Alfonsina Storni - Chicas, Kleines für die Frau   &

Cuca, Geschichten

Charmant und leichtfüßig, ironisch, konsequent feministisch und sehr sehr warmherzig sind die Geschichten und Kolumnen der argentinischen Autorin mit Schweizer Wurzeln. In Argentinien ist sie fester Bestandteil der Literatur, auf Deutsch kann ihr Werk nun erstmals gelesen, entdeckt und geliebt werden, neu übersetzt von Hildegard Keller, die auch eine zweibändige Biographie über Alfonsina Storni verfasst hat (erscheint im Oktober 2021).

 

1892 kommt Alfonsina im Tessin zur Welt, vier Jahre später wandern ihre Eltern nach Argentinien aus. Schon mit achtzehn ist sie ausgebildete Landlehrerin, beginnt, an einer Primarschule zu unterrichten. Doch am Ende des Schuljahres kündigt sie und zieht nach Buenos Aires, sie ist schwanger. Ihren Sohn zieht sie alleine groß, bleibt ihr Leben lang unverheiratet und der Ehe als Institution gegenüber sehr kritisch. Dass sie ihren Lebensunterhalt selbst verdient, ist für sie selbstverständlich, sie arbeitet als Lehrerin, Autorin, Redakteurin und Dozentin am Theater. Sie führt ein bewegtes Leben mit Reisen durch Südamerika und auch

nach Europa, immer im Blick: die Situation der Frauen.

1938 beendet sie ihr Leben mit einem Sturz ins Meer.

 

Der Band "Chicas, Kleines für die Frau" versammelt Kolumnen, die in den Jahren 1919 und 1920 in den Zeitungen La Nota und La Nación erschienen sind, zwischen Annoncen für alles mögliche. Diese Inserate verschönern das Buch und transportieren den Geist der Zeit.

Alfonsina Storni äußert sich zu verschiedenen Berufen und Rollen von Frauen in der Gesellschaft. 

"Das perfekte Bürofräulein", "Die Lehrerinnen",  "Erwerbs-tätige Frauen", aber auch "Die Makellose", "Die Feindin der Frau" oder "Die Liebe und die Frau".

 

Natürlich macht sie sich auch Gedanken über Männer, zum Beispiel den "fossilen Mann", ein Bruder des alten weißen Mannes. Sie verschont auch nicht die Frauen, die zwar im Namen des Feminismus und der Eigenständigkeit auftreten, in Wirklichkeit aber doch nur mit den traditionellen Waffen der Frau kämpfen.

 

"Als Verteidigerin der Rechte der Frau kann ich nicht anders, als diesen parfümierten Feminismus als Begleiterscheinung des Feminismus widerlich zu finden. Genau betrachtet ist er nichts anderes als eine schlecht kaschierte Verbindung althergebrachter weiblicher List mit intellektuellen Versatzstücken, der böse Flecken auf einer Angelegenheit hinterlässt, die zu ihrer Durchsetzung der Integrität und Nüchternheit bedarf."

 

Macht sie sich Gedanken über Kleidung oder Mode, geschieht dies in einem gesellschaftlichen Zusammenhang.

Wie funktioniert Scham, was bewirken wirtschaftliche Nöte, warum ist Wohltätigkeit kein Ersatz für staatliches Handeln? Diese Fragen und viele mehr stellt Alfonsina Storni in ihren Kolumnen, in ihrem Text "Neugier" ist zu lesen:

 

"Verstehen ist das höchste Vermögen unter allen."

 

Unter dieser Maxime stehen auch ihre Erzählungen, Aphorismen, Reisenotizen und literaturkritischen Artikel, die in dem Band "Cuca" versammelt sind. 

Auch hier taucht sie tief ein in das tägliche Leben, nicht ohne weit darüber hinauszudenken. Ehrlich ist sie, um Aufklärung bemüht, beobachtend, ihre Schlüsse ziehend.

 

Verstehen, empfinden, sich entwickeln, denken, logisch und linear, aber auch spielerisch, das ist, wozu Alfonsina Storni ihre LeserInnen verführen möchte. In einer poetischen Sprache möchte die Lyrikerin all das anregen, was die Menschen weiterbringt.

 

"Wer den menschlichen Geist ansprechen und verfeinern will, muss die Brutalität bekämpfen, zu der ein Leben führt, das in zu engen Bahnen und ohne jeden künstlerischen Horizont gelebt wird. Kurzum: Man muss die Menschen befähigen zu lieben."

 

Die beiden Textsammlungen sind wahre Schatztruhen, man findet immer noch ein wunderbares Stück darin.

 

Große Leseempfehlung!

 

 

 

 

 

 

 

Alfonsina Storni: Chicas, Kleines für die Frau

                                      Cuca, Geschichten

Übersetzt und herausgegeben von Hildegard E. Keller

Edition Maulhelden, 2021, jeweils 264 Seiten