Ralph Roger Glöckler - Das Ächzen der Steine

"..... sondern würde meinen Mann stehen, und, wenn nötig, mit Gewalt für Recht und Ordnung kämpfen, würde besser als diese Menschen werden, und schwor mir, ... ein Verteidiger eherner Prinzipien zu werden, stark, gerecht, unduldsam gegenüber solchen Kreaturen, schwang in Gedanken die Peitsche des Rächers ....."
Diese Passage stammt aus dem Tagebuch eines Mörders. Ralph Roger Glöckler zeichnet in seinem Roman, einer "literarischen Leidensstudie", den Weg eines Mannes nach, der in wenigen Stunden sieben Menschen ermordete.
Er traf ihn mehrere Male im Gefängnis, korrespondierte mit ihm, sprach mit Familienangehörigen, dem Verteidiger, dem Gefängnispsychologen. So entstand nach und nach ein Bild, aus dem Glöckler einen Roman formte, der weder Dokumen-tation noch Fallstudie ist. Er ist der Versuch, die "existenzielle Verlassenheit" eines Menschen darzustellen - dies ist ihm gelungen.
Der Roman ist aus zwei Strängen geformt. Das in kursiv gedruckte Tagebuch wird ergänzt durch Notizen, die der Mörder niederschrieb, und die eines Tages von dessen Frau Luisa gefunden und gelesen werden. Man sieht den Protago-nisten niemals agieren, hört nicht unmittelbar seine Gedanken, beobachtet ihn nicht beim Schreiben oder einer sonstigen Tätigkeit. Er wird ausschließlich durch seine Schriften beleuchtet. Diese werden im Verlauf des Romans immer drängender, bedrängter, die Qual, unter der der Mann leidet, wird mit Händen greifbar.
Er schreibt von Vera, einer jungen Frau, der einzigen Frau, der er vertraut. Berichtet von einem Liebesakt mit ihr in den Dünen. Er gibt ein Gespräch mit seiner achtzehnjährigen Tochter Rita wieder, der er vorwirft, mit sechzehn die Geliebte eines verheirateten Mannes gewesen zu sein.
Er wirft ihr vor, "versaut" und "verdorben" zu sein. Das träfe dann auch auf Vera zu.
Was alles vermischt sich in Martos Geschichte?
Luisa kommt schwer ins Straucheln: ist das der Marto, den sie kennt? "Sie würde weiterlesen müssen, um mehr über den Mann zu erfahren, mit dem sie Jahrzehnte verheiratet war. Ich erkenne ihn wieder. Gewiss. Aber ob es ein- und derselbe ist?"
Hat er sie hintergangen? Erfindet er Geschichten, ist er dabei, den Verstand zu verlieren? Irgendwann muss sie sich die Frage stellen, ob er ein Verbrechen plant.
Luisa muss lesen, auf welche Art Marto sie und die beiden Töchter, Vera und einige ihrer Freund:innen bestrafen wird.
In die von Marto niedergeschriebene Geschichte mischen sich immer wieder die Gedanken Luisas. Diese kleinen Ein-schübe verhindern, dass man als Leser:in komplett in der Geschichte versinkt. Sie schaffen eine gewisse Distanz, eine Zäsur, die auch die zeitliche Abfolge in Frage stellt.
Aus der Zeit gehoben und ganz unmittelbar treffen einen die Tagebucheintragungen Martos. Er identifiziert sich mit dem Gekreuzigten, trägt doch auch er an der Schuld, ein unehe-liches Kind zu sein. Martos Mutter lebt in der Stadt, er selbst bei seiner Gr0ßmutter, die keine Gelegenheit auslässt, ihm klarzumachen, dass er ein "Bastard" ist, "für dessen Existenz sie sich schämte." Er musste immer besser sein als alle anderen Kinder im Dorf, "würde er ein Recht auf sein Leben haben wollen."
"Liebe gab es nicht umsonst, wie ich erkennen musste."
Er entwickelt die Angst, auch von der Großmutter verlassen zu werden. Er wünscht sich mit an Besessenheit grenzender Intensität, einmal ein liebevolles Wort von seiner Mutter zu hören, einen Beweis ihrer Liebe zu erhalten.
Doch in ihm machen sich Ängste, Leere, Schuldgefühle und schließlich Wut und Hass breit.
Er ermordet die Großmutter in Gedanken. Später träumt er, wie er seine Mutter, die sich prostituieren muss, um über die Runden zu kommen, fast tot prügelt. Sie hat an ihm gezweifelt.
"Wenn Mutter tot wäre, dachte ich plötzlich, müsste alles viel einfacher sein, klar, dann würde sie mich von ganzem Herzen lieben."
Manchmal fühlt er sich von Gott gehört, dann wieder von ihm verlassen. Ein Engel erscheint, er wird zum Racheengel.
Das Kind wirft sich in der Kirche auf den Boden, bittet um Beistand und Liebe.
Die Religion ist nicht nur Hintergrund in diesem Roman.
Es gibt hier nicht den liebenden Gott, der über den Menschen wacht, ihnen Friede und Freude schenkt.
Er ist ein wütender Donnergott - er ist ein Symbol aller Ängste Martos. Eine übergeordnete Instanz, die ihn in seiner Einsamkeit immer wieder bestätigt. Ihm recht gibt, wenn er sich für unwürdig, unfähig, schuldig hält.
Die Religion bestätig ihm auch, dass Frauen wertlos sind.
Weil sie ihm nicht die Liebe schenken, nach der er verlangt.
"Wie hast du nur so blind sein können? Verschwörung, bist Opfer einer Verschwörung geworden, nicht nur gegen dich, das hätte gar keinen Sinn, dafür hättest du niemanden ermorden müssen, sondern gegen das Universum ... Luisa? Rita? Vera? Sie stehen im Dienst dieser fremden Wesen, die versucht haben, immer wieder versuchen werden, Gott zu vergiften, ihn seines Willens, seiner Herrschaft zu berauben, Gott ein kränkelnder Greis, den du, zerbrechlich wie er ist, auf ein Lager betten und pflegen solltest, diese Frauen tragen also dazu bei, den Rhythmus von Werden und Vergehen zu zerstören, um eine willkürliche, zynische, egoistische Ordnung zu ..."
So in den Notizen Martos, in denen er Anklage erhebt.
Wie in Glöcklers Roman "Ein roter Strassenkreuzer" ringt ein Mann mit Gott, dem Wunsch, geliebt zu werden, und sich selbst. In beiden Romanen vermischen sich Wirklichkeit und Wahn, enden Fanatismus tödlich.
Der tiefe Grund des Unglücks ist jedoch in beiden Fällen nicht die Religion, es ist die "existenzielle Einsamkeit".
Diese arbeitet Glöckler in seinem auf mehreren Ebenen spielenden Roman "Das Ächzen der Steine" eindrücklich heraus.
Ralph Roger Glöckler: Das Ächzen der Steine
Kulturmaschinen Verlag, 2025, 197 Seiten
(Überarbeitete Neuausgabe des Romans Rückkehr ins Dorf von 2019)