Alexander von Humboldt - Tierleben

Dies ist eines jener Bücher, die keinen Wunsch offen lassen, um nicht zu sagen: die glücklich machen.

Es ist ein fadengeheftetes Buch von angenehmem Format, das Papier ist glatt, der Druck präzise, die Abbildun-gen illustrieren das Ideal des Forschers und sind schlicht und ergreifend schön.

Soviel zum äußeren Erscheinungsbild.

 

Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen wurde

es von Sarah Bärtschi. Sie arbeitet an der großen Berner Ausgabe von Alexander von Humboldts Sämtlichen Schriften mit, ist eine profunde Kennerin des Universal-genies und gibt in ihren Anmerkungen nicht hoch genug zu schätzende Hinweise, die das Erfassen der "Tierleben" zu einer genussvollen intellektuellen Reise in eine ferne Welt machen.

 

Alexander von Humboldt lebte von 1769-1859, seine legen-dären Reisen führten ihn nach Süd- und Nordamerika und Zentralasien. Er lebte und schrieb in Berlin und Paris, er veröffentlichte ein riesiges Werk, so umfangreich, dass es kaum vorstellbar ist, wie ein Einzelner ein solches schaffen konnte. Sein gesamtes Vermögen steckte er in seine Forschungsreisen, er förderte Nachwuchswissenschaftler und prägte unser heutiges Bild der Welt wie kein Zweiter.

Er war ein Abenteurer, ein Vordenker, ein politischer Kopf,

ein Wissenschaftler, der für seine Forschungen sein Leben aufs Spiel setzte, er war Freund großer Männer seiner Zeit - und doch ist er in Deutschland fast in Vergessenheit geraten. Gibt es in Lateinamerika unzählige Denkmale, Berge, Flüsse etc, die seinen Namen tragen, erinnerte man sich hierzulande bis vor kurzem vor allem an seinen Bruder Wilhelm von Humboldt, den Staats- und Kulturwissen-schaftler.

 

Unter anderem der umfassenden Biographie Andrea Wulfs "Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur"

ist es zu verdanken, dass seine Leistungen von einem breiten Publikum wiederentdeckt und gewürdigt werden.

 

Dazu wird auch das vorliegende Buch beitragen.

In ihm sind fünfzehn Tier-Texte zusammengestellt, die hier zum ersten Mal seit Humboldts Tod wieder zu lesen sind!!

Sie erschienen zu seinen Lebzeiten in seinen Büchern oder

in diversen Journalen, seitdem jedoch nicht mehr öffentlich zugänglich bzw. gesammelt.

 

Acht der Tiertexte erschienen zwischen 1806 und 1809,

also direkt nach der Südamerikareise von 1799-1805, in Humboldts Werk "Beobachtungen aus der Zoologie und vergleichenden Anatomie", die anderen Texte wurden später veröffentlicht. "Unselbständig" nannte er sie, da sie nie in Buchform vorlagen.

 

Die Bildtafeln stammen aus Humboldts graphischem Werk, sie wurden aus der französischen Originalausgabe reprodu-ziert, bzw sie stammen aus den Zeitschriften, in denen die Texte veröffentlicht wurden. 

Zudem zieren Ölgemälde von Ferdinand Bellermann

(1814-1889), den Humboldt sehr schätze und persönlich instruierte, das Buch. 

 

Alle hier versammelten Tiere entdeckte Humboldt in Südamerika. Anschaulich zusammengestellt wurden sie

von der Herausgeberin nicht nach Rassen, sondern nach Lebensräumen.

Dies reflektiert Humboldts Auffassung von der Natur,

der in Ökosystemen dachte und für den der Gedanke der Vernetzung grundlegend war.

 

"Im Wasser", "In den Wäldern", "In den Höhlen", "In den Lüften" sind die Kapitel überschrieben - in den Lebensraum der Wälder mit Moskitos und Affen möchte ich nun entführen:

 

"Wer nie auf den großen Südamerikanischen Flüssen ... geschifft hat, der kann sich keinen Begriff davon machen, wie man jeden Augenblick des Lebens durch diese geflügelten Insekten gequält werden und wie ganze Landstriche durch sie fast unbewohnbar gemacht werden können...."

Diese Erkenntnis hält ihn nicht davon ab, einen Selbst-versuch (wie häufig) zu unternehmen. Er lässt sich stechen.

"... und läßt man ihn ... ohne ihn zu stören, saugen, so wird die Stelle nicht schwellen und vollkommen schmerzlos sein."

 

Welch eine Zuwendung zu einem Insekt!

 

Und liest man die Beschreibung eines Löwen-Äffchens meint man fast, es handle sich um einen Menschen:

 

"Er ist eines der schönsten feingebildetsten Thiere, das ich je gesehen. Er ist lebhaft, fröhlich, gerne spielend, aber (wie fast alles Kleine in der Thier-Schöpfung) hämisch, und zu schnellem Zorne geneigt. Wenn man ihn reizt, so schwillt ihm sichtbar der Hals, dessen lockere Haare sich sträuben, wodurch dann die Ähnlichkeit mit einem afrikanischen Löwen sehr vermehrt wird..."

 

Aus dem Nachwort ist zu erfahren, dass Humboldt zu einem Schwarzkopfuakari eine "persönliche Bindung" entwickelte.  Er fertigte eine detaillierte Skizze von diesem Tier an, nach der ein Zeichner einen Stich herstellte. In Goethes Roman "Die Wahlverwandtschaften" hält Ottilie ein Buch mit solchen Stichen in den Händen, in ihrem Tagebuch notiert  sie daraufhin ihre Gefühle, die zwischen "Abscheu und Anziehung" schwanken.

 

Diese Anmerkung zeigt, wie Humboldts Werk bei seinen Zeitgenossen wahrgenommen und auch verarbeitet wurde. Goethes Roman ist nur ein Beispiel, des gibt unzählige andere.

Interessant ist Humboldts Blick: er sucht Verbindungen, versucht das Unbekannte durch das Bekannte zu verdeutlichen, er nimmt sich selbst niemals heraus aus seinen Beobachtungen, die dennoch unvoreingenommen sind und sein müssen. Naturforschung ist für ihn eine Wissenschaft der Erfahrungen, der ständig sich erweiternden Kreise und Überschneidungen.

All dies wird in jedem einzelnen Text der "Tierleben" deutlich.

 

 

Beenden möchte ich meine Leseempfehlung für dieses wunderbare Buch mit Sarah Bärtschis Worten aus der Einführung - sie ist eine treffliche Reisebegleiterin:

 

"Als Humboldts Reisegefährten werden wir mit ihm unberechenbaren Flussläufen folgen, dichtes Dickicht durchqueren, in unwirtliche Höhlen vorstoßen und die höchsten Bergketten erklimmen. Überall wird er uns faszinierende Wesen der Neuen Welt zeigen...."

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Alexander von Humboldt: Tierleben

Herausgegeben und mit einem Nachwort von Sarah Bärtschi

Friedenauer Presse, 2019, 184 Seiten

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Wer sich mit der Biographie von Humboldts weiter beschäftigen möchte, dem sei Andreas Wulfs

Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur

empfohlen.