David Grossman - Aus der Zeit fallen

 

 

Nach dem Roman "Eine Frau flieht vor einer Nachricht", in dem eine Mutter durch die Wüste wandert, um der Nachricht vom Tod ihres Sohnes im Kampf zu entfliehen,veröffentlicht Grossman dieses Buch, in dem er über den Tod seines Sohnes Uri im Krieg schreibt, bzw darüber, was dieser für ihn bedeutet.

 

Es ist ein zutiefst berührendes Buch, das man nur langsam und auch nur seitenweise lesen kann, zu viel auf einmal ließe sich gar nicht verkraften.

 

Grossman lässt mehrere Personen auftreten: den Chronisten der Stadt, seine Frau, einen Mann, eine Frau, Schuster und Hebamme, eine Netzflickerin, den Herzog, den schreibenden Zentaur, einen greisen Rechenlehrer – sie alle haben keinen Namen, sie eint, dass alle ein Kind verloren heben. Etwas, das es gar nicht geben dürfte, und das ihr Leben von da ab bestimmt hat.

 

Jeder bringt in der ihm eigenen Sprache seine Gedanken, seinen Schmerz zum Ausdruck, für sich, in einem Dialog, schließlich in einer Prozession der „Gehenden“.

 

Der Text ist wie ein langes Gedicht, erinnert an einen vielstimmigen Chor, der ein Klagelied vorträgt. Aber er ist auch ein Gedicht über das Leben, das eine Zeitenwende erlebte, das durch den Tod in ein davor und danach zerteilt wurde, in eine Zeit mit dem Kind und eine Zeit ohne das Kind.

 

Der Zentaur sagt: „Ich muss es von Neuem erschaffen, in Form einer Geschichte! … Ich muss sie in eine Geschichte einbauen, anders geht es nicht, in eine Handlung, und Phantasie muss dabei sein, und neue Ideen und Freiheit und Träume!“

Und später: „Mich selbst beschwöre ich mit Worten und Schimären...Um mich selbst, allein um meine Seele kämpf ich hier...“

 

Grossman nimmt das Motiv des Gehens wieder auf als eine Metapher für das Lebendig-Bleiben, das Erhalten und auch dafür, dass Schmerz ein Teil des Lebens ist.

 

Der Chronist und seine Frau erkennen: „...wie Leben und Tod einander gegenüber stehen, sich zugurren und sich berühren, wie sie verflochten sind in ihrer letzten Nacktheit … sie mischen sich … Ich habe nicht gewusst, dass Leben in seiner ganzen Fülle nur dort, an dieser Grenzlinie besteht.“

 

Der Mann spricht zu seinem toten Kind: „Du bist aus der Zeit. … Aus der Zeit gefallen bist du, aus der Zeit, in der ich bin und an dir vorübergeh...“

 

Der Dichter, der Vater, will nicht den Sohn in seine Zeit zurückholen, er weiß, dass von „dort“ noch keiner wiederkam, er möchte weiter leben trotz des großen Schmerzes.

 

Er erkennt an, dass die Worte „Er ist tot“ wahr sind „Und mir bricht es das Herz … dass ich dafür die Worte fand.“

 

Mit diesem Satz endet das Buch. Weglegen lässt es sich nicht.

 

 

 

 

 

 

 

David Grossman: Aus der Zeit fallen

Übersetzt von Anne Birkenhauer

Hanser Verlag, 2013, 128 Seiten

Fischer Taschenbuch, 2016, 128 Seiten