Penelope Fitzgerald - Die Buchhandlung

Penelope Fitzgerald (1916-2000) arbeitete bei der BBC, als Dozentin und einige Jahre in einer Buchhandlung.

Dort scheint sie nicht die besten Erfahrungen gemacht zu haben, hat diese jedoch in einen köstlichen Roman verwandelt. Er ist so durch und durch englisch wie ein Weihnachtspudding oder die Liebe zu skurrilen Geschichten.

 

Eine verwitwete Frau mittleren Alters, also so um die vierzig, möchte eine Beschäftigung und auch etwas Geld verdienen. Sie lässt sich in einem kleinen Ort an der Küste nieder, in dem jeder jeden kennt und in dem es einige leerstehende Häuser gibt. In einem von diesen, in Old House (in dem natürlich auch der Klopfer nicht fehlt), eröffnet Florence Green im Jahr 1959 eine Buchhandlung.

Damit kommt sie der obersten Instanz des Ortes,

Mrs. Gamart, in die Quere: diese hatte geplant in Old House ein Kulturzentrum einzurichten. Mit Konzerten und Ausstellungen, die Leben und wichtige Menschen nach Hardborough bringen sollten.

 

Das Old House stand seit vielen Jahren leer. Es ist feucht, wie alle Häuser in Flussnähe, es fehlen Dachziegel und Florence muss kräftig investieren, bevor die Buchhandlung eröffnet werden kann. Dass sie ausgerechnet dieses Haus ausgewählt hat, erzürnt nicht nur Mrs. Gamart, sondern auch den Frischfischhändler, der sein Geschäft schließen und aus diesem Grund sein Haus verkaufen will.

 

Keine guten Startbedingungen also. Florence bestellt aber doch eine Erstausstattung an Büchern und Postkarten (für die Feriengäste), sie engagiert eine geübte Buchhalterin für ordentliche Buchführung und schon nach kurzer Zeit stellt sie die zehnjährige Christine ein, die aus einer kinderreichen Familie stammt und einen Job sucht, um etwas Geld zu verdienen.

 

Florence und Christine werden schnell ein ungewöhnliches Team, bei dem nicht immer klar ist, wer das Sagen hat, denn Christine ist eine willensstarke Person und Florence sehr bemüht, alles richtig zu machen und niemanden zu beleidigen.

 

Christine ist sehr gut darin, die Leihbibliothek zu organisieren. Diese hatte im ersten Anlauf zu Zerwürfnissen innerhalb der Gemeinde geführt, denn Florence hatte den Fehler gemacht, die Kunden sehen zu lassen, was die anderen Leser für Bücher zugeteilt bekommen  ("...die Stimmung in dem überfüllten hinteren Teil der Buchhandlung ähnelte ganz plötzlich dem großen historischen Ansturm auf die Bank of England"). Christine weiß besser, wie man das handhabt.

 

Auf die Idee der Leihbibliothek hatte sie Mr. Brundish gebracht, ein Faktotum des Ortes. Der alte Mann hat sein Haus seit Jahren nicht mehr verlassen, er empfängt äußerst selten Besuch, ist aber eine wichtige Instanz, da er im Krieg bei der Luftwaffe war. Als Pilot, nicht als Helfer am Boden.

Er war der einzige, der es mit Mrs. Gamart aufnehmen konnte. War. Er ist es nicht mehr.

 

Zwar kann er Florence am Anfang noch ein wenig unterstützen, aber am Ende reichen seine Kräfte nicht dafür aus. Als er sein Haus verlässt, um Mrs. Gamart aufzusuchen und Fürsprache für Florence zu halten, kostet ihn das seine letzten Kräfte. Er stirbt, kaum, dass er ihr Haus verlassen hat. 

Sein Ratschlag, Nabokovs "Lolita" in ihrem Laden zu verkaufen, hatte zu Verwerfungen in der Bevölkerung geführt und ihr fast eine Klage eingebracht. Aber die Leute hielten sich noch etwas zurück, weil durchgesickert war -

in diesem Ort gibt es nichts, was nicht durchsickert - dass

Mr. Brundish das Buch schätzte, in literarischer Hinsicht.

 

Als Mr. Bundish nicht mehr da ist, wenden sich vollends alle gegen Florence, angefangen bei Mr. Gipping, Christines Vater, über Christine selbst und der ihr nachfolgenden Aushilfskraft Milo North bis hin zu ihrem Anwalt, der im übrigen auch Mrs. Gamart vertritt.

