Ein Haus mit vielen Zimmern -

Autorinnen erzählen vom Schreiben

Herausgegeben von Sophia Jungmann und Karen Nölle

Das Bild, dass eine Erzählung ein Haus mit vielen Zimmern ist und jeder, der eintritt, aus den Fenstern der verschiedenen Zimmer verschiedene Sichtweisen gewinnt, stammt von Alice Munro.

Dieser schöne Vergleich lässt sich durch die Aussage Virginia Woolfs ergänzen, die sagt: "Sie haben sich in einem Haus, das bisher ausschließlich in männlichem Besitz war, eigene Zimmer erobert. Sie sind, wenn auch nicht ohne beträchtliche Arbeit und Mühe, in der Lage, die Miete zu zahlen. ... "

Sie, das sind die Autorinnen, die anfangen, eigene Wege zu gehen und eigene Räume zu bewohnen.

 

Dieser Band versammelt neunzehn Texte, allesamt von namhaften Autorinnen, die sich auf unterschiedlichste Art mit dem Schreiben von Frauen beschäftigen.

 

Die Herausgeberinnen haben eine sehr kluge Auswahl getroffen, die ein breites Spektrum an Sichtweisen bietet. 

Der Variantenreichtum reicht von den leichtfüßigen Gedichten Nora Gomringers über hochpolitische Texte wie Virginia Woolfs "Berufe für Frauen," (dem auch obiges Zitat entnommen wurde), und ganz nach innen gewandten Erzählungen wie "Der Ausflug der toten Mädchen" von Anna Seghers bis zu einer poetologischen Auseinandersetzung mit dem Thema Frau und Literatur von Siri Hustvedt.

Dazwischen liegen erhellende Texte von Clarice Lispector, die das Spielerische des Schreibens betont oder von Antje Ravic Strubel, die fast direkt an Virginia Woolf anknüpft - und klar macht, dass sich noch viel verändern muss, bis das Haus der Dichtkunst Mieter ohne Ansehen des Geschlechts aufnimmt und beherbergt.

 

Begonnen sei mit Virginia Woolf, die die Tätigkeit des Schreibens zuerst einmal einen Beruf nennt. Etwas, das den Lebensunterhalt sichert also, etwas, das für jeden Mann selbstverständlich ist.

Sie selbst begann mit dem Schreiben von Rezensionen, doch einen Roman zu schreiben, schöpferisch tätig zu werden, hat eine andere Dimension. Denn hierfür musste sie einen Mord begehen: sie musste den "Engel im Haus," ein Phantom, das sie am freien Gebrauch ihrer Phantasie hinderte, loswerden.

 

Das Gedicht "The Angel in the House" von Coventry Patmore aus dem Jahr 1854 spukte seit seinem Erscheinen durch die Köpfe von Männern und Frauen. Die einfühlsame, charmante, selbstlose, opferbereite und vor allem reine Frau war das Ideal, das eine Entfaltung jenseits eng gesteckter Grenzen verhinderte. Dieser Engel flüsterte der Schriftstellerin zu, sie solle  ja nicht zu erkennen geben, dass sie einen eigenen Verstand habe. Und - fast noch schlimmer, stößt die Dichterin in ihrem Nachsinnen und Träumen an etwas Körperliches, Leidenschaftliches, schneidet die innere Engel-Stimme sofort alle weitern Gedanken ab.

 

Die Ermordung des Engels ist Woolf geglückt, doch

"mit Wahrhaftigkeit von meinem eigenen Erleben als Körper zu sprechen, habe ich meiner Ansicht nach noch nicht bestanden. Ich bezweifle, dass es überhaupt schon eine Frau bestanden hat."

 

Ich gehe hier so ausführlich auf Woolfs Text ein, weil er mir grundlegend für die Auseinandersetzung mit dem ganzen Thema zu sein scheint: anerzogene und sozialisierte Widerstände sind das eine, die Körperlichkeit ist das

andere Thema.

 

In irgendeiner Art kommen alle Frauen, die vom Schreiben erzählen, auf den Körper zu sprechen.

