Dawit Kldiaschwili - Samanischwilis Stiefmutter

Dieser bunte, lebhafte und lebendige Roman entführt in das Land Georgien im 19. Jahrhundert. Er erzählt von den Schwierigkeiten Platons - Ehemann und Vater von vier Kindern - eine passende Stiefmutter zu finden.

Hat sich doch sein nicht mehr ganz junger, aber noch rüstiger Vater entschlossen, noch einmal zu heiraten.

 

 

Die Familie gehört zu den sogenannten "Herbstfürsten", das ist ein eigenständiger georgischer Begriff für den niederen, verarmten Adel, der sich nur einmal im Jahr, nach der Ernte, so richtig satt essen kann. An allen anderen Tagen muss eingeteilt werden, sonst reicht es nicht, alle zu ernähren.

 

Die Armut verhindert nicht einen gewissen Dünkel,

so ist es auch bei Platon. Mit einem abgemagerten Pferd, dessen Rücken schon vor Antritt der Reise wund gescheuert ist, macht er sich auf den Weg zu seiner Schwester.

Es ist beschämender kein Pferd zu haben, als so eines.

"Statt Erbarmen zu zeigen, zog dieser Mann es vor, seinen Dünkel zu befriedigen, und erreichte hoch zu Ross den Hofeingang seines Schwagers."

 

Außer dieser Schwester hat Platon keine Geschwister.

Die Ehepläne seines Vater rufen jedoch schlimmste Befürchtungen in ihm hervor: bekäme die Stiefmutter einen Sohn, müsste er sein sowieso kärgliches Erbe teilen, es würde dann weder für ihn und seine Familie, noch für den Bruder reichen. 

(Der Leser lernt an dieser Stelle, dass Mädchen offensichtlich damals nicht erbberechtigt waren.)

 

Deshalb beschließt Platon, eine zweifache kinderlose ältere Witwe zu suchen. Der Vater hätte seinen Willen, und von einer solchen Frau dürfte keine Gefahr mehr ausgehen.

 

Sein Schwager Kirile, ein lebens-trink-und streitlustiger Mann, ist begeistert von der Idee, zusammen mit Platon loszureiten und Ausschau nach der gewünschten Frau zu halten. Er schleppt Platon von Gelage zu Gelage, sei es eine Hochzeit oder eine Beerdigung, in jedem Fall ist es ein Anlass, tüchtig zu trinken und dann eine ordentliche Schlägerei auszulösen. Platon ist von diesem Begleiter wenig begeistert - aber was soll er machen?

 

Schließlich geraten die beiden an Aristo, einen Adeligen,

der so gründlich verarmt ist, dass er nicht einmal ein eigenes Haus hat. Er hilft ebenfalls bei der Suche, das heißt, er verkuppelt seine zweifach verwitwete ältere Tante an Bekina Samanischwili, den Vater Platons. Aristo scheint nach dieser Tat  "keinerlei Absicht zu hegen, einen Fuß aus seinem neuen Heim zu setzen." Das bedeutet, der Preis für seine Dienste ist ein Dach über dem Kopf.

 

Doch ich will hier keine falsche Fährte legen, Aristo spielt

im Verlauf der Geschichte keine Rolle mehr.

Er ist lediglich eine weitere Variante in dem Reigen der Adeligen bzw. Männer, der hier aufgefächert wird.

 

Denn mit dieser tragikomischen Geschichte zeichnet der Autor Dawit Kldiaschwili, 1862-1931, ein eindrucksvolles Porträt der georgischen Gesellschaft. 

Der vernünftige, später völlig außer sich geratende Platon, der lustige Taugenichts Kirile, der zwielichtige Aristo, ein aufgeklärter und kluger Mann namens Saloberidse, der sich mit den Machthabern arrangiert und ein gutes Auskommen hat, der Dorfadvokat Gwerdewanidse und diverse Männer jeden Alters und Charakters spielen in diesem Roman mit.

 

Die Frauen, die darin vorkommen, haben eines gemeinsam: sie sind ihrem Schicksal, das in keinster Weise komisch ist, ausgeliefert. Sie alle trifft ein hartes Los, doch alle bewahren sich ihre Menschlichkeit. 

So ist Platons Frau Melano die einzige, die zu Elene, der Stiefmutter, hält, als diese wider Erwarten doch noch schwanger geworden ist. Eine andere vergisst trotz Not und Elend nicht die Gastfreundschaft, Dariko, Kiriles Frau und Platons Schwester, ist diejenige, die Hof und Familie zusammen hält.

 

Kldiaschwili wurde in Imeretien, Westgeorgien, geboren. 

Er besuchte das Militärgymnasium in Kiew, anschließend die Militärakademie in Moskau. Danach diente er in der russischen Armee (Russland hatte Georgien 1801 annektiert), bis er wegen "Unterstützung revolutionärer Kräfte" entlassen wurde. Er hat also den Übergang von der traditionellen Gesellschaft in die Moderne mit all ihren Verwerfungen am eigenen Leib miterlebt. Selbst aus besagtem Herbstadel stammend und ab 1917 wieder in Simoneti, Imeretien, lebend, ist er ein genau hinschauender Erzähler, der nicht moralisiert.

 

1930 wurde ihm der Titel "Volkskünstler Georgiens" verliehen. Bis heute scheinen sich die Menschen in seinen Typen wiederzuerkennen, seine Romane werden gelesen, seine Theaterstücke aufgeführt. Es wundert nicht, dass "Samanischwilis Stiefmutter" eines der Lieblingsstücke der Georgier ist und schon zweimal verfilmt wurde.

 

Bei der Lektüre ziehen all die Bilder vor dem geistigen Auge vorbei, man meint die Männer zechen und johlen zu hören, 

sieht die Frauen ihre Arbeit verrichten - die meisten dieser Adeligen haben nichts als ihren Titel, die Armut und der Dünkel treiben seltsame Blüten, doch eines ist sicher:

Kldiaschwili beschreibt tragische Schicksale auf komische Weise, aber er macht sich nicht über die Menschen lustig.

 

"Ich habe meine Leute immer geliebt, ich habe Tränen vergossen angesichts ihres bitteren Lebens, und ich habe

mit schmerzendem Herzen und voller Mitleid über sie geschrieben. ... Mein ganzes Leben hat mich allein die Liebe zu den Menschen geleitet."

 

Diese Liebe, verbunden mit einem scharfen Blick und großer Fabulierkunst, hat ein Werk hervorgebracht, das bis heute jung und frisch ist und begeistert.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Dawit Kldiaschwili: Samanischwilis Stiefmutter

Übersetzt von Rachel Gratzfeld

Dörlemann Verlag, 2018, 160 Seiten

(Originalausgabe 1896)