Ralph Roger Glöckler - Ein roter Strassenkreuzer

Abram betreibt einen Gebrauchtwa-genhandel mit Reparaturwerkstatt, seine Frau Lara kümmert sich um den kaufmännischen Bereich. Nach den Anschlägen auf das World Trade Center liegt die Stimmung im Land darnieder, entsprechend schlecht gehen die Geschäfte. Der rote Sraßenkreuzer, den niemand kaufen möchte, steht sinnbildlich für den Untergang der "vergangenen Zeiten, in denen es noch eine Zukunft gab." Nun ist er "nur noch für Fahrten ins Nichts zu gebrauchen."

 

Abram fühlt sich als Versager. Er hat die Firma von seinem Vater übernommen, der sie zum Blühen gebracht hatte, nun sieht es so aus, als ginge alles zu Ende. Zumal Ike, der gemeinsame Sohn, keinerlei Interesse an Autos oder Geschäften zeigt. Er ist ein "träumerischer Einzelgänger, unsportlich, schulisch faul." Sein Talent ist das Zeichnen und er träumt von einer Karriere als Künstler weit weg von der einengenden Provinz in der er lebt.

 

In Wirklichkeit hasst auch Abram die Firma. Aber es wäre "ungehörig" gewesen, sie nicht zu übernehmen, damit begab er sich jedoch in ein Leben, "das nie sein eigenes gewesen war."

Doch was wäre sein eigenes Leben gewesen? Es gab eine Phase, da träumte er davon, Pastor zu werden, das blieb ein Traum. Das träumen gab er auf, doch ein Gefühl der Unzufriedenheit blieb.

 

In seiner momentanen finanziellen Not wendet er sich gedanklich an seinen verstorbenen Vater:

"Ich habe es nicht geschafft, bin gescheitert, auch sind die Zeitläufte gegen mich gewesen. Ich hasse mich. Schäme mich nicht nur vor dir und meiner Frau, sondern auch vor mir selbst. Vater, dachte er. Höre mir bitte zu. Nur einmal. Führe mich, mache mir Mut."

 

Aus dieser Anrufung des Vaters entwickelt sich eine biblische Geschichte. Vater und Gottvater fallen bald in eins. Abram hört eine Stimme, fühlt immer wieder eine unsichtbare Anwesenheit um sich. Manchmal versteht er nicht die Worte, die ihm zugeflüstert werden, es ist eher ein Schwingen, ein bestimmtes "Timbre", das er wahrnimmt. Manchmal hört er jedoch ganz konkrete Ratschläge:

 

"Jemandes Schwächen erkennen, andere darauf ansetzen, ohne sich selbst zu kompromittieren? Ja, genau, so würde es funktionieren. ... War das die praktische, vom Vater ange-kündigte Hilfe?"

Er notiert ein "Konzept", um die neugewonnene Erkenntnis umsetzen zu können.

 

Von hier aus entwickelt sich mit zunehmender Dramatik 

eine Geschichte der Verblendung. Es ist nicht mehr zu unterscheiden, ob Abram an religiösem Wahn oder einer psychischen Störung leidet. Fände er den Mut, über all seine Gedanken mit der pragmatischen Lara zu sprechen, ließe sich das Unglück vielleicht abwenden. Doch Abram spricht nur noch mit GottVater.

 

Und mit einem seiner Stellvertreter auf Erden, Vater Joe. Dieser Pastor taucht plötzlich in Abrams Laden auf, begleitet von seinen Söhnen Joshua, 17, und dem etwas jüngeren Philip. Abram registriert, dass Joe sehr angetan ist von Lara, die bei Vertragsabschluss Kaffee serviert. Und er lauscht fasziniert Joes eindrücklichen Worten:

"... dass es kirchlicher Institutionen bedürfe, um aus Jungen und Mädchen harte Männer und wehrhafte Frauen zu machen, Kriegerinnen, Krieger, Helden und Heldinnen, um für die Sache Gottes und gegen unsere verlotterte Welt zu kämpfen..." Er habe erfahren, dass "Ike zum Weichei neige" und es mehr als dringend sei, ihn in seine, Vater Joes, Jugendgruppe zu schicken. Dafür werde er ihm Kunden verschaffen. Zahlungskräftige Kunden.

