Gunter Gerlach - Ein falsches Wort und du bist tot

Diese Sammlung von mehr als dreißig Kurzgeschichten ist das "Lesmal" des Verlegers Lou Probsthayn an seinen Freund Gunter Gerlach, geboren 1941.

Er malt, schreibt, performt, er ist ein Multitalent mit viel Phantasie. Dieser lässt er auch in seinen Erzählungen freien Lauf, sie vereinen Traum und Wahn, fragen nach dem Wahrheitsgehalt der Realität.

 

Wobei nicht einmal klar ist, ob es Realität gibt. Vielleicht für manche, nicht aber für Schriftsteller. In mehreren Texten begegnen dem Autor seine Romanfiguren, nicht immer sind sie freundlich zu ihm. 

 

Überhaupt sind menschliche Begegnungen von Schwierig-keiten gezeichnet. Angefangen bei solchen `technischen´ Details wie der Unfähigkeit, sich ein Gesicht merken zu können, bis hin zur Unmöglichkeit eines Dialogs.

Gerlachs Figuren sind Bruder-Vater-Mann-und-Frauen-Mörder und Mörderinnen, Diebe und Tagediebe, es gibt einen Mann, der sich gerne umbringen möchte, doch es misslingt mehrmals, er scheint auf wundersame Weise beschützt. In diversen Geschichten werden Ablageplätze für Leichen gesucht, es gibt einen Erschreckservice, den enttäuschte Ehefrauen buchen können, manchmal kommt der Ehemann zu Tode. Es werden Feuer gelegt, Steine verschluckt, Therapiezimmer bewohnt und Zauberkleider getragen. Der Tod ist auf vielfältige Weise präsent.

Nur ein Kind taucht in all den Erzählungen auf, dieses ist ein altkluger Junge, der auch nicht ganz in der wirklichen Welt lebt.

 

Es ist längst klar: Gerlachs Texte schwanken zwischen Absurdität, Surrealität und der puren Freude am Spiel mit den LeserInnen. Manchmal geht es ins Kafkaeske, manchmal erinnert die Geschichte an einen abgedrehten Fernsehkrimi.

Skurril sind sie alle.

 

Der Autor pflegt einen eigenen Umgang mit der Sprache:

"Der Garten dschungelt vor sich hin", "Mein Blick ödet durch den Garten", "Die Straße buckelt", "In der Kasematte graut das blinde Kellerfenster" oder "Da steilte Rauch in den Himmel, als brenne ein Opfer."

Das ist knackig und eingängig, wem stünde da nicht sofort ein Bild vor Augen.

 

Die Dialoge sind eher ein Austausch von Informationen, kurz und schlicht, längere, tiefgründige Gespräche gibt es nicht. Doch jede Erzählung behandelt ein Thema wie z.B. nicht eingestandene Trauer um verpasste Gelegenheiten, verlorene Liebe oder der Versuch, in ein bürgerliches Dasein zu finden.

 

Es gibt auch eine Kurzgeschichte, die sich der Politik und den Politikern widmet. In dieser übt Gerlach ganz konkrete Gesellschaftskritik, verpackt diese aber in eine abgedrehte Liebesgeschichte, gewürzt mit viel Absurdität.

Der Ich-Erzähler hat eine Geliebte namens Freiheit.

"Es gefällt mir, wenn Eltern ihre Töchter nach unseren Grundwerten benennen. Heute trifft man überall junge Mädchen, die Freiheit, Demokratie, Frieden, Moral oder Ethik heißen."

Freiheit dürfte nicht bei ihm, dem Erzähler, sein. Befehl von oben, sprich, ihrem Vater.

"Ihr Vater gehört zu jenen Personen, denen niemand widersprechen darf. Wenn ich ihn im Fernsehen in seinem Rollstuhl sitzen sehe, weiß ich, dass ihn der einzelne Mensch nicht erbarmen kann. Er muss an alle denken. Er darf nicht anders sein. ... Wir führen einen letzten Kampf um die Grundwerte unserer Zivilisation."

So jener wichtige Mann, Vater von Freiheit.

Um weiterhin zu ihrem Geliebten kommen zu können, muss Freiheit ihren eigenen Tod vortäuschen. Aber ist sie danach noch dieselbe?

 

Gerlach hält sich an das, was "die Frau des Chefs" in seiner Geschichte "Der Chef" sagt:

"Etwas musst du noch wissen. Für deine neue Aufgabe kommt es nicht auf die Antworten an. Verstehst du, du

musst keine Antworten geben. Du musst nur die Fragen einsammeln."

 

Den Erzählungen liegt ein tiefes Interesse an der Gegenwart zugrunde. Dieser fühlt er auf den Zahn, mit viel Sympathie für seine Figuren. Diese schrägen Typen alle in einem Raum zu versammeln, wäre gefährlich bis explosiv. Sie zusammen in einem Buch auftreten zu lassen, ist sehr anregend.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Gunter Gerlach: Ein falsches Wort und du bist tot

Literatur Quickie Verlag, 2021, 210 Seiten