Mary Shelley - Frankenstein

oder Der moderne Prometheus

 

 

Diesen Roman schrieb die 19jährige Mary Shelley im Jahr 1816.

Sie war eine unglaublich belesene Frau, antike Dramen und Philosophie kannte sie ebenso selbstverständlich wie zeitgenössische Romane, Reisereportagen oder naturwissenschaftliche Schriften.

Sie war verheiratet mit Percy B. Shelley, einem maßgeblichen Dichter der englischen Romantik, der sie auch stets zum Schreiben anhielt.

Ihre Mutter Mary Wollstonecraft war eine ebenso bekannte Schriftstellerin wie ihr Vater William Godwin.

 

Wollstonecraft hatte 1792 eine bedeutende Schrift veröffentlicht: "Eine Verteidigung der Rechte der Frau", ein sehr mutiger Text und einer der ersten, der sich mit der Gleich-oder wenigstens Besserstellung der Frau beschäftigt.

Godwins Hauptwerk ist die "Untersuchung über die politische Gerechtigkeit" (1793). Diese Arbeit versucht die Forderung nach größtmöglicher individueller Freiheit mit dem Gedanken der Solidarität zu vereinigen und wird als "utopischer Anarchismus" bezeichnet. 

Mary Shelleys Mutter starb wenige Tage nach ihrer Geburt, um so wichtiger wurde Wollstonecrafts Werk für Mary, das sie ein Leben lang beeinflusste.

Das Heranwachsen in einem Haushalt mit ihrer Schwester,  Godwin, seiner 2. Ehefrau, deren Kindern und einem weiteren gemeinsamen Kind war recht außergewöhnlich, manchmal chaotisch. Wichtig waren in dieser Familie eigentlich nur Lesen und Schreiben.

 

Der Roman "Frankenstein" geht zurück auf einen kleinen Wettbewerb: die Shelleys waren zusammen mit Marys Halbschwester Claire an den Genfer See gefahren. Sie wohnten dort in der Nachbarschaft Lord Byrons. Der Sommer 1816 war kalt und nass, man musste sich die Zeit im Haus vertreiben. Das brachte die Gesellschaft auf die Idee, dass jeder eine Gespenstergeschichte schreiben sollte, man wollte dann die beste auswählen. Mary fiel längere Zeit nichts ein, aber als sie den Ausgangspunkt einmal gefunden hatte, blieb sie dran und schrieb als einzige ihren Text auch fertig.

 

"Frankenstein" ist die Geschichte eines jungen Wissenschaftlers, der sich mit Chemie beschäftigte.

Er studierte in Ingolstadt, fiel zu Beginn seiner Studien durch schnelle Fortschritte und großen Wissensdurst auf. Bald hatte er die Professoren überflügelt und arbeitete alleine in seinem Labor. Wie Faust wollte er wissen, was "die Welt im Innersten zusammenhält", doch er ging keinen Pakt mit dem Teufel ein, trat nicht in ein Bündnis mit höheren Mächten, er experimentierte, forschte und drang so immer weiter vor bis er schließlich tote Materie beleben konnte. 

Er schuf wie Prometheus ein Wesen, hauchte ihm Leben ein und erst als dies passiert war, wurde ihm klar, was das für Folgen haben könnte. 

Das von ihm geschaffene Wesen war ein Monster, unglaublich hässlich und abstoßend.

Viktor Frankenstein sieht nicht, dass er seinem Geschöpf gegenüber eine Verantwortung hat. Einmal in die Welt gesetzt, überlässt er es sich selbst, und dieses Verhalten führt in die Katastrophe.

Zum Inhalt, der wahrscheinlich bekannt ist, nur soviel: Das Monster tötet mehrere Menschen aus Frankensteins Familie oder dem engsten Umkreis. Dies ist seine Rache dafür, dass sein Schöpfer ein glückliches Leben führen möchte, ihm aber jede Möglichkeit verweigert, seiner Einsamkeit zu entfliehen. Das Monster ist immer dort, wo Frankenstein ist, es verfolgt ihn ständig. Als er ihm alles genommen hat, fängt Frankenstein an, sein Geschöpf zu verfolgen, um es zu töten. So verkehren sich die Rollen Täter-Opfer, Jäger-Gejagter.

