Somerville & Ross - Durch Connemara

Mit dem Eselskarren in Irland

Zwei eigenwillige und sehr selbständige Damen mittleren Alters machen sich mit einer Eselin - wohlmeinende Stimmen unterwegs nennen sie auch gerne "Pony" - auf eine Rundreise durch das westliche Irland. Die touristischen Höhepunkte interessieren die Beiden weniger als die Menschen und ihre Häuser, ihre Sitten und Marotten.

 

Die Reise fand im Jahr 1890 statt, "... dass wir in einem Gebiet reisten, über das der Ausnahmezustand verhängt worden war, erwähne ich nur mit angehaltenem Atem."

Aus diesem Grund hatte die Cousine und Reisegefährtin der

Ich-Erzählerin auch "darauf bestanden, einen alten, rostigen Revolver mitzunehmen."

 

Seit 1879 kämpfte die Irish Land League für eine Landreform zugunsten der durch Hungersnot und auch die Struktur des Grundbesitzes schwer leidenden Pächter. Die englischen oder anglo-irischen Großgrundbesitzer pressten das Letzte aus den armen Bauern heraus, diesen blieb oft nur die Wahl zwischen verhungern oder auswandern.

 

Sowohl Edith Oenone Somerville (1858-1949) als auch Violet Florence Martin (1862-1915), die ihren Nach- zum Vornamen machte und als Marin Ross schrieb, entstammen dem Landadel. Doch Violet Martins Vater ging Ende der 1840er Jahre bankrott, Violets Kindheit und Jugend waren recht bescheiden und auch einsam. 

Die Somervilles waren wirtschaftlich besser gestellt, Edith konnte ab Ende der 1870er Jahre eine Ausbildung im Zeichnen beginnen, die sie auch nach Düsseldorf und Paris führte.

 

1886 begegneten sich die beiden jungen Frauen erstmals. Im Verlauf  des ersten Jahres ihrer Freundschaft fassten sie den Plan, zusammen einen Roman zu schreiben. Die Familie war entsetzt! Doch die beiden waren fest entschlossen, ein eigenständiges und auch finanziell unabhängiges Leben zu führen. Warum nicht als Schriftstellerinnen? Im Lauf der Jahre entstand ein beachtliches Werk, mit dem sie literarisch Maßstäbe setzen und ihren Lebensunterhalt bestreiten konnten. Sie entwickelten eine Arbeitsweise, die die beiden unterschiedlichen Charaktere gewähren und zu einer Übereinstimmung finden ließ, und Edith illustrierte die Texte. So entstand ein Werk aus einem Guss, das Hauptwerk, der Roman "Die wahre Charlotte" von 1894, wurde unlängst in der Irish Times, als der "womöglich beste irische Roman aller Jahrhunderte" bezeichnet. 

 

Doch nun auf nach Connemara. Man sollte nicht glauben, wie schwer es ist, das richtige Gefährt zu finden und das passende Tier dazu. Als schließlich der Gouvernantenwagen und die in Eigenwilligkeit den Damen in nichts nachstehende Sibbie ausgewählt waren, konnte es losgehen.

Zunächst bei gutem Wetter, das ändert sich jedoch bald.

 

Die erste Station ist das Hotel Royal in Recess. Diese Bleibe wird ihrem Namen in keiner Weise gerecht, bringt die beiden aber sogleich mit einer Spezies zusammen, die während der ganzen Reise ihren Spott auf sich zieht: die Angler.

"Aus einem bestimmten Blickwinkel hätte man es durchaus eine Fisch-Mahlzeit nennen können, denn von der klaren Suppe bis zu den Himbeeren waren die Münder der Speisenden allein von einem Thema erfüllt: dem Überlisten der Tricks und Kniffe von Forellen und Lachsen."

Diese Angler sind ein mürrisch bis unhöfliches Völkchen, in der Regel erfolglos.

 

Weitere Hotels oder auch nur einfache Übernachtungs-gelegenheiten mit manchmal so unerwarteten Gästen wie Gänsen im Zimmer, bringen die Reisenden in Kontakt mit den verschiedensten Personen. Deren Schicksal, meist in Zusammenhang mit ihren Häusern erzählt, gibt Einblicke in die Geschichte Irlands, die den fein erzählten Hintergrund des überaus amüsanten Reiseberichts bildet.

 

Denn nebst all den Abenteuern ist der Stil das ganz Besondere und ganz Bezaubernde an diesem Buch. 

 

Beispielsweise ist über zwei Hotelhunde zu lesen:

"Wir waren brüskiert und sinnierten, als wir davongingen, über den zersetzenden Einfluss des Hotellebens. Die ständig wechselnde Gesellschaft und Freundschaften für eine Stunde hatten den Federwischer zu einem ungehobelten Zyniker gemacht und aus dem Foxterrier einen verweichlichten, blasierten Faulenzer werden lassen."

 

Oder: 

"Sämtliche Straßen in Connemara, die wir gesehen haben, strebten wie Otter dem Wasser zu und fanden es, wie es schien, mühelos; manchmal gelang es ihnen sogar hinein-zutauchen."

 

"Zum ersten Mal auf unserer Reise befanden wir uns an einem ausgedehnten, unlängst gepflanzten Wald. Irgendein ortsansässiges Genie hat einmal gesagt, "Connemara macht, seit man die Telegrafenmasten aufgestellt hat, einen sehr bewaldeten Anschein"..."

 

Breiten Raum nimmt auch die Landschaftsbeschreibung ein, selbst diese wird in der speziellen Somerville & Ross-Weise porträtiert:

 

"Die Küste stieß lange, felsige Finger ins Meer, und wir fuhren quasi über die hochragenden Knöchel - das ist, wenn auch nicht besonders pittoresk, doch die zweckmäßigste Beschreibung, die wir Ihnen von dieser Etappe unserer Reise geben können."

 

Die Schriftstellerinnen sind Töchter protestantischer Land-besitzer, doch sie sind tief vertraut mit der irischen Sprache (sie gaben sogar ein Wörterbuch heraus), dem Denken und der Mentalität der Iren. Und dass sie ihnen von Herzen zugewandt sind, lässt sich an jedem Satz ablesen, sie fühlen sich diesen Menschen zugehörig, betrachten sich als eine der ihren. 

 

So unterscheidet sich dieses Buch fundamental von gängigen Berichten über Irland aus dieser Zeit. Das Land, das hier beschrieben wird ist nicht romantisch-rückständig, nicht pittoresk, es ist hart und verlangt den Menschen alles ab.

 

Diesen ungewöhnlichen Stil ins Deutsche zu übertragen, ist kein leichtes Unterfangen. Elvira Willems ist es bestens gelungen. Erhellend ist auch ihr Nachwort, dessen Erläuterungen das Verständnis des Textes vertiefen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Somerville & Ross: Durch Connemara

Mit dem Eselskarren in Irland

Herausgegeben, aus dem Englischen übersetzt und mit einem Nachwort von Elvira Willems

Aviva Verlag, 2022, 168 Seiten

(Originalausgabe 1893)