Martina Berscheid - Fremder Champagner

Erzählungen

Die fünfzehn Erzählungen Martina Berscheids führen direkt ins Innerste ihrer Protagonisten. Sie richtet ihr Augenmerk auf die feinen Risse, die entstehen, wenn eine Beziehung nicht auf Augenhöhe stattfindet, wenn sich Eifersucht einschleicht, wenn sich Sprachlosigkeit oder Gleichgültigkeit breit machen.

 

Meist sind es die Frauen, die zurückstecken, schweigen, Schuldgefühle entwickeln. Die versuchen, jede Schwierigkeit, jedes Unwohlsein, jede Demütigung wegzulächeln.

 

Ein Verhalten, das sich früher oder später rächt. Wie in der Geschichte "Schmerz", die mit dem Satz "Der Schmerz trifft Miriam so unvermittelt wie der Schuss eines Hecken-schützen" beginnt. Miriam füllt ihre Rolle als Ehefrau perfekt aus. Sie macht sich schön, tackert sich ein Lächeln ins Gesicht, und macht all das, was von einer guten Ehefrau erwartet wird - und das, obwohl die Scherzattacken nicht aufhören.

"Du wirst das nicht ewig aushalten" hatte eine Freundin sie einst gewarnt, sie hatte recht. 

Nun erinnert sich Miriam daran. Ob diese Erinnerung rechtzeitig kommt und die Konsequenzen, die daraus zu ziehen wären, von ihr gezogen werden, bleibt offen.

Die Erzählung endet damit, dass sie einfach losfährt, hinaus aus der Stadt, in den Wald wandert, sich auf eine Lichtung legt:

"Der Schmerz füllt sie aus vom Kopf bis zu den Zehen. Hat sich heruntergedimmt, sie kann ihn gut aushalten, wie er durch ihren Körper pulsiert. Vielleicht meint er es gut. Sie dreht ihr Gesicht in die Sonne und schließt die Augen."

 

Kann ein Schmerz es gut meinen? Besser als ein Ehemann, der lachend sagt: "Meine Frau funktioniert wie eine Maschine. Sie muss nur hin und wieder geölt werden", und nicht einmal merkt, wie demütigend so eine Aussage ist. 

 

Martina Berscheid untersucht in ihren sehr ausgefeilten, schnörkellosen, fast reduzierten Texten die Mechanismen, die greifen, wenn zwei Menschen miteinander in Kontakt treten. Welche Räder sich hier in Bewegung setzen, wie sich kulturell angelernte Verhaltensweisen ihren Weg bahnen. 

 

Wer fühlt sich schuldig? Die Frau. Wer schweigt? Die Frau. Wer hat Sätze im Kopf wie "Ihre Schuld ist noch nicht abge-tragen", weil ein Mann, der der Serviererin Jana einmal geholfen hat, als drei Männer sie bedrängten, nun Gegen-leistungen für seine scheinbare Heldentat verlangt? Wer denkt "Nie habe ich mich so alleingelassen gefühlt", weil es Milas Ehemann schlicht nicht interessiert, dass ihr Chef ihr nachstellt?  

 

Doch nicht immer sind es Paarbeziehungen, um die sich die Erzählungen drehen. 

Unglaubliche Dynamiken entwickeln sich ebenso unter Geschwistern, überlieferte Erwartungen stellen auch Kinder, egal welchen Alters, an ihre Mütter. Um die man sich erst nach dem Tod des Vaters sorgt, als ob davor alles gut gewesen wäre. 

 

Oder das weite Feld der Einsamkeit: "Ich weiß nicht mehr, wann ich zuletzt privat mit jemandem gesprochen habe."

In diese Lücke springen die sogenannten Sozialen Medien:

"Vielleicht mag mich die echte Gwen nicht, die virtuelle tut es. Und ich merke, dass sich echter und falscher Trost genau gleich anfühlen. Aber in diesem Moment ist mir das völlig egal."

Hier hinein springen auch Psychologen mit zweifelhaften Aussagen/Forderungen oder die Industrie der Ratgeber-Literatur.

 

Dabei wäre die einzige Möglichkeit, eine ehrliche und angst-freie Beziehung zu gestalten, eine ehrliche und angstfreie Kommunikation - dies legen die Erzälungen Martina Berscheids nahe, indem sie vor Augen führt, was passiert, wenn dies nicht der Fall ist.

 

Die Autorin richtet ihren genauen Blick auf die Gefühle und Gedanken ihrer Figuren, ohne sie wie Insekten unters Mikroskop zu legen. Niemand wird hier entblößt - er zeigt sich in seinen Handlungen. 

 

 

 

 

 

 

 

 

Martina Berscheid: Fremder Champagner; Erzählungen

Mirabilis Verlag, 2024, 236 Seiten