Jens Wonneberger - Mission Pflaumenbaum

Der Roman spielt dreißig Jahre nach der Wende irgendwo im Niemandsland des deutschen Ostens, in einem Dorf, eine Autostunde von einer Großstadt entfernt. Dorthin begibt sich Kramer, ein Bibliothekar Mitte/Ende fünfzig, Mitdemonstrant der Friedlichen Revolution, geschieden und ein wenig verunsichert, für ein Wochenende zu seiner Tochter Tine. Sie lebt mit Mann und Katze in einen Haus mit Garten und versucht, dort ihren Traum vom ursprünglichen Leben zu verwirklichen.

 

Kramer kommt mit dem Bus an, und wird sofort angesprochen von einem Mann, der an einen Vogel erinnert. Rottmann heißt er. Dieser Alte entpuppt sich als eine Art Faktotum, als sogenannte Stimme des Volkes.

Aber auch als einer, der die Dorfgeschichte kennt, und von Tatsachen zu berichten hat. Er ist eine doppeldeutig angelegte Figur, zwischen Chronist und Wutbürger schwankend, überhaupt kein Sympathieträger, aber in seiner Rolle als Führer durch das Dorf und die Zeiten auch interessant.

 

Er erzählt Kramer einen Teil der Dorfgeschichte, noch bevor Kramer das Haus Tines erreicht. Auch am nächsten Tag wird er ihn wieder treffen - Rottmann ist der Unausweichliche und Kramer stellt erstaunt über sich selbst fest, dass er bald Ausschau nach ihm hält.

 

Rottmann berichtet vom Selbstmord des Fabrikbesitzers beim Einmarsch der sowjetischen Soldaten 1945, vom Niedergang der örtlichen Weberei, vom Zerfall der "Stipendie", das ist eine Ansammlung ehemaliger Arbeiterhäuser. Gelegenheit auch über die Asylanten zu schimpfen, die bald dort einquartiert werden sollen.

Er knurrt über die Rolle der Treuhand und den Ausverkauf der demokratischen Idee, bemängelt, dass der momentane Bürgermeister zwar die Schule verkommen lässt, dem Herrn Rechtsanwalt (einer aus dem Westen natürlich), der nun in der Fabrikantenvilla wohnt, aber eine schöne Straße asphaltieren ließ. 

 

Parallel dazu erzählt Jens Wonneberger, geboren 1960 in Sachsen, heute in Dresden lebend, die Vater-Tochter-Beziehung. Diese ist distanziert bis schwierig. Tine lebte nach der Trennung ihrer Eltern bei der Mutter Gabriele, die es bis zur Landtagsabgeordneten gebracht hat. Kramer selbst entschied sich gegen eine Karriere, sieht diese Entscheidung im Rückblick aber selbst als ein Abtauchen vor der Verantwortung. 

 

Tine ist Anfang dreißig, Sozialwissenschaftlerin, nicht berufstätig. Ihr Mann, ein gut verdienender Informatiker, meint, sie hätte es doch nicht nötig zu arbeiten.

 

Konflikte überall also. Jens Wonneberger erzählt die Geschichte von außen auf seine Figuren blickend sehr nüchtern und rational. Dabei macht er durch kleine Hinweise deutlich, wie sehr es unter der Oberfläche brodelt, wie unglücklich Tine ist, wie ihr Mann Hans-Günther sich hinter einem "Projekt" versteckt, wie Kramer zwischen der alten und neuen Zeit hängt - und vor allem, wie einer nach dem anderen merkt, dass er oder sie Sätze von sich gibt, die Rottmann gesagt haben könnte. Rottmann der Pegida-Anhänger, nicht Rottmann der Ortskundige.

 

Angeregt durch Rottmann beginnt auch Kramer zu erzählen:

"Ich meine es ernst, sagte Kramer, ein Hauch von Anarchie lag über allem, der alte Staat war zusammengebrochen, und wir waren bereit, etwas wirklich Neues aufzubauen...

Doch so sehr er seiner folgenden Erzählung über die damaligen Ereignisse eine ehrliche Begeisterung beizugeben versuchte, wuchsen seine Zweifel, ob all das heute noch mitteilbar war."

 

Anstelle der Erzählung von der Begeisterung ist die der Enttäuschung getreten, der sich kaum jemand entziehen kann.

 

Der Roman ist zugleich konkret, die Dinge benennend,

und zurückhaltend, sich einer Bewertung enthaltend.

Dies bewirkt, dass sich viele Fragen erst nach der Lektüre einstellen, eine erste und schnelle Beurteilung überdacht werden will. 

 

Jens Wonneberger ist ein leiser Erzähler, der sehr ruhig, geschickt und kunstvoll das Zusammentreffen dreier Generationen herbeiführt, um aus verschiedenen Perspektiven auf die Gegenwart zu schauen - auf die Situation der einzelnen Figuren und auf die des Landes und das, was sich womöglich zusammenbraut.

 

Die Mission Pflaumenbaum? Sie weist in die Zukunft...

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Jens Wonneberger: Mission Pflaumenbaum

Müry Salzmann, 2019, 192 Seiten