Runar Schildt - Zoja

 

 

Die Erzählungen Schildts spielen um bzw. vor 1920, in jener Zeit also, in der Finnland um seine Unabhängigkeit kämpfte. Ein kurzer Blick in die Geschichte des Landes vertieft das Verständnis der Texte, da der zeitgeschichtliche Hintergrund ganz wesentlich für sie ist - denn Finnland musste seinen Platz zwischen Schweden und Russland erst finden.

 

Bis 1809 gehörte Finnland zum Schwedischen Reich, in jenem Jahr wurde es zum autonomen russischen Großfürstentum. Schwedisch blieb die Sprache der Gebildeten und der Oberschicht, Finnisch spielte eine untergeordnete Rolle.

Am 6.Dezember 1917 erklärte es seine Unabhängigkeit von Russland. Im Winter 1918 tobte ein blutiger Bürgerkrieg, in dem die bürgerlichen "Weißen" gegen die sozialistischen "Roten" kämpften und schlussendlich gewannen.

1919 wurde die Republik Finnland ausgerufen, ein Jahr später ein Friedensvertrag mit Sowjetrussland unterzeichnet und damit in seinen Grenzen anerkannt.

 

Runar Schild, geboren 1888, sprach selbst nur mangelhaft Finnisch und schrieb Schwedisch, er war der Spross eines verarmten Adligen, der  starb, als Runar noch ein Kleinkind war. Die Mutter heiratete später ins kleinbürgerliche Milieu, Geld war immer knapp. Die exklusive Herkunft Schildts, die sich jedoch nicht in einem adäquaten Lebensstil ausdrücken konnte, machte ihn zu einem Außenseiter, er gehörte weder hierhin noch dorthin.

 

Die titelgebende Erzählung "Zoja" ist die letzte in diesem Büchlein. Sie wurde 1920 veröffentlicht, spielt nur ein Jahr früher. 

Zoja Schekarasin lebt zusammen mit ihrem Bruder Jurij und den Eltern im finnischen Exil. Die äußerst gut betuchte Familie musste ihr Petersburger Palais verlassen, nun steht als einer der letzten Verkäufe Zojas Pelzmantel an - Bargeld ist knapp geworden.

Zoja trägt diese Tatsache mit Gleichmut, nicht unter dem Verlust der materiellen Güter leidet sie. Sie leidet an einer fast unerträglichen Langeweile und Perspektivlosigkeit in der finnischen Kleinstadt, irgendwo in der Provinz.  Sie fühlt sich völlig vom Leben abgeschnitten. Literatur und Kino bieten nur kurzfristige Ausflüge in die Welt, ihr Verehrer Meerwolff ist ein Buchhaltertyp. Sie spielt schon mit dem Gedanken, sich einem reichen Mann an die Brust zu werfen, Haupsache sie kommt in die Welt hinaus. Sie kann sich sogar vorstellen, als Soldat verkleidet zu kämpfen - in ihrer Verzweiflung kommt Zoja auf abstruse Ideen.

Als General Judenitsch 1919 den Versuch unternimmt, Petrograd  (seit 1914 trägt St. Petersburg diesen Namen) zurückzuerobern, blüht Zoja richtig auf. So sehr, dass sie sich sogar für Haushaltsangelegenheiten interessiert - die Rückkehr ins angestammte Heim scheint zum Greifen nah. Als der Vater von dort zurückkehrt, er wollte die Rückkehr vorbereiten, erkennt sie, dass "alle Hoffnung für Petersburg" vorbei war - und damit auch ihre eigene.

Zoja vergiftet sich mit einer Überdosis Morphin.

Damit hatte Jurij sich mental über Wasser gehalten, denn auch er konnte das Exil kaum ertragen.

 

Die beiden Erzählungen "Der Schwächere" und

"Der Fleischwolf" hängen inhaltlich zusammen.

"Der Schwächere" ist eine eher persönliche Geschichte, in der der liebende Ehemann Blomqvist seine Frau Manja, die von einem aufregenderen Leben als dem an der Seite eines kleinen Angestellten träumt, an den Schnapshändler Johnnie Claesson verliert.

Im "Fleischwolf", ein Deckname für ein Maschinengewehr, ist Johnnie zum Waffenschieber geworden. Die Waffen besorgt allerdings Manja, die sich in die Kaserne zu den Roten begibt, dort mit den Soldaten verhandelt und die Waffen unter ihrem Mantel in Johnnies Wohnung (sie lebt mittlerweile auch dort) schmuggelt.

