Graham Greene & Annika Siems (Illustrationen) -

Der dritte Mann

Es ist ungewöhnlich, dass der Autor eines Buches die Filmversion als die Endfassung seiner Erzählung betrachtet. Hier ist es so.

Der 1949 von Carol Reed gedrehte Film, der ein Klassiker ist, und dem in Wien ein eigenes Museum gewidmet wurde, basiert auf der gleichnamigen  Erzählung und erzählt diese als eine Art Endversion, die aus verschiedenen Varianten entstand. Der Nukleus liegt freilich in der schriftlichen Vorlage, um die Umsetzung rangen Autor und Regisseur gemeinsam. "Im klaren Hin und Her einer Auseinandersetzung zwischen zwei Menschen liegt ein ungeheurer Wert", so Greene im Vorwort.

 

Die vorliegende Neuausgabe erweitert die Erzählung um eine weitere bildliche Variante: die in Sepia und Schwarz gehaltenen Tuschezeichnungen von Annika Siems vergegenwärtigen mit ihrer aussagekräftigen Bildsprache das Geschehen und bereichern die Lektüre mit ungewöhnlichen Blickwinkeln und Eindrücken.

Ihr Spiel mit Licht und Schatten nimmt den Kampf zwischen Gut und Böse auf, bzw stellt diesen in den Mittelpunkt.

 

Siems schreibt in ihrer Nachbemerkung:

"Die wesentliche Aufgabe meiner Arbeit sah ich darin, der Geschichte eine Stimmung mit auf den Weg zu geben, die sowohl die damalige Zeit, Wien unter der Regentschaft der vier Besatzungsmächte nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, als auch das Geheimnisvolle der Erzählung selbst widerspiegelt."

 

Dies ist ihr trefflich gelungen. Die Stadt Wien mit ihren Wahrzeichen und auch mit ihrer Stimmung bildet die Kulissen, in denen sich die Handlung abspielt. 

 

Die Geschichte: der Autor billiger Westernheftchen 

Rollo Martins kommt auf Einladung seines Freundes Harry Limes nach Wien. Limes betreut im Wien der unmittelbaren Nachkriegszeit eine Flüchtlingseinrichtung. Martins soll darüber berichten. Die beiden sind seit mehr als zwanzig Jahren, d.h. seit ihrer Schulzeit, befreundet.

Als Martins ankommt, erfährt er, dass sein Freund tot ist.

Er wurde direkt vor seinem Haus überfahren, Martins kommt gerade rechtzeitig, um zur Beerdigung zu gehen.

 

Die Umstände des Unfalls kommen Martins bald seltsam vor. Er beginnt, wie ein Privatdetektiv zu ermitteln. 

Er verfolgt diverse Spuren, befragt verschiedene Personen und der Gedanke, Limes sei ermordet worden, verfestigt sich immer mehr.

 

Je tiefer er in die Vergangenheit seines Freundes eintaucht, desto mehr verändert sich das Bild, das er von diesem hatte. Da die ganze Geschichte von Colonel Calloway, einem Briten, der in den Diensten des Scotland Yard steht, erzählt wird, erfährt der Leser aus einer Doppelperspektive das Geschehen. Eine Person, die selbst involviert ist, berichtet aus dem Rückblick wie ein außenstehender Erzähler.

Das ist sehr interessant, manchmal auch ein bisschen verwirrend. Spannend ist es in jedem Fall.

 

Martins erfährt, dass sein Freund in Schiebereien verwickelt war, bzw selbst der Kopf einer Schieberbande war, die mit Penicillin handelte. Es wurde nicht nur teuer verkauft, sondern auch mit Sand gestreckt, was zum Tod führen konnte. Oder zu unheilbaren Hirnschädigungen.

 

Die Menschen, mit denen Martins spricht, nehmen die Information, Limes sei ein Schieber gewesen, sehr gelassen auf. Das sei doch an der Tagesordnung in dieser Stadt.

Dass die schwierigen Absprachen der vier Mächte es fast unmöglich machte, Betrügern das Handwerk zu legen, wird ebenfalls ganz nebenbei bemerkt. Auch aus der Tatsache, dass Limes Freundin Anna durch falsche Papiere zur Österreicherin wurde (in Wirklichkeit stammt sie aus Ungarn, doch ihr Vater war ein Nazi und das könnte sie ins Visier der Russen bringen) wird eher am Rande erzählt,

doch auch all diesen Details setzt sich ein komplexes Bild

der damaligen Zeit zusammen.

 

Doch zurück zu Martins: er findet heraus, was geschehen ist, er spricht sogar noch einmal mit seinem Freund und er wird derjenige sein, der ihn in einem dunklen Finale zur Strecke bringt.

 

Der Roman begeistert durch seine vielschichtige und spannende Handlung, durch seine facettenreiche Erzählweise und seinen unnachahmlichen britisch-schwarzen Humor.

Er ist auch für alle, die den Film kennen, eine genussvolle Lektüre, nicht zuletzt, weil hier das literarische Können Greens wirklich erfasst werden kann.

Und die Bilder Siems´ die Fantasie des Lesers ganz

ungemein beflügeln.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Graham Greene und Annika Siems (Illustr.): Der dritte Mann

Übersetzt von Nikolaus Stingl

Edition Büchergilde, 2017, 200 Seiten, mit bedruckter Buchhülse und Lesebändchen

(Originalausgabe 1950)