 

Abram hält diese Begegnung mit Joe nicht für einen Zufall.

Diese Leute sind auf Geheiß seines Vaters gekommen, "um ihn, Familie und Geschäft zu retten, ja, es war, als würde er von ferne seine Stimme, sein eigenartiges Timbre hören. Oder war es ein Gelächter?"

 

Hier ist wohl schon das Lachen Satans zu hören, denn von Rettung kann keine Rede sein. Vielmehr wird die Stimme

von Abram bald ein Opfer verlangen, das menschliches Vermögen übersteigt.

Wie in einer Spiralbewegung mit immer weiteren Kreisen in immer absurdere Höhen und Verstiegenheiten steigert sich der Roman zu einem Punkt, an dem es keine Möglichkeit der Umkehr mehr gibt. Abram wird einen "absurden Preis zahlen müssen, um sich als demütig und dankbar zu erweisen..."

 

Eines Tages bringen Abram, Ike und ein Angestellter den roten Kreuzer auf Vordermann. Abram plant einen Ausflug mit Ike. Ihr Verhältnis hat sich etwas verbessert, es soll ein Tag unter Männern werden. Nur Abram weiß, dass er nun einen "grausamen Befehl erfüllen" darf, eine Probe, die nur "Erwählten" zuteil wird.

Zur Erinnerung: der Kreuzer ist "nur noch für Fahrten ins Nichts zu gebrauchen."

 

Hier kommen wieder Vater Joe, Joshua und Philip ins Spiel. Und mit diesen wird die politische Dimension dieses Romans überdeutlich:

"Diese Nation retten, stieß Vater Joe hervor ... darum gehe es, um nichts anderes, eine heilige, zu erfüllende Mission, um Werte wieder bei wahrem Namen zu nennen, was Demo-kratie heiße, sei Faschismus, Kriegsarmeen Friedenstruppen, Cyberattacken rettende Offensiven, um Verirrte auf den rechen Weg zu führen, wer von Liebe rede, meine Hass, Hass nichts anders als Liebe, wir, stieß Vater Joe hervor, werden die Welt vom Kopf auf die Füße stellen."

 

Viele Aussagen des Pastors könnten von einem Taliban stammen. Die USA befand sich nach dem 11. September auch in einem Glaubenskrieg, der feurige Patriot Joe steht für die militante evangelikale Bewegung, die bis heute nicht verschwunden ist.

 

Für Nachkommen ist gesorgt, Joshua ist ein bereitwilliges Werkzeug seines Vaters, nur der junge, unfertige Philip zweifelt noch, er denkt an einer Stelle über Menschlichkeit nach. Dieses Wort kommt kein zweites Mal vor in dieser Geschichte eines Mannes, der "kein richtiges im falschen Leben" finden konnte. Das sagt Lara zu ihrer Freundin Hanna, die in Wirklichkeit Ikes Mutter ist. Ein Fehltritt Abrams, der auf der letzten Fahrt mit dem Kreuzer zu Ike sagt, er sei ein Findelkind. Auch hier, nicht einmal hier, schafft er es, die Wahrheit zu sagen.

 

Ralph Roger Glöckler bündelt viele Themen in diesem Roman, doch er überfrachtet ihn nicht. Er zeigt an einer konkreten Person auf, wie sich religiöser Wahn entwickeln kann, und wie scheinbar die christliche Religion predigende Personen diesen für ihre politische Agenda nutzen.

Am Ende sind alle bereit, über Leichen zu gehen.

In Namen der Gerechtigkeit. Dabei geht es um etwas ganz anderes:

 

"Seele? Was heißt da Seele. Es geht um Geld."

 

 

 

 

 

 

 

 

Ralph Roger Glöckler: Ein roter Strassenkreuzer

Kulturmaschinen Verlag, 2024, 180 Seiten