James Leslie Mitchell - Szenen aus Schottland

James Leslie Mitchell (1901-1935) ist

ein in seiner Heimat Schottland sehr berühmter Autor, der hierzulande noch auf seine Entdeckung wartet.

Der vorliegende Band mit sieben Erzählungen bzw. Essays bietet

eine Auswahl aus dem Werk "Scottish Scene", das 1934 erschien, und den Ruhm des Autors festigte.

Nur die letzten fünf Jahre lebte er als freier Schriftsteller im Süden Englands, von 1919 bis 1928 diente er in der Armee - weniger aus Berufung als vielmehr aus materiellen Gründen. 

Seine Militärzeit verbrachte er in Afrika, im Nahen und Fernen Osten und einige seiner schriftstellerischen Arbeiten spielen dort. Doch seine wichtigsten und besten Texte sind im Norden Großbritanniens angesiedelt, hier kennt er die Menschen und auch die Landschaft am besten.

 

Mitchell selbst stammt aus einer Bauernfamilie, geboren wurde er in Arbuthnott, das liegt etwas südlich von Aberdeen. Mit sechzehn Jahren verließ er ohne Abschluss die Schule, doch er konnte als Reporter bei lokalen, später auch für größere Zeitungen in Glasgow und Aberdeen arbeiten.

 

Die vorliegenden Erzählungen spielen in den 1920er und 30er Jahren, die Orte sind kleine Dörfer oder auch Einzelhöfe in einer kargen Landschaft, der jedes Korn durch harte Arbeit abgetrotzt werden muss und die vom Klima nicht gerade begünstigt ist.

 

Kernstück ist die Erzählung "Das Land", das den Jahreszeiten folgend in vier Kapitel unterteilt ist. Den Auftakt gibt der Winter, insofern kann er nicht anders als düster sein, man möge jedoch nicht glauben, der Frühling sei von Freude oder Hoffnung erfüllt. Dieses Land ist dermaßen hart, dass es einen Menschenschlag hervorbringt, der notgedrungen ebenfalls hart sein muss, anders kann hier niemand bestehen. 

 

Mitchell schreibt:

"Das ist Das Land dort draußen, aufgewühlt im prasselnden Eisregen ... in dieser Nacht ein verschwommenes Bild schiefer Zäune und langer Reihen Ackerfurchen. ... Das ist Das Land - aber nicht ganz. Die Leute im Stall dort, deren Laternen durch den Eisregen leuchten ... - sie sind in ebensolchem Maße Das Land. Diese beiden als zweierlei Kraft, sie sind die Protagonisten dieser kleinen Skizze."

 

Sie sind nicht nur die Protagonisten dieser Skizze, sie sind die Protagonisten aller Erzählungen Mitchells.

Schon früh hat er sich aufgrund dessen, was er sowohl auf dem Land als auch in den Städten an Ungerechtigkeiten und sozialen Schieflagen sah, zum Sozialisten entwickelt.

Sein Augenmerk liegt immer auf den Menschen, auch wenn er eine Landschaft beschreibt. Diese ist der Lebensraum, in dem seine Bewohner sich abmühen - sehr wohl sieht er ihre Schönheit, doch dies verleitet ihn nicht zu einem romantischen Blick, dieser ist und bleibt sozialkritisch.

 

Jede einzelne Jahreszeit führt ihm vor Augen, wie angefüllt mit Arbeit sie ist, im Herbst zum Beispiel ist jeder Stoppelhalm eines abgeernteten Feldes Zeuge menschlicher Arbeit: sie haben gesät, gesammelt, geworfelt, verlesen, gepflügt, geeggt, gesorgt und auf die Halme geachtet.

 

Die Menschen, das sind sture Bauern, wie Sim aus der gleichnamigen Erzählung, die schuften, schuften und schuften, und darüber vergessen, dass es Menschen neben ihnen gibt, die auch ihrer Sorge bedürften.

Oder Rob Galt, Protagonist der Erzählung "Lehm", der die Zukunft seiner Tochter im Boden versenkt, weil er sich in den Kopf gesetzt hat, ein Stück Land urbar zu machen, das dazu absolut nicht geeignet ist.

