Andrea Hirata - Die Regenbogentruppe

Hirata, der bekannteste Schriftsteller Indonesiens, wird verehrt wie ein Nationalheiliger. Er hat das erste Literaturmuseum des Landes aufgebaut, das eigentlich ein Hirata-Museum ist: ein Nachbau der Schule, die im Mittelpunkt seines Romans

"Die Regenbogentruppe" steht.

Dieses Buch widmet er seiner Lehrerin, die unglaublich für die Schule gekämpft und den Kindern beigebracht hat, dass lernen mehr ist als Wissensanhäufung. 

Für sie ist Schule Menschenbildung im umfassendsten Sinne.

 

Besagte Schule befindet sich auf Belitung, einer der 17000 Inseln Indonesiens. Belitung ist reich an Bodenschätzen. Hier wird vor allem Zinn abgebaut, das so massenhaft vorhanden ist, dass man es mit bloßen Händen aus dem Boden holen kann. Dies ist selbstverständlich verboten, denn die Abbaurechte liegen bei einer großen Firma, die nach der Unabhängigkeit Indonesiens von Holland sämtliche Rechte und auch das Gebaren der Kolonialherren übernommen hat.

 

Die Angestellten der Bergbaufirma leben in einer Art Ghetto, dem sogenannten Gedong. Dies ist eine Siedlung im viktorianischen Stil mit Gärten, Teichen und einer Mauer drumherum. Hier gehen die Kinder der Siedlung in eigene, gut ausgestattete Schulen, in der die Lehrer sogar ein Gehalt bekommen.

 

Davon kann Bu Mus, die Lehrerin der Gruppe, die sich später die "Regenbogentruppe" nennen wird, nur träumen.

Sie arbeitet in ihrer kleinen, windschiefen, ständig von Schließung bedrohten Schule und verdient ihr Geld mit Näharbeiten, die sie abends und nachts erledigt.

Ihre Schüler sind zehn Kinder aus dem Dorf, allesamt aus ärmsten Familien. Diese Familien kratzen mit großer Mühe das Geld zusammen, das einen Schulbesuch erlaubt.

 

"Das Gedong war das Wahrzeichen Belitungs, gebaut, um den kolonialen Albtraum fortzusetzen. Ziel der Regierung war es, einer Handvoll Leuten Macht und Bildung zu verschaffen und eine Mehrheit zu unterdrücken, sie fügsam zu machen, indem man ihnen das Recht auf Bildung verweigerte."

 

Bu Mus ist an ihrem ersten Schultag als Lehrerin fünfzehn Jahre alt. Sie hat die Mittelschule absolviert und ist damit berechtigt, als Lehrerin zu arbeiten.

Sie ist eine unbeugsame Frau von großer Intelligenz, Integrität, unglaublichem Mut, großer Weitsicht, mit Empathie und Charisma ausgestattet. 

Sie unterrichtet die Kinder fachlich, lehrt sie aber auch, Verantwortung zu übernehmen und Träume zu entwickeln.

Sie bringt ihnen bei, dass Bildung die einzige Chance ist, die sie haben.

 

Sie kämpft zusammen mit dem Schulleiter Pak Harfan und den Kindern gegen Herrn Samadikun vom Erziehungs-ministerium, der die Schule schließen möchte (sie hat nicht einmal das vorgeschriebene Porträts des Staatspräsidenten an der Wand hängen). Sie kämpft gegen die Bergbau-gesellschaft, die die Schule platt machen möchte, da auf deren Grundstück Zinn abgebaut werden soll.

Sie kämpft auch mit den Kindern selbst: es gibt eine Phase, in der einige der zehn doch lieber arbeiten gehen, als die Schule zu besuchen. Schnelles Geld lockt sie an. Sie wissen nicht, wie wenig sie für sehr schwere Arbeit bekommen und dass sie sich in einen Teufelskreislauf begeben.

Die Kinder kehren zurück, Ministerium und Bergbau-gesellschaft lenken ein.

