Raija Siekkinen - Wie Liebe entsteht

 

 

Diese Sammlung von Kurzgeschichten erschien 1991 in Finnland, ins Deutsche übersetzt wurde sie nun erstmals von Elina Kritzokat für den Dörlemann Verlag.

Dieser Verlag zeichnet sich nicht nur durch sehr schöne Bücher aus, sondern auch durch ein gutes Gespür für zeitlos-herausragende Literatur.

Er verlegte Alice Munro, als diese im deutschsprachigen Raum noch völlig unbekannt war. 

Nun erschien anlässlich der Buchmesse, deren Gastland 2014 Finnland ist, dieser Band von Siekkinen - eine der beliebtesten Autorinnen ihres Landes.

 

Das Foto, das den Einband ziert, hätte nicht passender gewählt werden können. Ein blauer Himmel, durchzogen von leichten weißen Wolken - oder ist es nicht doch eine spiegelnde Wasseroberfläche? Denn da ist eine Seerose.

Erst beim zweiten Blick ist zu erkennen, dass die Blüte nicht auf Blättern liegt, wie üblich in der Natur, die Blätter dieser Blüte sind ihre Schatten, sie schwimmt nicht, sie schwebt.

Das Bild ist nicht eindeutig, es changiert zwischen verschiedenen Zuständen.

 

Die Geschichten, die oberflächlich so klar sind wie ein nordischer Himmel, tragen die Unruhe der Polarlichter in sich - irisierend, irritierend.

 

Ihr Thema ist die Suche nach etwas, von dem man weiß, dass es nie zu finden sein wird, in keinem Menschen, an keinem Ort. Das Nicht-Aufgeben dieser Suche ist die Hoffnung,

die am Leben erhält, im Grunde die einzige Beständigkeit im Leben.  Thema ist nicht die moderne Vereinsamung, sondern die existentielle Einsamkeit des Menschen.

 

Siekkinens  Hauptpersonen sind Frauen, oft ist ihr Empfinden, Wahrnehmen und Erleben in dem auf dem Umschlagfoto angedeuteten Schweben verortet, dem naturgemäß die Sicherheit fehlt.

 

Gleich die erste Geschichte "Der letzte Sommertag" beginnt mit einem Scheitern.

"Ein Stück vom Ufer entfernt hob sich ein großer flacher Felsen aus dem Wasser. Alle, die ins Waser gingen, schienen darauf zuschwimmen zu wollen, doch erst zwei hatten es im Laufe des Nachmittags bis dort geschafft."

Dennoch wird (fast) eine Idylle gezeichnet: eine späte Hitzewelle, ein geschenkter Spätsommertag, eine unerwartete Freude und die Hoffnung auf Verlängerung der warmen Zeit. Anna und Ari verbringen diesen Tag am Strand. Die Idylle trüben ein Mann, der Anna zu lange anstarrt und die bröckelnde Sandburg eines kleinen Mädchens - sie schafft es einfach nicht, die Burg standfest zu bauen, entweder ist der Sand zu nass oder zu trocken.

Ganz unvermittelt fragt Ari: "Sollen wir nicht doch heiraten?" Anna antwortet nicht, sie denkt an den kommenden Winter, wenn der jetzt sommerwarme Sand gefriert und "still unter Eis" liegt.

Wieder wendet sie sich dem Felsen und der Sandburg zu.

 - Ein Heiratsantrag eingebettet in Scheitern, Eis und Unmöglichkeit von Stabilität wirft kein hoffnungsvolles Licht auf die Zukunft.

 

Es folgt eine gedankliche Rückblende Annas zu ihrer Mutter, deren "desillusionierte Klarheit" als eine Konstante in Anna verbleibt. So konstant, dass sie oft nicht weiß, was sie aus sich selbst heraus tut und was wegen ihrer Mutter. Die Leere, Verzweiflung und Kämpfe der Ehe ihrer Eltern möchte Anna sich ersparen. Doch "sobald alle Wünsche und Hoffnungen dahin sind, dachte Anna, hat der Mensch eine Grenze überquert und schüttelt auf der anderen Seite den Kopf über seine Taten und Motive, löst sich schließlich. Dann folgt die Beerdigung." An diesem Punkt ist Anna nicht. Als Ari fragt "Sollen wir nun oder sollen wir nicht?" könnte er damit heiraten oder schwimmen gehen meinen.

Anna antwortet mit "Ja". Sie schwimmen los und möchten es bis zum Stein schaffen.

 

Die Geschichte ist so angelegt, dass jeder Satz durch den vorausgehenden und den nachfolgenden erst seine Bedeutung erhält. Und auch dann bleiben Aussagen oft im Nicht-Eindeutigen, es wird auch nicht klar, ob die handelnden Personen von demselben sprechen, wenn sie miteinander reden. In dieser Kunst der Mehrdeutigkeit steht viel zwischen den Worten, zwischen den Zeilen. Auslassungen konstruieren den Text genau so wie die niedergeschriebenen Worte. 

 

In der titelgebenden Geschichte erkennt eine Frau, dass sie ihren Mann nicht mehr liebt. Er hat sie vor einigen Jahren betrogen, sie stellt irgendwann fest, dass diese Tatsache stärker in ihr arbeitet, als ihr lange Zeit klar war. Sie spürt, dass etwas Schlimmes bevorsteht. Dieses geschieht, als er ihr sagt, dass er sie liebt. Sie bricht zusammen. 

Es müsste eine Gleichzeitigkeit der Gefühle geben, es gibt sie sehr oft nicht.

 

Mit diesen sehr ruhigen Texten, unter denen eine zweite, nachdenklich machende Ebene liegt, hat Siekkinen ganz zeitlose Bilder von Frauen und ihren Sichtweisen geschaffen. Das wirklich Besondere an ihnen sind die Wortbilder:

"Sie lernte, dass alle gesagten Wörter mit der Zeit ausblichen, herabfielen wie erloschene Sterne, manchmal noch als Echo zu hören waren vom Grund einer Kluft, entfernt und verzerrt, still geworden. Nur noch selten weckten Wörter andere Wörter auf, so wie Kinder auf einem Matratzenlager in der Skihütte sich gegenseitig aufweckten, wenn draußen mit einem lauten Knall das Eis barst."

Das ist bildlich und konkret, zugleich abstrakt und über sich selbst hinausweisend. "Leicht-schwer", wie David Wagner es im Nachwort treffend beschreibt. 

 

 

 

 

 

 

 

 

Raija Siekkinen: Wie Liebe entsteht

Übersetzt von Elina Kritzokat

Dörlemann Verlag, 2014, 176 Seiten

(Finnische Originalausgabe 1991)