 

"Er arbeitete vom Tagesanbruch bis in die Dunkelheit und noch in den Abend hinein, er brachte große Ernten ein vom Land, er war ein Geizhals wie kein zweiter, doch nach fünf Jahren Ackerbau hatte er kaum einen Groschen, den er sein eigen nennen konnte. Jeder Heller, den er für die Ernte in einem Jahr bekam, schrie danach, so mochte es scheinen, wieder in die Saat des kommenden Jahrs gesteckt zu werden."

 

Dieser Kreislauf von Härte - des Landes, der Arbeit, der Menschen- vermag kaum jemand zu durchbrechen.

 

Auch die starken Frauen, Meg, Kath oder Rachel aus verschiedenen Geschichten, kommen letzten Endes nicht an gegen diesen Kreislauf.

 

Die Hoffnung Mitchells liegt eher auf den Städten, die zumindest aus den feudalen Strukturen herausfallen.

Doch auch hier liegt sehr sehr viel im argen.

 

Die beiden Städteporträts "Glasgow" und "Aberdeen" sind sehr vergnüglich zu lesen, da sie von einer warmherzigen Ironie durchzogen sind. Was die Kernaussage nicht verdeckt, lediglich abmildert, denn auch hier gilt: selbst harte Arbeit sichert kein menschenwürdiges Leben.

Aber die Stadt als Möglichkeit verkörpert eine Utopie,

die das Land nicht bieten kann.

 

Stark ins Auge fallend ist der Anti-Nationalismus Mitchells. Ganz entschieden wendet er sich gegen die schottischen Nationalisten, die glauben, durch eine Abkehr von England würden sich die Probleme quasi von alleine lösen.

 

"Ich würde das Ende von Hochschottisch und Gaelic, von unserer Kultur und unserem Status als Nation unter den Stiefeln einer chinesischen Besatzung in Kauf nehmen,

wenn es bedeuten würde, dass die Slums von Glasgow bereinigt und den Bewohnern dieser Unterwelt Brot und Spiel gewährt würden, diese Grundrechte eines jeden menschlichen Wesens..."

"Welch ein Fluch für die Welt sind kleine Nationen", sind sie doch "von Gruppierungen plappernder kleiner Schwachköpfe besetzt und infiziert" vom Glauben an ihre exklusive Kultur, Sprache und Seele. 

 

Mitchell ist ein überzeugter Kosmopolit: "Die Rettung von Glasgow, von Schottland, von der ganzen Welt, liegt weder im Nationalismus noch im Internationalismus, diesen Zwillingshälften eines schwachsinnigen Ganzen.

Sie liegt letztendlich im Kosmopolitanismus ..."

 

Wenn ich hier, bei der Besprechung eines literarischen Werkes, so ausführlich auf die politische Ausrichtung des Autors eingehe, so deshalb weil nationalstaatliche Ideen momentan wieder in Mode kommen. Und davor nicht genug gewarnt werden kann.

 

Insofern sind die "Szenen aus Schottland" ein auch in dieser Hinsicht empfehlenswertes Buch: Mitchell liebt seine Protagonisten von Herzen, er kommt aus ihrer Mitte, spricht ihre Sprache, kennt ihr Leben - ist also sehr nah dran, und schaut doch weit über den nächsten Hügel hinaus. 

 

Er erschafft in seinen Geschichten sehr lebendige Menschen, skizziert über deren individuelles Leben hinaus das, was eine bestimmt historische Zeit ausmacht, und vertritt dezidiert seine Meinung zur herrschenden Situation.

Er schreibt über die Träume der Menschen, er lässt einen "Feldforscher" durch seine Essays trollen, durch dessen Augen er seine Beobachtungen macht, er führt die Sorgen einer Mutter vor, die mehrere Kinder ins Leben zu führen hat und deren Mann ein Trunkenbold ist, oder er betrachtet mit Wärme ein kleines "Trottelchen", das der Stolz der Eltern hätte werden sollen - es geht ihm immer um "das Leben und ein Grundmaß an Glück."

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

James Leslie Mitchell: Szenen aus Schottland

Übersetzt von Esther Kinsky

Guggolz Verlag, 2016, 170 Seiten, mit Kapitelillustrationen von Valeria Gordeew

(Originalausgabe 1934)