 

In der Klasse befinden sich Kinder mit brillanter Intelligenz. Lintang, der täglich vierzig Kilometer mit dem Fahrrad zurücklegt, um zur Schule zu kommen, ist ein Mathegenie. Er träumt davon, der erste Mathematiker Indonesiens zu werden, der internationalen Ruhm erringt. Er wird später als Lastwagenfahrer arbeiten, weil er nach dem frühen Tod des Vaters die Familie ernähren muss. Mahar ist ein begabter Künstler, er driftet in die Esoterik ab.

Andere träumen davon, Politiker, Schauspieler, Schiffskapitän, Schriftsteller oder Lehrer zu werden.

 

Der einzige, der seinen Traum verwirklichen kann ist Hirata selbst. In seinem autobiographischen Roman ist er der Junge Ikal. Auch bei ihm gelingt es nicht auf Anhieb: einige Zeit arbeitet er bei der Post, bewirbt sich für Stipendien und kann schließlich in Europa studieren. Er arbeitet dann bei einer Firma in seiner Heimat, bis er von seiner Arbeit als Schriftsteller leben kann.

 

Das interessante an diesem Buch ist nicht alleine die Entwicklung der Kinder oder der Kampf gegen alle Widrigkeiten, die der Schule widerfahren.

Der Roman bringt dem Leser auch das Land Indonesien nahe, da immer wieder Bräuche, Feste oder Wettbewerbe beschrieben werden. Oder die unglaubliche Natur.

 

Hirata erzählt chronologisch und hinter seinem ganzen Text steht der Wille, Bildung zu ermöglichen. Bildung als einzigen Ausweg, obwohl die Geschichte Lintangs zeigt, dass Intelligenz und Wissen keine Garantie für ein würdiges Leben sind. Aber ohne Bildung wird es in keinem Fall gelingen. Darauf hinzuweisen wird er nicht müde.

 

Es ist jedoch kein Roman, der trocken Argumente aneinanderreiht, der zu einer reinen Botschaft wird. 

Die Kinder sind viel zu lebendig und phantasievoll und Hirata hat eine lebhafte Art, den Alltag zu erzählen

und dabei auch über diesen hinauszublicken.

 

Anfang der Neunzigerjahre verfällt der Weltmarktpreis für Zinn. "Ohne Vorankündigung brach das Riesenunter-nehmen, das Hunderte von Jahren die Insel regiert hatte, über Nacht zusammen." Der wirtschaftliche Zerfall führt zu politischen Unruhen. Im Jahr 1998 wird Präsident Suharto, der "zweiunddreißig Jahre lang geherrscht" hatte, gestürzt. Auch auf Belitung kommt es zu Zerstörungen, vom Gedong bleibt nichts mehr übrig.

Es folgt ein mühsamer Neuanfang, der schließlich die Schule das Leben kostet.

 

"Wir mussten vor dem schlimmsten und grausamsten Feind der Erziehung in die Knie gehen, einem Feind, der keine Gnade kennt und kaum zu bezwingen ist, weil er unsichtbar bleibt. Dieser Gegner hatte langsam und allmählich Schüler, Lehrer und das ganze Schulsystem unterwandert: der Materialismus. ... Schule ist heutzutage nicht mehr der Ort, den Charakter zu bilden, sondern ein Element des kapitalistischen Systems, das darauf ausgerichtet ist, Reichtum und Macht zu erwerben.

Aus diesem Grund schickten Eltern ihre Kinder nicht mehr auf Dorfschulen wie die Muhammadiyah."

 

 

Der Roman gibt einen guten Einblick in das Gastland der Frankfurter Buchmesse 2015. Er liest sich flüssig, bietet eine schöne Mischung aus personalisierter Geschichte und sozialhistorischem Hintergrund, er verfolgt erkennbar das Ziel, auf den Wert der Bildung hinzuweisen und das, ohne den Spannungsbogen zu verlieren.

 

 

 

 

 

 

 

 

Andrea Hirata: Die Regenbogentruppe

Übersetzt von Peter Sternagel

Hanser Verlag, 2005, 272 Seiten

Fischer-Taschenbuch, 2015, 288 Seiten

(Originalausgabe 2005)