 

Mrs. Gamart erreicht es mit Hilfe wichtiger Männer, dass im Nachbarort eine moderne Buchhandlung entsteht, außerdem bekommt Hardborough zum ersten Mal in seiner Geschichte eine Stadtbibliothek und Mrs. Gamart nutzt die Stellung ihres Neffen: er gehört dem Parlament an.

Dieses verabschiedet ein merkwürdiges Gesetz, das Florence zum Aufgeben zwingt.

 

Dass es in diesem Roman nicht ausschließlich um eine Buchhandlung geht, ist offensichtlich.

Er führt vor Augen, wie überaus lebendig weit über das Britische Empire hinaus am Ende der fünfziger Jahre die Klassengesellschaft noch war. Vor allem im ländlichen Raum gab oder gibt es kein Entkommen. Gewählte Vertreter vertreten nicht unbedingt die Interessen des Wählers, und alteingesessene Bürger, auch Ortsadel genannt, regieren.

 

Mrs. Gamart ist "die natürliche Schirmherrin aller öffentlichen Aktivitäten in Hardborough", außerdem "die Schirmherrin aller höheren Werte", ihr ja oder nein ist entscheidend. Und die Menschen im Ort spielen mit.

 

Doch die größte Stärke des Romans liegt in seiner Sprache:

es gibt keinen längeren Abschnitt, der auf genaueste Beobachtungen, die mit spitzer Feder niedergeschrieben wurden, verzichtet.

 

Hier einige Beispiele, die nur als Kostprobe für ganz viele andere stehen sollen:

 

Mr. Raven bittet Florence, die Zunge eines Pferdes festzuhalten, damit er die Zähne des Tieres anfeilen kann:

"Ob Sie jetzt die Zunge packen und festhalten könnten, Mrs. Green? Jeden würd' ich nicht fragen, aber Sie werden mir nicht scheu, das weiß ich." "Woher wissen Sie das?" fragte sie. "Es heißt, Sie wollen einen Buchladen aufmachen. Das zeigt doch, dass Sie sich auf ziemlich riskante Sachen einlassen."

 

"Wenn Mr. Brundish im Sommer herauskam, ganz in dunkelgraugrünem Tweed, dann sah er aus wie ein beweglicher Stechginsterbusch vor einer Stechginsterhecke" 

 

"Lesungen haben wir schon", sagte Florence. "Der Vikar hält die Vortragsreihe: Unser malerisches Suffolk, es dauert drei Jahre, bis er damit durch ist und von vorn anfängt." Es waren zauberhafte Leseabende, denn man musste nicht so genau zuhören, und vorn, vor den reihenweise schlummernden Zuschauern, folgten die Farbdias einander ohne jede Ordnung und ohne der Stimme des Vikars zu gehorchen."

 

Christine hat zwei abgebrochene Schneidezähne:

"Sie waren im letzten Winter abgebrochen, und zwar ganz komisch, als die Wäsche auf der Leine steif gefroren war und Christine von einem vereisten Unterhemd einen Schlag ins Gesicht bekommen hatte. Wie alle Kinder von Hardborough war sie hart im Nehmen."

 

Theodore Gill, ein Aquarellmaler, der in der Buchhandlung seine Bilder ausstellen möchte, "lächelte, wie Kröten lächeln, weil sie keinen anderen Ausdruck haben."

 

Der allerdeutlichste Hinweis auf die lebendige Klassengesellschaft ist das Schulsystem. 

Christines Mutter sagt: "Sie ist die erste von unseren Töchtern, die es nicht ins Gymnasium geschafft hat. Es ist so was wie ein Todesurteil. Ich habe nichts gegen die technische Fachschule, aber die Sache ist einfach die: Welche Chance hat Christine jetzt noch, dass sie einen Büromenschen kennenlernt und heiratet? Weiter als bis zu einem Arbeiter wird sie's nicht bringen, vielleicht sogar nur zu einem Arbeitslosen, und glauben Sie mir, Mrs. Green, sie wird ihr Leben lang ihre Wäsche eigenhändig auf die Leine hängen."

 

Zehn Jahre hält Florence Green durch, dann muss sie einsehen, dass der Ort "keine Buchhandlung gewollt hatte."

 

Fitzgerald beschreibt ihre Mühen und ihr Scheitern sehr feinfühlig und bei aller Ironie mit großem Ernst.

Sie hat ein weites Herz, ein scharfes Auge und viel Empathie. 

 

 

 

 

 

 

 

Penelope Fitzgerald: Die Buchhandlung

Übersetzt von Christa Krüger

Insel Verlag, 2000, 180 Seiten

Taschenbuch Insel, 2014, 164 Seiten

(Originalausgabe 1978)