Lukas Hartmann - Die wilde Sophie

"Es war einmal ein dicker König,

der hieß Ferdinand und fürchtete sich vor allem und jedem..."

Kein Wunder, dass der König äußerst besorgt ist, als Königin Isabella ein Kind bekommt.

Als er sieht, wie klein so ein Baby ist, gibt er zu, dass der von ihm bevorzugte Name Ottokar so gar nicht passt. Isabella setzt sich durch, und der Kleine bekommt

den Namen Jan. Prinz Jan aus                                                                     Zipfelland, das klingt doch gut.

 

Die Durchsetzungskraft Isabellas ist damit leider schon fast erschöpft. Denn sie kann immer nur das Schlimmste verhindern, aber kaum etwas wirklich Gutes für Jan durchsetzten. Denn Ferdinand ist so besorgt, dass er ein normales Leben seines Sohnes verhindert.

 

Er lässt die Fenster zunageln, damit weder Mücken noch Zugluft dem Kind schaden können. Jan darf nur Brei essen, auch als er schon Zähne hat. Er bekommt einen "Lebertran-verwalter", einen "Kleidervorwärmer", diverse Voraus- und Hinterher- oder Nebenhergeher.

Das ist alles schon verrückt genug, betrifft aber in erster Linie noch den Bereich des Körpers.

 

Ernster wird es, als Jan sprechen lernt, und Ferdinand große Angst vor dem großen "E" bekommt.

"Das große E, so sagte der König, gleiche aufs Haar einer Gabel, und es schaudere ihn beim Gedanken, dass sein Kind sich an einem solchen Mordinstrument aufspießen könne. Und so stelle Ferdinand einen königlichen Buchstabenweg-schneider ein. ... Er musste dafür sogen, dass in den Büchern des Prinzen keine großen E mehr enthalten waren;

mit seinem Scherchen schnitt er sie rasch und sauber aus."

 

Konsequenterweise muss das große E auch aus der gesprochenen Sprache verschwinden. So sprechen nicht nur der Hofstaat, sondern alle Bürger des Landes bald diese verhunzte Sprache ohne E - die Schere des Königs gräbt sich unaufhaltsam in die Köpfe seiner Untertanen.

 

Die Wachen werden verstärkt, die Mauern erhöht - alles zum Schutz des Prinzen. Klar, das kostet Geld, und so werden Steuern und Abgaben angehoben. Und all die Mechanismen der Unterdrückung von Murren und Aufbegehren der Bevölkerung setzten ein. 

 

Symbolisch für die immer noch mehr sich verengende Welt des Prinzen steht eine Wendeltreppe, die um die uralte Eiche im Schlosshof gebaut worden war: Jan durfte einmal hinaus, er liebte das Spiel von Licht und Schatten, er liebte den Geruch der Natur, den Duft der Freiheit - leider kam er nicht mehr alleine von der Eiche runter, auf die er geklettert war.

Sofort wird die Eiche verschalt - beide kümmern dahin.

 

"Nachts wurde Jan bewacht wie ein Gefangener; der König erwog sogar, ihn aus Sicherheitsgründen ans Bett zu fesseln. Die Eiche, vom Gerüst umschlossen, verkümmerte allmählich. Das Laub welkte früher als sonst; die äußersten Zweige verdorrten und starben ab."

 

Wie die Wendeltreppe den Baum, so umschließen Ferdinands Sicherheitsmaßnahmen den Jungen.

 

Doch da ist ein kleines Mädchen, ein klein wenig jünger als Jan. Ihr Name ist Sophie. Sie hat Mitleid mit diesem eingesperrten Jungen, der niemanden hat zum Spielen.

Der nicht an die frische Luft darf. Der von allen gehasst wird, weil sie in ihm den Urheber all der Unbill sehen.

 

Sophie setzt Himmel und Hölle in Bewegung, um sich ins Schloss zu schleichen, und ist nicht bereit, dies ohne Jan wieder zu verlassen. Mit Mut, List und Tücke, mit Hilfe der magischen Fähigkeiten einer Eiche und einer Köchin, nicht ohne Verluste, Drohungen, Erpressungen und Kerkerhaft, gelingt ihr schließlich das, was sie sich vorgenommen hat.

 

Mit Sophie, die ziemlich genau in der Mitte des Buches die Szenerie betritt, verändert sich alles.

 

Die Mutter Jans, Königin Isabella, hat keine gute Rolle gespielt in dieser Geschichte. Sie ist zu nachgiebig, fügt sich, hofft, dass die Zeit alles regelt. 

Und so kann auch sie - wie das gesamte Zipfelland - nur

noch den davonfliegenden beiden jungen Menschen hinterherschauen, die das Gefängnis verlassen haben.

Und wenn sie nicht gestorben sind,...

 

Mit diesen Worten endet das Märchen nicht, die ergänzt der Leser selbst, angesichts des Endes, das es so nur in einem Märchen geben kann.

Lukas Hartmann hat den Märchenton sehr schön, sehr poetisch, getroffen. Die Entwicklung der Geschichte folgt dem altbekannten Schema - die Schlinge zieht sich immer weiter zu, Hoffnung kommt auf, diese wird auf eine harte Probe gestellt, es gibt (grausame) Rückschläge, doch am Ende siegen Mut und Phantasie, denen eine große Portion Glück nachgeholfen hat. Aus diesem Schema macht er eine junge und frische Geschichte mit abenteuerlichen Wendungen.

 

 

Empfohlen wird "Die wilde Sophie" für Leser ab neun Jahren. Nach oben gibt es keine Grenze. Nebst dem Text laden auch die schönen Illustrationen von Susann Opel-Götz zum Verweilen in diesem handlichen Buch ein - es ist eine Freude für jeden Leser.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Lukas Hartmann: Die wilde Sophie

Illustriert von Susann Opel-Götz

Diogenes Verlag, 2017, 256 Seiten