Steven Price - Der letzte Prinz

Der Held dieses Romans ist der sizilianische Schriftsteller Giuseppe Tomasi di Lampedusa (1896-1957).

Genau einen einzigen Roman hat dieser verfasst und ist doch weltberühmt:

"Il Gattopardo", erschienen 1958, verfilmt fünf Jahre später von Luchino Visconti. Er gilt als Meisterwerk, als der Klassiker des 20. Jahrhunderts.  "Der Leopard" spielt zwischen 1860 und 1910 und beschreibt den Verfall des sizilianischen Adels während des Risorgimento, der Einigung Italiens.

 

Don Fabrizio, der Leopard, letzter Spross der Familie Salina, kann sich den Zeitläufen nicht entziehen: der Adel, oft verarmt wie er selbst, muss seinen Platz dem aufstrebenden Bürgertum überlassen. Eine neue Zeit bricht an, im Roman symbolisiert durch die junge Angelica. Sie ist die Tochter eines reichen Mannes, die durch Heirat mit einem Adeligen gesellschaftlich aufsteigen möchte. Tancredi, Neffe des Fürsten Salina, und ihr Auserwählter, hat dagegen großes Interesse an ihrem Vermögen.

Um diese Liebesgeschichte, die den Kern des Romans bildet, spinnt sich die Geschichte der Veränderungen in der Welt.

 

Der aus acht Kapiteln bestehende Roman bietet eine umfassende Sicht auf das Leben der Zeit: die Stadt und ihre Paläste, die Landsitze, die Feste und Rituale, ein Ausflug ins Kloster und die Begegnung mit Geistlichen und Verwaltern bzw. Pächtern - in fulminanten Bildern lebt die vergangene Zeit auf und stellt doch auf jeder Seite die Frage nach der Vergänglichkeit und Vergeblichkeit.

 

Steven Price hat den Aufbau des Leoparden übernommen.

Acht Teile hat sein Roman, im ersten werden die Personen eingeführt.

Diese sind: die Mutter Giuseppes, eine sehr beeindruckende Frau, die die scheinbar selbstgewählte Aufgabe übernommen hat, die Traditionen zu erhalten.

Sie versteht sich absolut nicht mit der anderen starken Frau in Guiseppes Leben: Alessandra von Wolff-Stomersee, einer baltischen Adeligen, Linguistin und Psychoanalytikerin, ihre Ehe mit Guiseppe ist die zweite. Die Hochzeit fand 1932 in Riga statt, erst 1942 zog sie nach der Zerstörung ihres Hauses während des Krieges von Lettland nach Sizilien.

 

Die Cousins Lucio, ein Maler und Dichter, und dessen Bruder Casimiro erscheinen auf der Bildfläche, ebenso Gioacchino, Orlando und Francesco, junge Studenten, die bei Giuseppe private Literaturvorlesungen besuchen.

 

Gioacchino ist mit Mirella verlobt - diese beiden Figuren sind nicht die Vorbilder von Tancredi und Angelica, aber sie haben diese inspiriert.

In ihnen spiegelt sich die neue Zeit, vor allem Mirella ist eine moderne junge Frau, die gewillt ist, ihren Weg zu gehen.

 

Ebenso wichtig für den ganzen Roman "Der letzte Prinz" 

ist der Besuch Guiseppe di Lampedusas bei seinem Arzt

Dr. Coniglio. Dieser eröffnet ihm, er leide an einem Lungenemphysem. Es sei ernst. Ändere er nicht seine Lebensweise, könne eine Krebserkrankung daraus werden - plötzlich steht der Tod vor Lampedusas Augen!

 

Er ist kinderlos, das Vermögen dahingeschmolzen, die Villa im Krieg zerstört - was bleibt von ihm?

 

So setzt er sich hin und schreibt den Roman, der ihn unsterb-lich machen wird: "Il Gattopardo".

Der Fürst von Salina ist das Alter Ego seines Urgroßvaters, aber auch die Spieglung seiner selbst. Die Welt des Romans blickt zurück auf das, was fast einhundert Jahre zuvor begann und auch mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges nicht abgeschlossen ist: die Transformation Siziliens.

 

Guiseppe Tomasi di Lampedusa fängt mit neunundfünfzig Jahren an, seinen Roman zu schreiben. Er erinnert sich an seinen Urgroßvater:

"Sein Fürst und Astronom stand makellos am Rand der sonnenbeschienenen Terrasse mit Blick auf die sich wandelnde Welt und begriff, dass das scheinbar Vergehende bereits vergangen war."

 

Diese Themen - das Vergehen der Zeit, das Echo der Vergangenheit in der Gegenwart - reflektiert Steven Price in seiner Romanbiographie des Schöpfers eines großartigen Werkes.

Es wird in der verschiedensten Weise zitiert, sei es (fast) wörtlich, sei es in Orten und Personen.

Ganz genau, bis hin den Schicksalen der Schwestern von Guiseppes Mutter, seinen Erinnerungen an Krieg und Gefangenschaft, bis hin zum Knauf des Spazierstockes und ganz tief, bis zum Sterben des Fürsten, das aus seiner inneren Perspektive erzählt wird, hat er den Geist der Zeit und des Romans eingefangen und ein beeindruckendes neues Werk daraus geschöpft.

 

Die Atmosphäre ist ganz und gar die der fünfziger Jahre, auch die Sprache. Das Leben des Autors Guiseppe Tomasi

di Lampedusa ist zum Roman geworden, gespeist aus verschiedenen Quellen, sein Roman ist eine davon.

Entstanden ist eine dichte, lehrreiche und vielfältige, psychologisch ausgefeilte Geschichte, historisch genau.

Der Roman hat nichts von einem Bericht an sich, er ist ein eigenständiges Stück Literatur, fußend auf dem Vorangegangenen, ein Echo einer vergangenen Zeit - hier kann ein Fragezeichen gesetzt werden, denn wann ist eine Zeit vergangen?

 

Die Beantwortung dieser Frage überlassen sowohl

Giuseppe Tomasi di Lampedusa als auch Steven Price ihren LeserInnen.

 

Ich bin beeindruckt von diesem Roman, der wie eine russische Matrjoschka ist - es kommt immer noch eine Geschichte aus der Geschichte hervor, noch ein Echo, noch ein Gedanke. Wunderbar!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Steven Price: Der letzte Prinz

Aus dem Englischen übersetzt von Malte Krutzsch

Diogenes Verlag, 2020, 368 Seiten

(Originalausgabe 2019)