James Hanley - Ozean

"Hanley ist ein Chronist möglicher Auswege, der die unerforschten Gegenden des Meeres und des Bewußtseins bereist - in einer Sprache, die wie ein Orkan alles hinwegfegt."

Diese Worte stammen von William Faulkner, jener genau gleichaltrige Schriftsteller, der sich bestens im Bereisen des Bewusstseins auskennt.

 

 

James Hanley wurde 1897 in Liverpool geboren, wo er auch aufwuchs. Neun Jahre seines Lebens verbrachte er auf See, was sein 31 Romane, zahlreiche Kurzgeschichten und Theaterstücke umfassendes Werk maßgeblich beeinflusste. Die vorliegende Ausgabe "Ozean" ist der zweite Band der Reihe "Edition Kattegat", erschienen im Dörlemann Verlag, die sich dem Meer widmet. Und die hoffentlich diesen Autor der Vergessenheit entreißen wird.

Erschienen ist "The Ocean" erstmals 1941 in London, entstanden also während des Luftkrieges um England.

Doch er hat nicht den Krieg zum Thema, sondern die Verlassenheit des Menschen auf den Weiten des Ozeans.

 

Die Aurora, ein Passagierschiff, das sich auf dem Weg von England nach Kanada befindet, wird von einem Torpedo getroffen. Fünf Männer landen daraufhin in einem Rettungsboot, ein Seemann, vier Reisende.

Diese Männer sind nun plötzlich auf engstem Raum, aus dem es kein Entrinnen gibt, zusammengepfercht. Sie haben einen sehr begrenzten Vorrat an Zwieback und ein nicht mehr volles Wasserfass.

 

Joseph Curtain, der erfahrene Seemann, übernimmt sofort das Kommando. Er teilt Wasser und Nahrung ein und er versucht, die Verzweiflung der Männer einzudämmen. 

Er bestimmt, wer rudern muss, wer sich ausruhen darf.  

Er redet mit den Männern, weil er weiß, dass Schweigen die Lage noch wesentlich verschlimmert.

 

Auf dem Schiff sind: Pater Michaels, ein alter Mann, verletzt, schwer seekrank, kaum in der Lage zu sprechen.

Ihm gehört die größte Fürsorge Curtains, er wird von ihm die letzten Tropfen Wasser bekommen.

Außerdem sind Stone, Benton und Gaunt in dem Boot.

Stone ist fünfunddreißig, Lehrer und sehr zugänglich.

Benton ist gerade zwanzig, ziemlich verzweifelt und etwas unstet. Gaunt, mittleres Alter, redet nur von seiner Frau, sie scheint in einem anderen Boot gelandet zu sein, er vermisst sie, schimpft aber die ganze Zeit auf sie. Er meint, ihre Reiselust hätte sein Leben ruiniert. Ein sehr Ich-bezogener Mensch.

 

Unterteilt in elf Kapitel, lässt sich ein Pfad von fünf großen Themen verfolgen, die Hanley bereist: Hoffnung, Aufbegehren (gegen den "Chef"), die Persönlichkeiten der Männer und ihre Veränderung, das große Wort Vertrauen.

 

Die größte Herausforderung für Curtain stellt am Anfang der Geschichte der Tod seines Freundes Crilley dar. Er hat sich schützend über das Wasserfass geworfen und wurde dabei erschossen. Curtain will es dem Pater nicht antun, für ein Gebet aufstehen zu müssen. Er lässt ihn liegen, spricht selbst ein Gebet für Crilley und führt eine Seebestattung durch.

Hilfe hatte er sich von Stone erwartet, doch der zeigt in letzter Sekunde Schwäche und wendet sich ab.

 

Nachdem die Männer alle mehr oder weniger Vertrauen zu Curtain gefasst haben, bzw. eingesehen haben, dass er der Einzige ist, der sie führen kann, funktioniert die Gemeinschaft so einigermaßen. Gaunt ist derjenige, der immer misstrauisch bleibt, der auch sehr egoistisch ist.

Der eine Schale Wasser klaut, nicht einsehen will, dass die strenge Rationierung lebensnotwendig ist.

Er stachelt den jungen Benton an, gemeinsam versuchen sie, Curtain in Misskredit zu bringen - sie kosten den Mann, der weiß, dass sie entweder alle überlegen oder alle sterben werden, unnötig Kraft. Denn er ist derjenige, der sich um alles kümmert.

 

"Er ruderte, wenn sie schliefen. Er redete mit ihnen; er half ihnen; er kümmerte sich um den Priester, wenn dem schlecht war; er massierte Benton die Füße; er lachte über einen Wal. Er sagte: "Ruhig bleiben." Er sagte: "Alles wird gut." Er erzählte von einem Vogel, erzählte von buckligen Brechern, er hielt Ausschau nach dem typischen Wellengang in Landnähe. Er kannte sich aus. Er war da, immer. Er verteilte das Wasser, weichte Zwieback ein, sorgte dafür, dass ein greiser Mund ihn aufnahm. Er sagte: "Solange ihr die Ruhe bewahrt, wird alles gut."

Als er einmal so fest schläft, dass er tot scheint, bricht fast Panik aus: "Er ist erschöpft, damit haben wir nicht gerechnet."

 

Dieser Schlaf erschüttert das Vertrauen ins Leben, Curtain war wie ein Gott, der sich um seine Schafe kümmert, auch wenn die Schafe nicht immer einsehen, dass das notwendig ist. Dies ist einer der Momente - und davon gibt es in diesem Buch viele - da steht jeder einzelne plötzlich ganz alleine da und blickt ins eigene Innere hinein.

 

In dem Kampf gegen die Unendlichkeit des Wassers,

die Einbildung ein Schiff gesehen zu haben und die Enttäuschung darüber, dass es keines war, die Freude an einem spielenden Wal, der sie unversehens von ihrem Elend ablenkt, treten die Charaktere der Protagonisten scharf zutage. Sie alle werden immer mehr sie selbst.

 

Curtain, der vor allem Stone vertraute und ihn immer wieder um Hilfe bat, gewinnt am Ende eine bittere Erkenntnis.

"Man stieg auf voller Vertrauen, man sank hinab voller Vertrauen, man glaubte an einen Vogel. Vertrauen, das war das Leben, jenseits davon war das Nichts, war Leere.

Man vertraute auf sein eigenes Leben, auf sonst nichts.

Auf einen Mann konnte man nicht vertrauen, auf ein stürmisches Meer."

 

Entgegen alle Vernunft, alle Hoffnung, alle Erkenntnis, versucht Curtain am Ende noch einen Schiffbrüchigen zu retten, der in einem Schlauchboot auf sie zutreibt. Die fünf Männer haben selbst keine Nahrung mehr, kein Wasser.

Der Mann im Schlauchboot ist ein Deutscher. Curtain zieht ihn ins Boot, verliert dabei ein Ruder. Der Himmel wird grau, der Gerettete war schon tot, Curtain schläft vor Erschöpfung ein. Der Pater begegnet in der allerletzten Szene Jesus Christus, er kommt aus dem Nichts, Michaels hat ihn "in seinen Augen."

 

Das sind unglaublich starke Bilder.

Der Roman erstreckt sich über einige Tage, vier, vielleicht fünf Tage und Nächte. Die Szenerie besteht aus nichts als Wasser und den Zuständen der Männer, aus Hoffnung und Einsamkeit. Aus diesen entwickelt Hanley einen Roman,

wie er spannender nicht sein könnte. 








James Hanley: Ozean

Übersetzt von Nikolaus Hansen

Edition Kattegat im Dörlemann Verlag, 2015, 256 Seiten