Markus Orths / Marlen Schachinger / Michael Stavaric -
Requiem
Requiem, Totenmesse oder Sterbeamt, ist die heilige Messe für Verstorbene.
Bekannt sind die Kompositionen von Scarlatti oder Mozart - wunderbare Musik zum Trost der Zurückbleiben-den. Das ungewöhnliche Buch, ein Werk dreier Autoren, ist die erste literarische Totenmesse, ist eine Messe ohne Musik, ohne Festschreibung zu einer Religion, es ist die Niederschrift einer im Mai 2017 in der Pfarrkirche Gaubitsch (Österreich) uraufgeführten Wort-Messe.
Einer Messe, die sich formal an den klassischen Ablauf des Reqiuems hält und innerhalb dieses Rahmens das letzte Tabu unserer Zeit umkreist: den Tod.
Nicht den Tod als Sensenmann, der Untertitel des Werks lautet: "Fortwährende Wandlung". Der Text geht der Frage nach der ständigen Veränderung allen Lebens nach, der Tod ist die letzte Metamorphose. Nach ihm kommt - nichts.
Der Tod erlöst von der Unsterblichkeit.
Er stellt die Aufgabe, die bemessene Zeit so zu gestalten,
dass sie für den Einzelnen gut verläuft - und dass er ein Erbe hinterlässt, das den Nachkommen etwas Gutes hinterlässt.
Und damit ist ein Schritt mitten hinein in eines der Themen gemacht.
"Was wir euch hinterlassen, liebe Kinder unserer Kinder, dafür gibt es keine Entschuldigung und kein Verzeihen.
Drei Generationen, vielleicht vier haben genügt, den Tod zu verbreiten. Hass in den Seelen, Gier im Körper und Dumm-heit im Geiste: Das ist unser Vermächtnis an euch, unser Erbe, welches ihr anzutreten habt, ob es euch gefällt oder nicht."
Oder: worauf beruht Religion, was will sie?
"... Glauben, bedingungsloses Glauben sei gefragt; nicht an einen Gott - um den geht es doch am allerwenigsten. Auch nicht an das göttliche Prinzip oder an den Keim des Guten, den bringen wir lieber heute als morgen um; nein: an die Worte der Männer, die ihre Macht sichern und halten wollen, nur daran sollst du glauben und schlicht der Tatsache wegen, da sie behaupten, es seien Gotte Wille und Gottes Worte, Gottes unerforschliche Entscheidungen, unergründlich seine Wege!"
Das Ende:
"Endlich Frieden.
Mit oder ohne ewigem Licht.
Kein Karma, keine Wiedergeburt.
Und - Himmel! - bloß keine Auferstehung!"
Würde? Ehre?
"Von einer Würde des Alters wollen wir nichts hören, von jener des Sterbens schon gar nicht, Würde ist uns sowieso nichts als unzeitgemäß, wie die Ehre. Aber bitte: Glauben! An das Heil der Technik, das Glück der Egomanie und den allmächtigen Gott des ewigen Wirtschaftswachstums."
Die ausgewählten Zitate verdeutlichen, dass es um das Leben geht, um die Zeit, in der wir leben, um unsere Haltung.
Der Text ist nicht innerlich religiös, er ist nicht psychologi-sierend, er spricht die Zuhörer oder Leser sehr direkt an und konfrontiert sie mit ihrer Verantwortung.
Die Geschichte von Kain und Abel holen die Autoren heraus aus der biblischen Umgebung, das "Evangelium" überschrie-bene Kapitel erzählt von einem alt gewordenen Paar, von
der Vertrautheit, dem Miteinander, den Ängsten, dem Schweigen, dem, was aufgeschrieben und Vermächtnis werden soll.
Von der Zeit heißt es:
"Ansonsten jedoch sei Zeit irrelevant, eine ausschließlich dazu erdachte Maßeinheit, damit die Menschen, auf sie verpflichtet, in der Lage seien, eine Verabredung einzu-halten; nichts weiter, weder eile noch verharre sie, keiner könne mit Fug und Recht behaupten, er habe sie nicht, weder lässt sie sich mehren noch besitzen oder mindern, sie ist
und ihr steter Tröpfen höhlt höchstens unseren Leib - bis er ausgelöscht wird. ... Kein Chronometer gebe Auskunft zu der Frage, wann sie abgelaufen sein werde." Der Tod bedingt, "dass unsere Zeit uns kostbar sei."
Es geht um die Liebe, die irdische, ein irdischer Vater kommt zu Wort, der Tiere wird gedacht, oder über Schwierigkeiten der Gewichtung, die im Alter zunehmen, reflektiert - "Fortwährend gelte es zu entscheiden, was wichtig sei und die Kriterien der Relevanz permanent gegenzuprüfen; obendrein unablässig die Frage, ob zwischen dem eigenen Ich und der Welt alles im Reinen wäre..." -
Die Idee zu diesem Buch entstand bei einer gemeinsamen Lesung von Marlen Schachinger und Michael Stavaric.
Rahmen und Basis lieferte jedoch Markus Orths.
Nachdem alle Einzelteile verfasst waren, wurden sie mitein-ander verwebt - ich nahm weder Brüche noch Widersprüch-liches wahr, aus den Mosaiksteinen ist ein facettenreiches Bild entstanden, dem es weder an Ernsthaftigkeit noch an Leichtigkeit fehlt. Es stellt Denkgewohnheiten in Frage, es will kein philosophisches Werk sein, das systematisch einen Themenkomplex untersucht, das Buch hat etwas von einem szenischen Spiel, das zum Nachdenken verführen möchte - meines Erachtens gelingt ihm dies trefflich!
Markus Orths, Marlen Schachinger, Michael Stavaric:
Requiem
Septime Verlag, 2017, 144 Seiten