Stefan Zweig - Der Zwang

Mit Holzschnitten von Frans Masereel

Eine Erzählung über Zwang und Wille, Mut und Feigheit, Kraft und Schwäche. Über den Staat, die Maschinerie des Krieges, die Möglichkeiten des Einzel-nen, seine Ängste. Über das, was ihm am wichtigsten ist, über die Chance umzukehren und nicht zuletzt über die Liebe. Und über die Frage: Was ist Freiheit?

 

Stefan Zweig hat diese Erzählung 1920 geschrieben, noch unter dem unmittelbaren Eindruck des Krieges. Er war im Kriegsarchiv tätig, 1917 wurde er aus dem Militärdienst entlassen, daraufhin zog er in die Schweiz. In der Nähe von Zürich ließ er sich nieder.

 

Dort ist auch "Der Zwang" angesiedelt. Die Hauptperson ist der Maler Ferdinand, ein Deutscher, der zunächst für "nicht tauglich" erklärt worden war und mit seiner Frau Paula nun oberhalb des Zürichsees lebt. 

Wirklich frei fühlt er sich auch dort nicht, denn eine erneute Untersuchung und die Möglichkeit, doch noch eingezogen zu werden, schwebt wie ein Damoklesschwert über ihm.

 

Und dieses saust dann auch auf ihn nieder, in Form eines amtlichen Schreibens. Er soll sich beim Konsulat in Zürich melden, für eine neuerliche Tauglichkeitsprüfung.

 

Kaum hält er dieses Papier in den Händen, schwindet alle Kraft aus Ferdinand. Er ist sofort davon überzeugt, dass er gehen muss, auch wenn er zuvor bei jeder Diskussion mit Paula sagte, er würde sich widersetzen. Dieser Gedanke ist nun völlig verschwunden.

 

Paula erinnert ihn daran. Sie wird in der gesamten Erzäh-lung die Stimme sein, die an die Freiheit, Menschlichkeit und die Wahlmöglichkeit des Individuums gemahnt.

 

Ferdinand wurde innerlich zum "Schulknaben". Paula sagt:

"Aber Ferdinand, wer ruft denn? Das Vaterland? Ein Schreiber! Ein gelangweilter Bureauknecht! Und dann, selbst der Staat hat kein Recht, einen zum Mord zu zwingen, kein Recht..."

Sie fordert ihn auf, sich zu wehren, denn "nur solange die Welt will, sind sie stark."

Paulas Worte sind nicht stark genug, um Ferdinand zu überzeugen. Ferdinand fährt mit dem Zug nach Zürich.

 

Hier ist ein Holzschnitt Frans Masereels eingefügt, der dritte des Buches. Auf diesem ist Ferdinand am Gleis stehend zu sehen, außer ihm ist nur ein Arbeiter mit einem Karren zugegen. Sechs Gleise bestimmen das Bild, eine Weiche.

 

In absoluter Einsamkeit steht er da, die Gleise scheinen ins Nirgendwo zu führen.  Diese Illustration versinnbildlicht für mich die Zeitlosigkeit des Werkes von Frans Masereel auf perfekte Weise, hier fängt er eine existenzielle menschliche Situation ein, die Gültigkeit hat, ohne an eine konkrete Gegebenheit gebunden zu sein.

 

Dies gilt im übrigen nicht nur für die Bilder, sondern genauso für die Erzählung.

 

Ferdinand legt sich die Worte zurecht, die er im Konsulat vorbringen will.  Doch alles läuft völlig anders ab. Geschlagen kommt er nach Hause, Paula erkennt sofort, was passiert ist. Sie versucht erneut, ihn von seiner Freiheit zu überzeugen. Sie spricht aus, was Ferdinand nicht mehr glaubt:

"Denn jeder ist ein Mithelfer, der sich nicht weigert" und

"Warum haben sie die Macht? Weil ihr sie ihnen gebt. Und nur solange ihr feig seid, haben sie die Macht. Dies alles, was eine Menschheit jetzt das Ungeheure nennt, besteht aus zehn Menschen voll Willen in allen Ländern, und zehn Menschen können es wieder zerstören. ... Man muss `nein´ sagen, das ist heute die einzige Pflicht..."

 

Sie verknüpft seine Entscheidung zu gehen oder zu bleiben mit ihrer Ehe: wenn er geht, dann für immer.

 

Interessant in dieser Erzählung ist auch die Rolle Paulas:

sie ist sehr untypisch für eine Frau. Sie fügt sich nicht in die Rolle derer, die den Ehemann bestätigt und bestärkt und eigene Gedanken für sich behält. Sie ist bereit, ihr ganzes Leben in die Waagschale zu werfen, sie ergibt sich nicht der Maschinerie des Krieges.

 

Ferdinand hingegen macht sich auf in den Krieg...

 

Stefan Zweig und Frans Masereel verbindet der Kampf gegen den Krieg und eine tiefe Freundschaft, die erst mit dem Tod Stefan Zweigs 1942 endet. Der Gleichklang ihrer Gedanken und Anliegen zeigt sich in der Verbindung des Textes mit den Bildern. Insgesamt sind es zehn Holzschnitte, die die Erzählung vertiefen und auf einer zweiten Ebene erzählen.

 

Die Mahnungen Paulas gelten noch immer.

"Wer ist denn noch heute frei? - Jeder, der frei sein will."

Eine radikale Aussage Paulas, Zweigs.

Es ist ein Buch der Stunde, dieser einhundert Jahre alte Text.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Stefan Zweig: Der Zwang

Mit Holzschnitten von Frans Masereel

mit einem Nachwort von Peter Riedle

Leinen, Fadenheftung, Rundumfarbschnitt, Lesebändchen Buchgestaltung von Cosima Schneider

Büchergilde Gutenberg, 2020, 96 Seiten 

(Originalausgabe 1920)