Eines Tages verliebt sie sich in einen jungen Studenten, von dem Johnnie eine ungeheuerliche Summe für einen Fleischwolf verlangt - viel mehr als die Weißen dafür aufbringen können. Sie stiehlt die begehrte Waffe für Robert, den Studenten, und bringt damit sie beide in Gefahr.

Für Robert endet die Geschichte tödlich.

 

"Armas Fager" ist ein Möchtegern-Schauspieler, der es nur bis zum Statisten gebracht hat. Dann und wann bekommt er von seiner Frau, einer Ladenbesitzerin, einen Schein zugesteckt, den er sofort in Alkohol investiert. Um sich am Theater zu halten, benutzt er sogar seine minderjährigen Töchter. Diese zollen ihm weder Achtung noch Respekt und als sie mit russischen Offizieren speisen, versucht Fager auch nur eine Flasche Champagner zu ergattern, nur vordergründig hatte er versucht, sie vor den Absichten der Männer zu beschützen.

Die letzte Szene beschreibt Fager, wie er nachts alleine auf einer Parkbank sitzt und besagte Flasche leert. Ihm ist klar, dass er gescheitert ist.

 

Auch der Dichter Jacob Casimir in "Der Hexenwald" ist eine unsichere Existenz. Als einziger Nicht-Verdiener einer betuchten Familie, verliebt in eine verheiratete Frau, geschlagen von einer langanhaltenden Schreibblockade ist er einer, der nirgendwo dazu gehört.

 

Schildts Figuren haben kein Glück im Leben. Das ist kein persönliches Unvermögen, die Zeiten sind nicht danach.

Es ist eine Zeit der Ungewissheit, der politischen Unklarheit und Kämpfe, eine alte Oberschicht wird weggespült von neuen Köpfen - was in Finnland auch bedeutet, dass die finnische Sprache zur ersten Landessprache aufsteigt und damit die Finnlandschweden an Einfluss verlieren.

Nicht nur Vermögen gehen verloren, sondern auch eine Lebenskultur und Weltanschauungen.

 

Die politischen Umbrüche spiegeln sich wider in den Lebensläufen, Schildts Figuren agieren sehr überzeugend und jede einzelne ist glaubwürdig gezeichnet. 

Sein eigenes Lebensgefühl des "Dazwischen" schreibt er seinem Personal ein, ins Extrem geführt bei Zoja.

Schildt selbst stand auf Seiten der "Weißen", doch er ist Dichter und kein politischer Agitator, für ihn steht die Individualität seiner Figuren im Vordergrund. 

 

Folgendes Zitat stammt aus der Geschichte "Der Hexenwald" und gibt Gedanken des Dichters Jacob Casimir wider - solche würde der Waffenschieber Johnnie Claesson nie hegen, ihm geht es nur ums Geld.

 

"Weiter weg in einer Waldlichtung stand eine graue Kate, ein ganz gewöhnliches Fronbauernhäuschen. Aber als Jacob Casimir sie so betrachtete, schien ihre Farbe rasch an Intensität zuzunehmen, schien grauer zu werden als grau, und die Kate war nicht länger eine Wohnung wie jede andere, nein, sie stand da wie ein Denkmal für jene unzähligen Millionen von Frondiensten, mit denen mehr als alles andere Finnland aufgebaut worden war. Jacob Casimir betrachtete das Häuschen mit großem Interesse. Für den, der Augen hat zu sehen, vermag ein Menschenschicksal im Rauch aus einem Schornstein feste Konturen anzunehmen, und in der Katze, die auf dem Brunnendeckel liegt, mag eine Novelle enthalten sein."

 

Die Erzählungen sind eine anschauliche Darstellung einer bestimmten historischen Zeit. Und gerade heute wirkt dieser Stoff sehr aktuell, die "Weißen" Finnen waren eine Unabhängigkeitsbewegung, die sich vom Sowjetreich ablöste. Mit größten Schwierigkeiten.

Darüber hinaus - und das ist die künstlerische Leistung des Dichters - zeichnet  er Menschenporträts in feinen Farben, die diese in der Zwickmühle zwischen individuellem Lebensanspruch und historischen Gegebenheiten glaubwürdig darstellen. Und es so schafft, sie aus dem ganz konkreten Zusammenhang herauszuholen und ihre existentielle Suche aufzuzeichnen.

 

 

 

 

 

 

 

Runar Schildt: Zoja

Übersetzt von Gisbert Jänicke

Manesse Verlag, 2014, 400 Seiten

(Erstveröffentlichung der Erzählungen 1918-20)