Takis Würger - Der Club

Der Club um den es hier geht, und der ein Spiegel der gesamten Gesellschaft ist, ist der legendäre Pitt Club.

Was machen sie in diesen Clubs?

"Na ja, feiern, trinken, eine gute Zeit haben und so. ... -Wieso seid ihr alle nur so geil auf diesen Club?- ... Wieso gehst du nicht erst mal zu einer der Partys, bevor du hier mit Raketen schießt?" 

 

Hans ist ein Kind, das gut alleine sein kann. Er lebt mit den Eltern in einem Haus im Wald in Niedersachsen.

Seine Mutter hat ihn gegen den Rat ihres Arztes bekommen, denn sie hatte Krebs, der Arzt gab ihr nur noch wenige Monate. Als Hans fünfzehn ist stirbt die Mutter an einem allergischen Schock - eine Biene hatte sie gestochen.

Das war nur ein halbes Jahr, nachdem sein Vater bei einem Autounfall ums Leben gekommen war.

Plötzlich hat Hans nur noch eine Verwandte, eine Halbschwester der Mutter, die in England lebt, und die er nur flüchtig kennt.

 

Er fragt sich, ob Alexandra ihn zu sich holen wird.

Doch sie verkauft das Haus, um mit dem Geld ein Internat für Hans bezahlen zu können. Er kommt nach Bayern in eine Jesuitenschule, die aussieht wie eine Ritterburg.

 

Schon als Kind hat Hans angefangen zu boxen, im Internat setzt er sein Training fort - mit Pater Gerald im Weinkeller. Völlig überraschend lädt Alex, die Professorin für Kunstgeschichte in Cambridge ist, Hans zu sich nach England ein. Das ist in seinem letzten Schuljahr vor dem Abitur.

 

Ohne Umschweife eröffnet sie Hans:

"Hans, ich will, dass du hier studierst, du bekommst einen Studienplatz und ein Stipendium, ich regle das. Dafür wirst du Mitglied in einem Club. Wahrscheinlich hast du noch nie von ihm gehört. Du wirst Mitglied im Pitt Club. ...

Dein Auftrag ist es, herauszufinden, was die Boxer der Universität dort machen. Du boxt doch noch, oder?" 

Sie gibt ihm keine konkreten Informationen, sagt aber, er soll ein Verbrechen aufklären. Hans weiß noch nicht einmal, um welches Verbrechen es sich handelt. Seine Verbindung zu Alex muss geheim bleiben, Hans bekommt einen falschen Namen, er ist Teil eines Betruges.

Auch der Leser weiß nicht, um welches Verbrechen es geht, was zu einer Art gemeinsamen Spurensuche führt.

 

Der Roman ist nicht in Kapitel eingeteilt, sondern in unterschiedlich lange Abschnitte, die die Geschichte aus der Perspektive der jeweils handelnden Person erzählt.

Das führt zu einer sehr facettenreichen Darstellung mit der Spannung eines Kriminalromanes. 

Auf diese Weise lernt der Leser die Personen ganz direkt kennen, er kann ihre Gedanken verfolgen und erleben, wie Erinnerungen in die Gegenwart eingreifen.

 

Neben Hans und Alex sind da Charlotte, eine junge Studentin von Alex, die an ihrer Doktorarbeit schreibt, und in die Hans sich verliebt. Außerdem Angus Farewell, Charlottes Vater, ein schwer reicher Investment-Banker, der unter dem Verlust seiner Frau leidet und ein ehemaliger "Schmetterling" ist.

Das ist eine Gruppierung von jungen Männern innerhalb des Pitt Clubs.

Dann Billy, ein krasser Außenseiter in Cambridge, weil er aus sehr einfachen Verhältnissen kommt und sich selbst für den Tee nach dem Boxtraining Geld von Hans leihen muss.

Er ist ein junger Mensch, für den das Boxen und der Erfolg in dieser Sportart sehr viel bedeutet: neben Prestige auch Anerkennung als Mann, denn er ist homosexuell.

Josh Levan ist so etwas wie ein Alpha-Männchen: ein großes Mundwerk, sexuell sehr aktiv und erfolgreich bei Frauen,

im Innersten aber einsam und auf eine Freundschaft mit Hans hoffend.

 

Die erste Schwierigkeit für Hans ist es, in den Pitt Club aufgenommen zu werden. Man muss von einem verdienten Mitglied vorgeschlagen werden. Diese bilden ein enges Netzwerk untereinander, protegieren und schützen sich gegenseitig. Es herrscht ein Ehrenkodex, der an die deutschen Burschenschaften erinnert, manchmal auch an die Mafia. Auf jeden Fall handelt es sich um eine geschlossene, exclusive Vereinigung mit Schweigegebot.

