Herbert G. Wells (Text) & Nicole Riegert (Illustration) -

Die Insel des Dr. Moreau

Der sehr produktive Schriftsteller 

H.G. Wells kam 1866 in London zur Welt. Berühmt sind seine "scientific romances", aber auch seine anderen, realistischen Romane werden im angelsächsischen Raum heute noch viel gelesen. "Die Insel des Dr. Moreau", erschienen 1896, steht in der Tradition des viktorianischen Schauerromans, dessen berühmtester Vertreter Mary Shelleys "Frankenstein oder Der moderne Prometheus" ist.

Dieses 1818 veröffentlichte Werk löste eine Debatte aus,

die im Grunde bis heute anhält: Was darf der Mensch?

 

Der Ich-Erzähler Edward Prendick ist einer von drei Überlebenden eines Schiffbruches. Er ist der Einzige, der 

die rettende Insel erreicht, denn die beiden anderen gingen bei einem Kampf im Rettungsboot über Bord.

Prendick, der das Glück hatte, von einem größeren Schiff aufgefischt zu werden, lernt auf diesem einen Mann namens Montgomery kennen, der in Begleitung von mehreren merkwürdig aussehenden Männern und diversen Tieren ist.

Gegen den Willen Prendicks zwingt der Kapitän diesen, zusammen mit Montgomery auf der kleinen Insel, die das Ziel Montgomerys ist, von Bord zu gehen - Prendick hat keine Wahl.

 

Mit gemischten Gefühlen - froh über die Rettung, aber mehr als erstaunt über das, was er sieht - betritt Prendick die Insel. Er sieht "groteske Geschöpfe" in die Büsche huschen, ihm fallen die seltsamen Proportionen der Geschöpfe auf,

langer Rumpf, sonderbare Bewegungen der kurzen Beine, spitze Ohren, Hände, die sehr an Klauen erinnern - irgendetwas ist sehr beunruhigend.

 

Ein weißhaariger Mann begrüßt Prendick: Dr. Moreau, Biologe. "Dies ist eine biologische Station- gewissermaßen", mit diesen Worten nimmt Dr. Moreau seinen "ungebetenen Gast" in Empfang.

 

Prendick erinnert sich an den Namen des Forschers: dieser war vor gut zehn Jahren aufgrund seiner Arbeiten "aus dem Lande gebuht" worden. Seine fragwürdigen Methoden waren durch einen Journalisten ans Licht gekommen, Dr. Moreau verschwand sehr schnell aus London, keiner wusste wohin.

In Begleitung von Montgomery, der ebenfalls wegen eines unrühmlichen Vorfalls untertauchen musste, kam

Dr. Moreau offensichtlich auf die Pazifikinsel, und führte dort seine Forschungen weiter.

 

Bald schon hört Prendick verzweifelte Schreie aus dem Gebäude nebenan. Der Puma, den er schon an Bord gesehen hatte, stößt sie aus, "sie wurden schließlich zu einem so vollendeten Ausdruck des Leidens, daß ich es in dem geschlossenen Raum nicht mehr aushielt."

 

Prendick erlebt die Qualen, die im "Haus des Schmerzes" verübt werden, mit. Er flieht in den Busch, wo er Menschen mit dem Gesichtsausdruck von Haustieren begegnet, auch solchen, die auf allen vieren aus dem Bach trinken.

Er trifft auf Geschöpfe, die ihm zu essen geben, die ihn in ihre Hütten mitnehmen, die in einer Art Singsang eine Reihe von "Gesetzen" herunterleiern, er beobachtet eine "wahnsinnige Zeremonie." Wieder flieht er, Montgomery und Dr. Moreau finden ihn schließlich und bringen ihn zurück ins Haus. Dort erfährt er, was auf der Insel vor sich geht.

 

"Diese Geschöpfe, die Sie gesehen haben, sind neu gestaltete und geformte Tiere. Dem - dem Studium der Bildung lebendiger Formen - ist mein Leben gewidmet gewesen. ....

Die Möglichkeiten der Vivisektion sind nicht bloß auf physische Metamorphose beschränkt .... Die geistige Struktur ist weit weniger festgelegt als die körperliche.

Die Wissenschaft des Hypnotismus bietet die Möglichkeit, alte Instinkte durch neue Suggestionen zu ersetzen, die auf

die ererbten fixen Ideen aufgepfropft werden oder sie verdrängen. Vieles von dem, was wir moralische Erziehung nennen, ist eine solche künstliche Veränderung und Perversion des Instinkts; Kampflust wird in mutige Selbst-aufopferung umgebildet, unterdrückte Sinnlichkeit in religiöse Erregung. ..."

 

Dr. Moreau erschfft neue Wesen. Er verwandelt Tiere in menschliche Geschöpfe, verbietet ihnen das Fressen von Fleisch, erzieht sie zu Dienern (im Fall des von Montgomery so geschätzten M´ling, für den dieser eine starke Sympathie hegt), er lässt sich feiern wie ein Gott, er herrscht über sein Reich als autoritärer König, als Diktator, der über diverse Ebenen von Vermittlern das gemeine Volk so manipuliert, dass es stillhält und alle Schmerzen erduldet.

