Damir Karakas - Erinnerung an den Wald

Damir Karakas, geboren 1967, entführt seine LeserInnen in ein kroatisches Dorf, in dem Kinder Kühe hüten, Ochsen die Wagen aufs Feld ziehen und Väter uneingeschränkte Patriarchen sind. Das Dorf befindet sich am Über-gang zur Moderne, Wasserleitungen werden verlegt, Fernseher ziehen ein, neue Häuser werden gebaut - die Strukturen haben sich jedoch noch                                                           nicht verändert.

 

In diesen Strukturen leben die alten Sitten der Prügelstrafen, im Elternhaus wie in der Schule, ungebrochen weiter.

Kleine Vergehen werden drakonisch geahndet - die Kultur der Gewalt, des Tretens von oben nach unten, ist bislang unangetastet geblieben.

 

Held des Romans ist ein Junge, er bleibt namenlos, der in der Ich-Form erzählt. In Texten von vier bis sechs Seiten reiht er eine Episode an die andere. 

 

Er beschreibt das Kühehüten, die Ballspiele, wie Kraut einge-stampft wird, das Glücksgefühl, als der neue Fernseher eintrifft (und die Reglementierung des Vaters, der bestimmt, wer wann was anschaut), er beschreibt einen Ausflug in die Stadt oder die Neuerungen des Klavierlehrers, der so plötzlich verschwindet, wie er aufgetaucht ist.

 

Unterlegt sind die Episoden - und dies ist die eigentliche Handlung des Romans - mit den Ängsten des Jungen.

Er ist herzkrank, davon weiß niemand außerhalb seiner Familie. Er ist nicht der starke Stammhalter, den der Vater sich gewünscht hatte, er wird vermutlich nicht zur Armee gehen können - das Etikett "untauglich" schwebt über ihm wie ein Damoklesschwert.

 

""Manchmal packt mich die Angst, was, wenn sie mich bei der Armee nicht nehmen? Wenn nicht, heißt das, dass ich nicht tauglich bin. Und mein Vater denkt, wie alle in unserem Dorf: wer nicht tauglich ist für die Armee, der ist auch nicht tauglich fürs Leben. Pejos Vater sagt, wer für die Armee nicht taugt, der taugt auch nicht zum Heiraten; die Musterung, das wird der wichtigste Tag in meinem Leben."

 

Als er so denkt, dürfte er noch keine fünfzehn Jahre alt sein.

Doch er weiß sehr genau Bescheid über seine Chancen im Leben. Sie sind gering.

 

Dabei ist er ein sehr guter Schüler, fast überall bekommt er Bestnoten. Aber das zählt nicht viel in einer Gesellschaft,

in der es auf körperliche Stärke ankommt.

 

So träumt sich der Junge in alle möglichen Rollen: er wird den Bären töten, der verhindert, dass man ohne Angst in den Wald gehen kann.

"... ich drehe mich um, setzte mich langsam an den Tisch und stelle mir vor, wie ich Vaters Jagdgewehr von der Wand nehme. Ich gehe in den Wald: ich töte den Bären. Ich bin ein Held im Dorf; alle feiern mich; sogar mein Vater klopft mir stolz auf die Schulter."

 

Er wird ein berühmter Basketballspieler werden, er ist groß, wenn auch extrem mager, und trainiert fleißig. 

Vielleicht auch Bodybuilder?

 

Sein größter Traum ist das Militär:

"... ich blättere in der Front und stelle mir vor, wie ich eines Tages in mein Dorf zurückkehre: auf  meinen Schultern Epauletten mit goldenen Sternen; Vater, Mutter, Baka, meine Schwester, sie würden mich auf der Straße sehen und wie am Ende eines Kriegsfilms, wenn der Held lebendig zurückkehrt, zu mir eilen, mich umarmen, küssen; stolz. Außerdem, wenn ich ein gewöhnlicher Soldat bin, dann bin ich gesund, aber wenn ich ein Offizier bin, dann bin ich absolut gesund."

 

Der Wunsch, gesund zu sein, paart sich mit dem Wunsch, seine Familie, vor allem sein Vater, möge stolz auf ihn sein.

Hinter und in diesen Phantasien verbirgt er seine zerbrech-liche Kinderseele. Er gibt sein Bestes und mehr...

 

Er ist kein Engel, dieser Junge. Er stiehlt die Soldaten, mit denen ein Schulkamerad spielt, weil die Sehnsucht nach diesen Figuren größer ist als das Wissen, dass er das nicht darf. Er schwänzt die Schule, er ärgert die kleine Schwester, die ihn nervt.

Er eignet sich jedoch eine gewisse Bauernschläue an, findet Erleichterung in der schalkhaften Distanz - der Junge entzieht sich der realen Welt, indem er seine Gefühle und Gedanken in eine frei fließende Sprache verwandelt.

 

Damir Karakas vereint in seinem Episoden-Roman den Realismus und die genaue Beobachtung mit den Phantasien des Jungen, dem verbreiteten Aberglauben und der Hexerei - sprich: dem Übersinnlichen - zu einem Menschen- und Zeitbild, das vieles in sich vereint.

Er thematisiert die Gefangenheit in der Einsamkeit aller Figuren, die Zeit des Übergangs mit dem Klammern an den alten Rollenbildern, den Trost, den Sprache und Traum spenden können - und nicht zuletzt die Widerstands-fähigkeit, mit der Menschen ausgestattet sind.

 

Mit der Direktheit des Kindes, der der Autor eine schöne Prise Ironie beimischt, nimmt er dem Roman seine Schwere, nicht jedoch seine Tiefe.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Damir Karakas: Erinnerung an den Wald

Übersetzt von Klaus Detlef Olof

Folio Verlag, TransferBibliothek, 2019, 151 Seiten