr hielt, revidieren.

 

 

Diggelmanns Geschichte wird mehr und mehr zum Krimi und er schreitet immer tiefer in die menschliche Seele hinab. Ihm ist ein spannender und vielseitiger, auch sprachlich

sehr guter Roman gelungen. Gekonnt streut er hier und

dort einen kleinen Hinweis ein, doch die Lösung findet

sich erst am Ende.

Für Andras müssen all diese Erkenntnisse zu einem Neuanfang führen, vielleicht gelingt ihm dieser sogar zusammen mit Veronique, die er in Genf wieder trifft.

Sie war so wortlos wie Simone aus seinem Leben verschwunden, ist aber nun aber bereit, über die gemeinsame Vergangenheit zu sprechen. 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Oliver Diggelmann: Maiwald

Klöpfer & Meyer, 2017, 252 Seiten