Nachdem Hans das Vertrauen Farewells gewonnen hat, wird er aufgenommen.

 

Parallel läuft sein Kampf um Aufnahme in die Boxmannschaft. Diesem Thema wird viel Raum gegeben, denn die Verhältnisse innerhalb der Mannschaft und die zu den Trainern erzählen viel über den Zustand an der Universität und letzten Endes in der Gesellschaft.

Hans schafft es, er nimmt an dem großen Kampf gegen Oxford teil, seine Mannschaft trägt den Sieg davon.

 

Das Boxen, der Club, die etwas mysteriösen Schmetterlinge, verschiedene Menschen und Zeitebenen werden im Verlauf der Geschichte sehr kunstvoll so zusammengeführt, dass sich ein Bild dessen herauskristallisiert, was vor wenigen Jahren und was vor vierzig Jahren passiert ist. Nun ist auch klar,

um welches Verbrechen es sich handelt und warum Alex nicht in der Lage war, Hans nach dem Tod seiner Eltern bei sich aufzunehmen.

Dass sie ausgerechnet ihn benutzt hat, um Rache zu üben,

ist eine andere Geschichte.

 

Am Ende ist es Alex, die bekommt, was sie will. Sie ist der Meinung, dass sich der Mensch vom Pavian unterscheidet, "weil wir die Fähigkeit besitzen, Rache zu üben. Also nicht einfach zurückzubeißen, sondern die Fähigkeit zu haben, Geduld zu üben, einen Plan zu entwickeln, diesen Plan umzusetzen und Erfüllung darin zu finden, wenn er funktioniert."

 

"In Cambridge habe ich gelernt, wie viel Großes der Mensch leisten kann: Er kann die Grundlagen der formalen Logik entwickeln, die Geschwindigkeit des Lichts errechnen und ein Medikament gegen Malaria finden. Aber in Cambridge habe ich auch gelernt, was der Mensch in seinem Kern ist:

ein Raubtier." So Hans.

 

Hans, der im Lauf der Zeit ein detektivisches Denken und Handeln entwickelt hat, weiß, dass seine Zugehörigkeit auf Betrug basiert. Lange hatte er sich gewünscht, dazu zu gehören, "aber in dieser Nacht, als ich endlich ganz dazugehörte und die Farbe der Universität trug, widerte es mich an." Er musste sich verbiegen und verleugnen (vor allem wird dies an seinem Verhalten Billy gegenüber deutlich, der sein einziger Freund in Cambridge ist) und als alles kulminiert, flieht er in das Holzhaus in Niedersachsen.

Dort wohnt längst eine andere Familie, der Ort bietet keinen Trost mehr.

 

Zurück in England erfährt er, was Alex mit ihrem Wissen um die Schmetterlinge und den Pitt Club gemacht hat.

Eine Hoffnung bleibt ihm: dass Charlotte es schaffen wird,

zu verzeihen und zu überwinden. 

Vielleicht kann der Mensch das Raubtier in sich besiegen?

Sollte nicht die Fähigkeit zu verzeihen den Menschen vom Pavian unterscheiden?

 

Würgers Debütroman ist Entwicklungsroman, Gesellschaftsbild und Detektivgeschichte in einem.  

Er versteht es, lebendige Menschen darzustellen, eine Geschichte vielschichtig zu entwickeln, Spuren zu legen und zu gegebener Zeit zusammenzuführen. Durch verschiedene Perspektiven zeigt er auf, dass ein und dasselbe Ereignis für zwei beteiligte Menschen etwas völlig anderes sein kann,

er denkt die Frage, ob Lüge und Betrug zur Wahrheit führen können durch, und er zeigt, was das Streben nach Macht mit Menschen machen und bei Opfern anrichten kann.

 

Und der 1985 geborene Autor weiß, wovon er schreibt, denn er studierte selbst in Cambridge, war Boxer und Mitglied im Pitt Club (das dürfte er jetzt nicht mehr sein).

 

Die Geschichte ist dunkel und Hans ist nicht der "im Glück", aber er bleibt reflektiert bei allem was er tut, und er erliegt nicht den Verlockungen der Macht.

Das Glück hat eine Chance, sich bei ihm einzustellen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Takis Würger: Der Club

Kein & Aber, 2017, 240 Seiten