Milena Michiko Flasar - Herr Kato spielt Familie

Herr Kato ist nun in Rente. Er könnte das Leben genießen, wenn er nur wüsste, wie man das macht. 

Zu Hause ist er im Weg, zu den alten Kollegen hat er keinen Kontakt, zu seinen erwachsenen Kindern auch sehr sehr wenig. Sein kleines Hobby - kaputte Dinge reparieren - füllt keine Tage aus. Spazieren gehen vielleicht?

Das tut er eines Tages und hat eine folgenreiche Begegnung, ausgerechnet auf dem Friedhof.

 

Vielleicht hat die neue Begeisterung seiner Frau für das Tanzen (sie besucht einen Kurs für Senioren im Fitness Studio) ihn dazu verführt, ein Mal aus sich heraus zu gehen.

 

"`Ihr Zugfahrer!´ Er schreit es. `Irgendwann kommt ihr alle hier an!´(gemeint ist der Friedhof) Und er trampelt - nein, jetzt tanzt er, er ist unversehens in einen Tanzschritt verfallen. Trippelt leichtfüßig in immer enger werdenden Kreisen, kein Affe mehr - nein, sondern ein sterbender Schwan. Wie in dem Ballett, in das ihn seine Frau vor der Ehe gezwungen hat..." 

 

Er hat nicht bemerkt, dass eine junge Frau zugegen war und ihn beobachtete. Sie spricht ihn an, erzählt ihm, sie sei Schauspielerin: "Ich spiele Familie." Ob er sich vorstellen könne, das ebenfalls zu tun, sie sehe, er hätte Talent.

Und sie hat eine Agentur und sucht Mitarbeiter.

 

Das anfängliche Staunen Herrn Katos darüber, dass man Familie offenbar spielen kann, weicht dem Willen, es zu versuchen.

 

Und schon ist er mittendrin - und mit ihm der Leser:

Was ist echt? Was gespielt im sogenannten richtigen Leben?

 

Man lernt die Ehe der Katos kennen, das Verhältnis zu den Kindern, auch die junge Schauspielerin erzählt Herrn Kato von ihrer Ehe. Und dann sind da noch die Aufträge, die ebenfalls mitten in das Wespennest "Familie" stechen.

 

Einmal spielt Herr Kato sehr erfolgreich einen Großvater - diese Geschichte nimmt eine ganz unerwartete Wendung.

Sein Auftritt als Chef auf einer Hochzeit beginnt mit der Realität zu verschwimmen, ebenso der Auftrag als `schweigender Ehemann´. 

 

Milena Michiko Flasar spielt geschickt mit den diversen Ansprüchen an Familie, an sich selbst, an die Rollen, die in jeder Familie verteilt sind. Flasar geht zurück bis zur Kindheit Herrn Katos, er war einem großen Betrug ausgesetzt, den er nie verwunden hat. Sie erzählt von den Träumen am Anfang der Ehe, von Enttäuschungen, aber auch unerwarteten Momenten des Glücks. 

 

Seine Schauspielerei, von der seine Frau übrigens überhaupt nichts mitbekommt, so sehr ist sie mit Tanzen beschäftigt,

ist mehr als eine Spielerei. Er macht sich plötzlich Gedanken, die er zuvor nie hatte, er übt das Lächeln mit dem ganzen Körper - Mie, die junge Schauspielerin, hat eine Tür in seinem Leben geöffnet, er hat die Chance ergriffen, und ist durch sie hindurch getreten.

 

Wie schon in ihrem ersten Roman, "Ich nannte ihn Krawatte", in dem Milena Michiko Flasar die Lebensgeschichten zweier Außenseiter miteinander verwebt, gelingt ihr auch hier mit der Hauptperson Herrn Kato eine warmherzige Geschichte. Was sich sehr leicht, flüssig und amüsant liest, lässt jedoch tief blicken in einen Kosmos, von dem jeder Mensch Teil ist - Familie.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Milena Michiko Flasar: Herr Kato spielt Familie

Wagenbach Verlag, 2018, 169 Seiten

Taschenbuch bei btb, 2019, 176 Seiten