Bernhard Strobel - Der gute Mann Leidegger

Es ist nicht einfach, ein guter Mann zu sein, heutzutage, wenn man sich nicht den althergebrachten Vorstellungen von Männlichkeit fügen möchte. Wenn man aus den Klischees ausbrechen, ohne Lügen leben, eine standfeste Moral und eine unverwechselbare Persönlichkeit haben möchte. Wie sich dies alles damit vereinbaren lässt, ein "Affärenbetreiber" zu sein, führt der                                                       Held Leidegger auf treffliche Art vor.

 

Leidegger ist verheiratet, Vater einer elfjährigen Tochter, selbstständiger Fotograf. Und, "Weil es sich so ergeben hatte, unterhielt Leidegger seit mehreren Monaten eine Affäre".

So der erste Satz, mit dem man direkt hineinschlittert in das hochkomplizierte Leben des Helden. Denn kaum weiß man um diese Heimlichkeit, geschieht auch schon der erste Regelverstoß: Kamilla, die Affäre, steht an der Werkstatttür und klingelt. Niemals hätte sie ihn aufsuchen dürfen an seiner Arbeitsstätte, die ihm ein zweites Zuhause ist, bei genauerer Betrachtung seine Arche. 

Eines ist ihm sofort klar: "dass ein erster Regelbruch immer nur den Anfang einer ganzen Reihe von Regelbrüchen darstellte, und am Ende wartete das unschöne Finale, das große Zusammenkrachen."

 

Ob es so kommt, ob wirklich alles zusammenkracht, erfährt man erst ganz am Ende dieser herrlich komischen Geschichte, die von den Leiden des guten Mannes erzählt.

 

Man erlebt den Helden bei der Arbeit, beim Sex, beim Rasen-mähen, im Supermarkt, beim familiären Spielenachmittag, im Auto. Immer, egal, was er macht, rasen seine Gedanken, immer überlegt er, ob er jetzt gerade ein Klischee erfüllt, ob er eine unangenehm männliche Verhaltensweise an den Tag legt, wie er um eine Lüge herumkommt. Man kann also nicht sagen, er agiere gedankenlos, aber sein Denken zeichnet sich durch das Versteigen in absurde Fantasien, Prophezeiungen und ganz und gar verdrehte Schlussfolgerungen aus.

 

"Seit es das Konzept der Ehe gab, gab es den Ehebruch, und mit ihm die Vorstellung von einem anderen, besseren, glücklicheren Leben - beides keine neuen Erfindungen. Wieder einmal wurde Leidegger unerfreulich bewusst, dass er lediglich Ängste und Sorgen wiederkäute, die so alt und bekannt waren, dass man sie eigentlich für fertiggekaut halten musste. Aber das waren sie nicht. Wo blieb da der Fortschritt? ... In Wirklichkeit empfand Leidegger hinsichtlich seines Ehebruchs gar keine so große Schuld. Schwindende Geschlechtslust stellten einen entscheidenden Unsicherheitsfaktor in langjährigen Paarbeziehungen dar, dieses Tatsache war weithin bekannt, ein ziemlich häufiges und natürliches Phänomen. Wenn aus einer Liebesbeziehung eine Alltagsbeziehung mit Kind wurde, konnte sich das ungleiche Verlangen der jeweiligen Partner zu einem ernsthaften Problem auswachsen. Aus dem empirischen Blickwinkel betrachtet tat Leidegger nichts anderes, als seine Ehe zu retten. Selbstverständlich plagten ihn auch Gewissensbisse, aber nur selten; seltener zumindest, als er es bei sich selbst vermutet hätte. Die Statistik sprach für den Ehebruch."

 

Das Zitat zeigt das eigenartige Denken des guten Mannes, seinen Kampf mit oder gegen die Realität, außerdem Bernhard Strobels Fähigkeit, die Leser:innen direkt in das Gehirn seines Helden blicken zu lassen, sowie seinen fabelhaften Humor.

 

Von diesem Humor lebt der ganze Roman, selten ist eine so komische Auseinandersetzung mit dem Thema "toxische Männlichkeit" geschrieben worden. Denn Leidegger erfüllt wirklich jedes Klischee - dem er ja pausenlos entfliehen will - bis hin zu der Aussage, sein einzig wahrer Freund sei der Rasenmäher. Es gibt keine einzige Seite, auf der der Roman in den Klamauk abflacht. Er ist eine Aneinanderreihung von witzig bis skurrilen Szenen, bildreich ausbuchstabiert, dazu angereichert mit griffigen Bezeichnungen, wie dem  "Abweichungstheater", dem "Moralometer" oder die "Zustößigkeiten", den "Blickspießrutenlauf" oder die "Hirnverdrehung". 

Dabei werden auch Theorien, wie z.B. die über ironisch gebrochene Betrachtungsweisen auf die Gedankenbühne gebracht:

 

"Wieder schoss ihm ein Gedanke ein: Hatte die Welt, hatten die Menschen, die Männer, sich an ihm vorbeientwickelt? Liebten sie Verfolgungsjagden und Sexszenen schon TROTZDEM? Wenn er heute einen Mann sah, der zum Saufen ins Wirtshaus ging, sah er dann keinen unterent-wickelten Mann, sondern einen weiterentwickelten?

Gingen sie alle schon TROTZDEM? Grillten die Grillmänner inzwischen ironisch? Durfte ein Mann eine Frau wie einen Gebrauchsgegenstand benutzen und anschließend wegwerfen, sofern er es nur TROTZDEM tat?"

 

Da versucht einer, alles richtig zu machen, und macht es trotzdem falsch. Manchmal kommt er sich vor wie der Schauspieler seines eigenen Lebens, manchmal wie "eine Figur, die sich irgendjemand ausgedacht und zum traurigen Helden eines Alltagsdramas erklärt hatte. Mit diesem Menschen hätte er gern ein Wörtchen geredet, um ihm darzulegen, es sei nicht alles so, wie es scheine, er sei gar nicht so. Die Umstände, nur die Umstände hätten ihn in diese Lage gebracht...."

Da ist er wieder, der sich windende gute Mann, der "sich selbst aufrichtig leid" tut.

 

Bernhard Strobel, geb. 1982, österreichischer Autor und Übersetzer, hat sich einen unverwechselbaren Helden ausgedacht. Man mag ihn, auch wenn er ein arger Tölpel ist.  

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Bernhard Strobel: Der gute Mann Leidegger

Literaturverlag Droschl, 2023, 192 Seiten