 

Vom Aufbau her ist das Buch sehr interessant gestaltet.

Die äußerste Schicht sind Briefe, die ein Forscher, der sich im Nordpolarmeer befindet, seiner Schwester nach England schreibt. Dieser nimmt Frankenstein auf, der auf seiner Jagd nach dem Monster in diese eisige Welt geraten ist. Frankenstein erzählt diesem jungen Mann, der wie er selbst auf der Jagd nach Ruhm und Ehre sein Leben riskiert, seine Geschichte. Walton wiederum berichtet diese der Schwester. In der ersten Hälfte des Buches spricht Frankenstein, dann kommt es zu einer (erzählten) Begegnung mit dem Monster, ab da hören wir die Stimme des Monsters, das seinem Schöpfer sein Leben skizziert. Am Ende stirbt Frankenstein auf dem Schiff, an seinem Sarg steht das Monster, hier schließt sich der Kreis. Es sagt Walton, dass es nun bis zum Nordpol fahren will, um sich dort zu verbrennen, nichts soll von ihm übrig bleiben.

 

Ganz offensichtlich beschäftigt sich Mary Shelley mit dem Nutzen und den Gefahren der modernen Wissenschaft.

Was passiert, wenn unreflektierter Wissensdrang ohne moralische Bedenken einfach ausgelebt wird? Wenn ohne vorausschauendes Denken (Prometheus heißt der Vorausdenkende) gehandelt wird?

 

Und sie behandelt auch gesellschaftspolitische Fragen. Justiz und Kirche kommen nicht gut weg: die unschuldige Justine wird des Mordes an William Frankenstein (Viktors Bruder) schuldig gesprochen, nachdem sie ein Geständnis abgelegt hatte. Das wiederum war erzwungen worden, indem der Beichtvater ihr mit dem Höllenfeuer gedroht hatte, falls sie nicht gesteht. Justine wurde hingerichtet für einen Mord, den das Monster begangen hat, denn lieber opfert die Justiz zehn Unschuldige, als dass sie einen Schuldigen laufen lässt (so M. Shelley):

 

Ihrem Menschenbild liegt die Rousseausche Vorstellung zugrunde, dass der Mensch von Natur aus gut ist. Auch Frankensteins Geschöpf war gut. In der Erzählung im innersten Kern des Romans erfährt der Leser, wie es sich durch das versteckte Leben bei der Familie de Lacey mit der gesellschaftlichen Welt der Menschen vertraut gemacht hat. Durch Beobachtung der Familie und durch Lektüre dreier Bücher, die es zufällig gefunden hatte. Es las Goethes "Werther" (persönliche Welt), Plutarchs "Parallelbiographien" (politisch-geselllschaftliche Welt) und Miltons "Verlorenes Paradies" (religiöse Dimension).

Das Monster war gewillt, einen Platz in der Gesellschaft einzunehmen und Gutes zu tun. Doch sein Äußeres versetzte alle Menschen, denen es sich zeigte, dermaßen in Panik,

dass es immer wieder in die Einsamkeit fliehen musste.

"Ich bin bösartig, weil ich unglücklich bin" sagt es und

"Wenn ich nicht Liebe schenken kann, werde ich Furcht säen".

 

Mit solchen Sätzen zweifelt Mary Shelley auch die Überbetonung der Vernunft im Denkgebäude ihres Vaters an, denn keiner der Protagonisten handelt sehr vernünftig. 

Der ganze Roman ist eine Auseinandersetzung mit der Dialektik der Aufklärung, verpackt in eine "Gothic Novel".

Zu diesem Genre wird er gerne gezählt, obwohl ihm einige wichtige Elemente (vor allem architektonischer Art und die Verbindung zum Übersinnlichen) fehlen.

 

"Frankenstein" sollte man unbedingt lesen und nicht nur einen der Filme anschauen. Dass Mary Shelley wirklich einen Nerv getroffen und einen Mythos geschaffen hat zeigt sich daran, wie oft die Geschichte adaptiert wurde.

Aber vielleicht ist gerade deshalb eine Rückkehr zum Original immer wieder nötig.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Mary Shelley: Frankenstein oder Der moderne Prometheus

Insel Verlag, 2008

(Originalausgabe 1818)