Inghill Johansen - Ein Bungalow

Das vom Großvater erbaute Haus ist in die Jahre gekommen. Wie auch die Ich-Erzählerin, die in Gedanken immer wieder zu diesem Haus zurückkehrt, in ihm ihre Erinnerungen verortet, an ihre Mutter denkt und daran, wie Verwandlung sich vollzieht.

 

Das Haus ist der rote Faden, der sich durch die vielen aneinandergereihten Kurzprosatexte zieht. Sie sind in vier Gruppen gegliedert, eine jede hat ihren eigenen Blickwinkel, der Ton ist still, reduziert, unspektakulär. Genau darin liegt der Reiz dieser Texte, der Nachhall, den sie hervorrufen, ist groß.

 

Im Auftakt des Buches wird der Abriss des Hauses beschrieben und eine Beziehung zum Menschen hergestellt:

"Sobald die Schaufel auf das Haus trifft, spürt er (der Baggerfahrer) einen Widerstand, der sich von der Maschine in seinen Körper überträgt. Als sei die Schaufel eine Hand und das feuchte Gebälk Teil eines Menschen, an dem sie sich vergreift."

 

Diese Verbindung von Haus und Mensch setzt sich im ganzen Buch fort. So finden sich im ersten, der Mutter gewidmeten Teil, folgende Sätze:

"Es sieht so aus, als hätten sich alle Dinge nur aus Höflichkeit an ihrem Platz gehalten, doch jetzt, wo Mutter weg ist, ist ihnen die Anstrengung zu viel."

"Das Dach ist nicht mehr ganz gerade, es hängt schief. Als hätte meine Mutter alles zusammengehalten, Angeln, Türen, Tapeten. Als wäre sie der Tragebalken gewesen, der das Haus aufrecht hielt, nicht der einst von meinem Großvater eingesetzte Balken aus Fichtenholz."

 

Es geht nicht primär um die Frage, welche Wirkung die Umgebung auf einen Menschen hat. Das Haus steht sinnbildlich für das Leben: Wie geht man mit Veränderungen um? Wie mit dem Älterwerden? Wie werden Alltagssituati-onen erlebt und abgelagert? Wie reagiert man auf andere, andere auf einen selbst? Ist man ein unverwechselbares Individuum? Gibt es einen Punkt, an dem man zum Schauspieler des eigenen Lebens wird? Zum Beispiel dann, wenn die Tochterrolle als Rolle aufgefasst wird? Welches Gewicht hat das geschriebene Wort, welches das  gesprochene? Nichts ist zu klein, um eine innere Unruhe auslösen zu können - Inghill Johansen stellt sogar eine Verbindung von der Art, wie ihre Mutter ein Kuchenrezept weitergibt, mit ihrer eigenen Art zu erzählen, her.

 

Tragen im zweiten Teil, "Schnittpunkte", die Texte zumeist Überschriften, die sich am Körper orientieren, "Die Stimme", "Augapfel", "Hand" oder "Atem", begibt sich die Erzählerin im dritten Teil mit "Tafeln und Kreide" in eine Schule. Sie scheint Lehrerin zu sein. "Stifte", "Karten" oder "Schwämme" und "Flure" etc. sind die Stichworte, die sie sich selbst gibt, um darüber zu reflektieren, wie sie das Alleralltäglichste wahrnimmt, und wie dies in ihr zu flirren beginnt.

Zum Beispiel können am Boden stehende, viel zu große Sporttaschen die Gedanken ganz woanders hinlenken:

"Manchmal träume ich von einem Klassenzimmer frei von diesen Hindernissen. Manchmal träume ich von einer großen Wahrheit, die ich weitergeben will." 

 

Und auch wenn im vierten und letzten Teil wieder vermehrt von "dem Haus" die Rede ist, ist er doch der weiträumigste. Die Erzählerin tritt hinaus, erlaubt sich Träume, überlegt, was-wäre-wenn?  

"Zwei Verwechslungen an einem Tag, das muss etwas zu bedeuten haben, sagte ich zu meiner Freundin. ... Vielleicht ist es ein Zeichen, sagte sie. Für das, worüber wir gesprochen haben. Dass du dich veränderst. Ich lächelte. Nichts wäre mir lieber. ... Ich kann in einen x-beliebigen Zug steigen und zu einer x-beliebigen Person werden." 

 

Vielleicht kann sie das Haus nun abstreifen, sich Raum schaffen und die Person werden, die sie möchte.

Das stille Buch über Vergänglichkeit und Alter ist auch eines über Unendlichkeit, Verwandlung und Versöhnung.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Inghill Johansen: Ein Bungalow

Aus dem Norwegischen von Ina Kronenberger

Stroux-Edition, 2023, 156 Seiten

(Originalausgabe 2016)