Als Ort des Geschehens und Erlebens, als eine Wand, an die Vorstellungen gepinnt werden oder als Heimat, die gefunden werden will.

Als Beispiele der Auseinandersetzung möchte ich noch auf zwei weitere Texte etwas näher eingehen, sie sollen exemplarisch für die ganze Sammlung stehen.

 

Der erste Text des Buches, Tania Blixens "Die leere Seite," erzählt die Geschichte der Brautlaken des portugiesischen Königshauses. Dieser feinste aller Stoffe legt Zeugnis ab von der Jungfräulichkeit der Braut. Nach der Hochzeitsnacht wurden die Mittelstücke der Laken herausgeschnitten und gerahmt, aus den Flecken Weissagungen abgeleitet. In einer langen Reihe hängen diese Bilder im Kloster Convento Velho - eines unterscheidet sich von allen anderen: es ist leer.

Und an ihm entzündet sich die Phantasie der Betrachter wie an keinem anderen, vor dieser leeren Seite versinken die Betrachter "in tiefstes Nachdenken."

Blixen verknüpft in ihrer Geschichte Text und Textur (Weben etc als Domäne des Weiblichen), das Gezeigte oder Gesagte mit dem Ungesagten oder Unsagbaren, dem Geheimnis. 

 

Strubel fächert in "Mädchen in Betriebnahme" auf, wie gerne die Schriftstellerin als Beiwerk auf Sofas neben Redakteuren platziert wird. Viel lieber würde sie im Sessel sitzen, alleine und aufrecht, nicht ständig darum besorgt, nicht zu nahe an den Redakteur heranzurutschen, der seinerseits besorgt ist, seine Ironiefähigkeit unter Beweis zu stellen. Und dabei ganz schön ins Schwitzen kommt. Auch sie selbst hat ordentlich zu tun, "dass das mit der Ironie auch klappt und nicht alles auffliegt. Aber eines sag ich: Wenn hier eine Anstrengung zu riechen ist, ist es nicht meine! So viel ist sicher.

Zarte Mädchenhaut riecht nicht." 

Auch dies eine Form der Reinheit, die immer noch gilt.

 

Im zweiten Teil ihres "Abgesangs" spricht Strubel von den Mühen, gegen äußere und innere Widerstände den eigenen Ton zu finden.

Im dritten Teil assoziert sie sehr frei und wunderschön zu lesen in Sätzen, Halbsätzen, Fragen und Anreden ein imaginiertes Du ansprechend, auf der Suche nach einer sprachlichen Fassung des Körpers und seiner Sinneseindrücke.

(Mein Versuch, den Inhalt dieses Teils griffig wiederzugeben, gelingt nur sehr rudimentär, da er ganz und gar von Klang und Form bestimmt wird. Und man ihn deshalb selbst vor Augen haben sollte.)

 

Das Ringen um die richtige, die adäquate Form der Dichtung, der Versuch, denkend und schreibend einer Sache nahe zu kommen, womöglich ihr sogar auf den Grund zu kommen, wird in diesen neunzehn Ausblicken aus dem Haus mit den vielen Zimmern sehr anschaulich und vielgestaltig vorgeführt. Die unendlich vielen verschiedenen Möglichkeiten der Annäherung führen zu einer sehr anregenden Beschäftigung mit den Fragen nach dem "Wie wird erzählt"  als eine Erweiterung des Blickes, der oft an der Oberfläche des "Was wird erzählt" hängen bleibt.

 

Dass all den Fragen zum Schreiben in Form von Gedichten oder Erzählungen nachgegangen wird, macht das Nachdenken/Nachforschen um so schöner. Hier wird nicht erklärend über etwas gesprochen, hier wird schreibend vor(an)gegangen und um mitkommen gebeten.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ein Haus mit vielen Zimmern -

Autorinnen erzählen vom Schreiben

Herausgegeben von Sophia Jungmann und Karen Nölle

edition fünf, 2015, 232 Seiten