 

Dr. Moreau arbeitet nicht wie Frankenstein mit Leichen-teilen, die er zusammenfügt, er arbeitet mit lebenden Tieren, die er so umbaut, dass Menschen entstehen sollen.

Wozu das alles? Es hat keinen Nutzen, es ist der pure Forscherdrang, der mit Machtbesessenheit einhergeht.

Er träumt davon, Wesen mit funktionierendem Gehirn und ausgebildeten Gefühlen zu erschaffen, was Prendick sieht, ist jedoch, " eine Parodie der Menschheit", eine "Karikatur eines vernünftigen Lebens."

 

Als ein gerissenes Kaninchen gefunden wird, kippt die Szenerie. Dieses Kaninchen bedeutet, dass ein Gesetz nicht beachtet wurde, dass das Tier in einem Geschöpf durchge-brochen ist und sich hier die Natur ihren Weg gebahnt hat.

Zur Katastrophe kommt es, als der Puma, der gerade in Behandlung ist, seine Ketten aus der Wand reißt, den Doktor verfolgt und mit der Kette erschlägt. Alles ist in Aufruhr.

Das "Haus der Schmerzen" und auch der Wohntrakt brennen ab, Montgomery stirbt in Prendicks Armen.

 

Nun ist er der einzige Mensch auf der Insel. Nachdem er

die Tiere mit einer List unter Kontrolle gebracht hat, sind Prendicks Kräfte am Ende. Er merkt, dass er sich arrangiert, dass er selbst langsam einer vom "Tiervolk" wird.

Er kehrt ihnen den Rücken, sucht die Einsamkeit.

Zehn Monate lebt er noch auf der Insel, dann kann er diesem Alptraum entkommen. Doch die Furcht vor den Menschen bleibt ihm. Diese Furcht basiert auf dem Gedanken, dass der dünne Firnis der Zivilisation jederzeit verschwinden und das Tier im Menschen zum Vorschein kommen könnte.

Ihm bleibt der Blick in den Himmel, die Sterne geben ihm Trost und Hoffnung.

 

"Ich hoffe - sonst könnte ich nicht leben. Uns so endet meine Erzählung - in Hoffnung und Einsamkeit."

 

Der überaus spannend erzählte Roman mit vielen plastischen Schilderungen von Landschaft und Bewohnern der Insel bedient die Angstlust des Lesers perfekt.

Die Elemente des Schauerromans, wie die Unheimlichkeit und Gefährlichkeit des Ortes, der Kampf gegen die Elemente, die Unbezähmbarkeit der Natur, die Hybris des Menschen, werden geschickt eingesetzt, um diese Spannung zu erzeugen. 

 

Der Dschungel kann als die unbewusste Seite der mensch-lichen Psyche gedeutet werden, die Unentrinnbarkeit der Insel und deren Entdeckung als eine Reise ins eigene Innere, die Verlockungen der Natur, die in Verhaltensnormen umgelenkt und gebändigt werden, als das, was unter jeglicher Vernunft und Zivilisation liegt.

 

Auch die politische Komponente ist nicht zu unterschätzen, schließlich sprengt der Puma (im englischen Original ist es ein Puma-Weibchen), seine/ihre Ketten und beendet die Schreckensherrschaft des mit Gesetzen und mit Hilfe der Religion herrschenden Dr. Moreau. Das könnte die Angst des Diktators vor dem Aufstand des Volkes oder die des Mannes vor dem Aufstand der Frau sein - der Schauerroman spielt mit den Ängsten des Lesers.

 

Vor allem aber werden in diesem Roman die Ängste verhandelt, die die moderne Wissenschaft und deren unab-sehbaren Möglichkeiten hervorruft. Während Frankensteins Geschöpf seinen Schöpfer anklagt und verfolgt, handeln die Tiermenschen in Wells Roman unmittelbar. Ihnen fehlt die Intelligenz, sie haben keine Möglichkeiten der Auseinander-setzung. Sie sind von vorn herein mehr Tier als Mensch geblieben und wenden keine Rafinesse an.

 

Der Roman diente nicht nur als Vorlage mehrerer Filme,

er inspirierte die Illustratorin Nicole Riegert zu sehr ausdrucksstarken Bildern, die diese Ausgabe zieren.

Die durchgängig in schwarz-grau, bläulich und grün-gelb gehaltenen Holzschnitte evozieren den Schrecken des Protagonisten und bilden die Geschichte auf der bildlichen Ebene nach. Die Erlebnisse Prendicks werden dadurch noch greifbarer, die Bilder geben dem Roman eine weitere ästhetische Dimension und vertiefen den Lesegenuss.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

H.G. Wells (Text) und Nicole Riegert (Illustration):

Die Insel des Dr. Moreau

Übersetzt von Felix Paul Greve

Kunstanstifter Verlag, 2017, 256 Seiten