Marilina Giaquinta - Malanotte - Stimmen in der Nacht

Dreiundzwanzig Erzählungen, jede nur wenige Seiten lang, umkreisen die nächtliche Einsamkeit, in die sich nicht selten Angst, Schmerzen und Verzweiflung bis hin zum Wahn mischen. 

Es sind Wach-Träume von Menschen, denen die Fähigkeit oder der Mut von der Zukunft und von Verbesserungen zu träumen, fast abhanden gekommen ist.

 

Marilina Giaquinta, Polizistin in Catania, wird in ihrer täglichen Arbeit in Catania, Ankunftsort vieler Geflüchteter, mit schlimmen Schicksalen konfrontiert.

Die Dichterin Giaquinta gibt diesen Menschen eine Stimme - 

eine, die sich auf verschlungenen Wegen bewegt oder in Andeutungen ausdrückt. 

Auf sehr beeindruckende Art, ganz ruhig, fast innig, ohne Blitzlicht, mit viel Empathie und poetischem Können spürt sie den Verstummenden, die oft an der Grenze zwischen Leben und Tod existieren, nach.

 

Die Mikro-Erzählungen tragen Überschriften, die Zustände bezeichnen, wie "Durchsichtig", "Unsichtbar" oder "Obdach-los". Auch Berufe werden verwendet, "Die Straßenkehrerin" oder "Maler und Anstreicher". Tiere, "Das Hündchen", "Die Katze", auch Dinge, "Fensterscheiben", "Müll", "Laub" oder "Blech", geben eine Orientierung vor. Der Text "Traum" erzählt in Wahrheit von einem Alptraum, die "Geschwister" nicht von Liebe sondern von Rivalität und "Mein Name" vom Vergessen des eigenen Namens.

 

Marilina Giaquintas Texte klingen an vielen Stellen wie eine Anrufung:

"Wenn du dich bewegst, tust du dir weh, aber es ist nicht meine Schuld, nicht die meiner Hände. Lass mich dein Herz spüren. Ich fühle von hier aus, wie laut es schlägt.

Ich weiß, meine Hände werden es beruhigen. Hör auf,

beweg dich nicht." 

Die nächtliche Stimme ruft den, in dessen Kopf sie spukt.

 

Oder sie spricht mit dem Peiniger, der diese Stimme nie hören wird:

"Die Dunkelheit dagegen ist eine schwarze Leere, in ihr der harte Klang der Schläge, das dumpfe Aufprallen seines Schuhs mitten in meinem Atem, das ergebene Brechen meiner Rippen. Der Klang war brutal und immer anders, weil mein Körper langsam, nach und nach, aufgegeben hat."

 

Sie nimmt auch Bezug auf die Realität und stellt Fragen:

"Siebentausendfünfhundert Entlassungen, verstehst du?

Die Kosten müssen gesenkt, Profite gemacht werden."

 

Die stumme Stimme kann keinen Kontakt zur Außenwelt herstellen, sie bleibt ein Wunsch:

"Ich lächle sie an. Ich will ihr Geld nicht. Ich lächele. Ich will, dass sie mich ansieht, mir von ihrem Hündchen erzählt, von der Kälte, die sie später am Abend in ihrem warmen Haus nicht spüren wird. Die blonde Dame geht an mir vorbei."

 

Doch unter all die Verzweiflung mischt sich auch ein wenig Hoffnung - Hilfe könnte so einfach sein:

"Bist du hungrig? Komm herein."

 

 

Giaquintas Sprache ist eine ganz individuelle. Sie mischt nicht nur verschiedene Stile wie Barock und Dialekt oder der gesprochenen Sprache nachempfundene Abschnitte, sie erfindet Worte, die einen bestimmten Rhythmus haben und damit die gewünschte Atmosphäre abbilden, sie verwendet auch die Grammatik in ihrem Sinne.

Ein Beispiel:

"Und dann singe ich. Aus vollem Hals singe ich. Verzweifelte Lieder. Am liebsten sind mir die, wo mit der Liebe etwas nicht stimmt, wo sie sie dauernd verlieren und dann nicht wiederfinden, wo sie nie zur Ruhe kommen und verrückt werden, wo sie todmüde im Traum reden wie in einem Delirium und es keine Vergebung gibt. "

 

Das "wo" gehört hier eigentlich nicht hin. Aber es schafft einen Ort, einen Raum für die Lieder und durch die Lieder,

in dem (wo) ein Gefühl sich entfalten kann.

 

Durch Wiederholungen schafft sie ebenfalls große Eindringlichkeit:

"Sie sagen, dass die weggegebenen Sachen niemandem mehr gehören. Wie die Menschen. Niemand will sie. Niemand sucht sie. Niemand will wissen, wo sie hingekommen sind. Im Grunde kann man auch noch leben und trotzdem schon tot sein, wie diese Abfälle, die man noch essen könnte."

 

Um einen solch lyrischen Stil gut in eine fremde Sprache zu übertragen, braucht es einen guten Übersetzter. 

Barbara Pumhösel, die in der deutschen und der italieni-schen Sprache zu Hause ist, ist das trefflich gelungen.

 

 

 

Es ist ein Buch, das die Seele anrührt - es sei mir nachgesehen, wenn ich das berühmte und vielleicht schon zu oft bemühte Bild Kafkas hier anführe:

"Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns" - "Malanotte" ist genau das, in der Wirkung, nicht im Stil.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Marilina Giaquinta: Malanotte - Stimmen in der Nacht

Übersetzt von Barbara Pumhösel

Launenweber in der Reihe LW italica, 2018, 168 Seiten

(Originalausgabe 2017)